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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Der neue Zollverein.

Das große Ereigniß dieser Woche ist der Beitritt der hannöver'schen Kammer zu
dem preußisch-hannöver'schen Zollvertrag vom 7. September. Durch diesen Bei¬
tritt erscheint die Ausführung des Vertrags gesichert, durch den Vertrag aber
die Entwickelung Deutschlands in einer Weise gefördert, daß sich Nichts, was seit der
Einführung der preußischen Verfassung geschah, auch nur entfernt damit vergleichen
läßt. Durch die preußische Verfassung wurde sür den größten Staat in Deutsch¬
land Grund gelegt zu eiuer nationalen, deutschen Politik, einer Politik, welche
dem Cabinet gegenwärtig noch sehr wenig wünschenswerth scheint, in welche
aber die steigende Volkskraft mit der Zeit unwiderstehlich hereiutreiben wird; durch
den ZollvertraH ist der Grund gelegt zu einer Verbittdung der Nordseestaaten
mit den Binnenländern, zu einer großartigen industriellen Entwickelung des nörd¬
lichen Deutschlands, meiner großen Erweiterung der deutschen Handelsmarine und
der Bildung einer Kriegsflotte für den neuen Zollverein. Die tüchtige und
schnelle Entwickelung der industriellen Kräfte einer großen Nation erscheint gegen¬
wärtig in der ganzen Welt abhängig von der Verbindung mit fremden Culturen
durch offene und freie Wege. Der bisherige Zollverein kränkelte vornehmlich daran,
daß nicht einmal die Mündung des Rheins und der Elbe, kein Küstenpunkt der
Nordsee zu seinem Gebiet gehörte, selbst der Stromlauf der Flüsse war nicht
frei. Jetzt kann auch der Mißtrauische hoffen, daß das in wenig Jahren
anders werden wird. Die Elbzölle werden wegfallen, die Rheinschifffahrt wird
befreit werden, denn der Waaren- und Transitohandel mit Holland und Belgien
wird durch die voraussichtliche Befreiung der Elbe so gedrückt werden, daß es
ein Interesse auch dieser Staaten sein wird, die Schifffahrt auf dem Rhein frei¬
zugeben. Oldenburgs Beitritt steht fast mit Sicherheit zu erwarten; ein späterer
Anschluß der Hansestädte ist jetzt wahrscheinlich geworden; die isolirte Handels¬
existenz der beiden Mecklenburg zu beseitigen wird jetzt das ernste Bestreben der
übrigen Elbstaaten sein; der ganze Norden von Deutschland wird durch friedliche
Verträge in eine große Verkehrseinheit verwandelt, in welcher sich gemeinsame
Interessen und Sympathien der Bürger noch schneller und mächtiger herausbilden
werden, als in dem bisherigen Binnenland - Verein möglich war. So ist ein
großer und erfreulicher Fortschritt in der Bildung eines deutschen Staatslebens
geschehen und die Frende darüber wird sich die Tagespresse gerade jetzt nicht
dadurch trüben, daß sie an einzelnen Bedingungen des Vertrags mäkelt oder unter¬
sucht, wie die preußische Regierung dazu kam, gerade diesen Vertrag zu einer
Herzensangelegenheit zu machen.

Noch ist es fraglich, ob der Süden Deutschlands dem neuen Zollverein bei¬
treten wird. Sachsen, Bayern, Württemberg, Baden und die beiden Hessen stehen


Der neue Zollverein.

Das große Ereigniß dieser Woche ist der Beitritt der hannöver'schen Kammer zu
dem preußisch-hannöver'schen Zollvertrag vom 7. September. Durch diesen Bei¬
tritt erscheint die Ausführung des Vertrags gesichert, durch den Vertrag aber
die Entwickelung Deutschlands in einer Weise gefördert, daß sich Nichts, was seit der
Einführung der preußischen Verfassung geschah, auch nur entfernt damit vergleichen
läßt. Durch die preußische Verfassung wurde sür den größten Staat in Deutsch¬
land Grund gelegt zu eiuer nationalen, deutschen Politik, einer Politik, welche
dem Cabinet gegenwärtig noch sehr wenig wünschenswerth scheint, in welche
aber die steigende Volkskraft mit der Zeit unwiderstehlich hereiutreiben wird; durch
den ZollvertraH ist der Grund gelegt zu einer Verbittdung der Nordseestaaten
mit den Binnenländern, zu einer großartigen industriellen Entwickelung des nörd¬
lichen Deutschlands, meiner großen Erweiterung der deutschen Handelsmarine und
der Bildung einer Kriegsflotte für den neuen Zollverein. Die tüchtige und
schnelle Entwickelung der industriellen Kräfte einer großen Nation erscheint gegen¬
wärtig in der ganzen Welt abhängig von der Verbindung mit fremden Culturen
durch offene und freie Wege. Der bisherige Zollverein kränkelte vornehmlich daran,
daß nicht einmal die Mündung des Rheins und der Elbe, kein Küstenpunkt der
Nordsee zu seinem Gebiet gehörte, selbst der Stromlauf der Flüsse war nicht
frei. Jetzt kann auch der Mißtrauische hoffen, daß das in wenig Jahren
anders werden wird. Die Elbzölle werden wegfallen, die Rheinschifffahrt wird
befreit werden, denn der Waaren- und Transitohandel mit Holland und Belgien
wird durch die voraussichtliche Befreiung der Elbe so gedrückt werden, daß es
ein Interesse auch dieser Staaten sein wird, die Schifffahrt auf dem Rhein frei¬
zugeben. Oldenburgs Beitritt steht fast mit Sicherheit zu erwarten; ein späterer
Anschluß der Hansestädte ist jetzt wahrscheinlich geworden; die isolirte Handels¬
existenz der beiden Mecklenburg zu beseitigen wird jetzt das ernste Bestreben der
übrigen Elbstaaten sein; der ganze Norden von Deutschland wird durch friedliche
Verträge in eine große Verkehrseinheit verwandelt, in welcher sich gemeinsame
Interessen und Sympathien der Bürger noch schneller und mächtiger herausbilden
werden, als in dem bisherigen Binnenland - Verein möglich war. So ist ein
großer und erfreulicher Fortschritt in der Bildung eines deutschen Staatslebens
geschehen und die Frende darüber wird sich die Tagespresse gerade jetzt nicht
dadurch trüben, daß sie an einzelnen Bedingungen des Vertrags mäkelt oder unter¬
sucht, wie die preußische Regierung dazu kam, gerade diesen Vertrag zu einer
Herzensangelegenheit zu machen.

Noch ist es fraglich, ob der Süden Deutschlands dem neuen Zollverein bei¬
treten wird. Sachsen, Bayern, Württemberg, Baden und die beiden Hessen stehen


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[0233] Der neue Zollverein. Das große Ereigniß dieser Woche ist der Beitritt der hannöver'schen Kammer zu dem preußisch-hannöver'schen Zollvertrag vom 7. September. Durch diesen Bei¬ tritt erscheint die Ausführung des Vertrags gesichert, durch den Vertrag aber die Entwickelung Deutschlands in einer Weise gefördert, daß sich Nichts, was seit der Einführung der preußischen Verfassung geschah, auch nur entfernt damit vergleichen läßt. Durch die preußische Verfassung wurde sür den größten Staat in Deutsch¬ land Grund gelegt zu eiuer nationalen, deutschen Politik, einer Politik, welche dem Cabinet gegenwärtig noch sehr wenig wünschenswerth scheint, in welche aber die steigende Volkskraft mit der Zeit unwiderstehlich hereiutreiben wird; durch den ZollvertraH ist der Grund gelegt zu einer Verbittdung der Nordseestaaten mit den Binnenländern, zu einer großartigen industriellen Entwickelung des nörd¬ lichen Deutschlands, meiner großen Erweiterung der deutschen Handelsmarine und der Bildung einer Kriegsflotte für den neuen Zollverein. Die tüchtige und schnelle Entwickelung der industriellen Kräfte einer großen Nation erscheint gegen¬ wärtig in der ganzen Welt abhängig von der Verbindung mit fremden Culturen durch offene und freie Wege. Der bisherige Zollverein kränkelte vornehmlich daran, daß nicht einmal die Mündung des Rheins und der Elbe, kein Küstenpunkt der Nordsee zu seinem Gebiet gehörte, selbst der Stromlauf der Flüsse war nicht frei. Jetzt kann auch der Mißtrauische hoffen, daß das in wenig Jahren anders werden wird. Die Elbzölle werden wegfallen, die Rheinschifffahrt wird befreit werden, denn der Waaren- und Transitohandel mit Holland und Belgien wird durch die voraussichtliche Befreiung der Elbe so gedrückt werden, daß es ein Interesse auch dieser Staaten sein wird, die Schifffahrt auf dem Rhein frei¬ zugeben. Oldenburgs Beitritt steht fast mit Sicherheit zu erwarten; ein späterer Anschluß der Hansestädte ist jetzt wahrscheinlich geworden; die isolirte Handels¬ existenz der beiden Mecklenburg zu beseitigen wird jetzt das ernste Bestreben der übrigen Elbstaaten sein; der ganze Norden von Deutschland wird durch friedliche Verträge in eine große Verkehrseinheit verwandelt, in welcher sich gemeinsame Interessen und Sympathien der Bürger noch schneller und mächtiger herausbilden werden, als in dem bisherigen Binnenland - Verein möglich war. So ist ein großer und erfreulicher Fortschritt in der Bildung eines deutschen Staatslebens geschehen und die Frende darüber wird sich die Tagespresse gerade jetzt nicht dadurch trüben, daß sie an einzelnen Bedingungen des Vertrags mäkelt oder unter¬ sucht, wie die preußische Regierung dazu kam, gerade diesen Vertrag zu einer Herzensangelegenheit zu machen. Noch ist es fraglich, ob der Süden Deutschlands dem neuen Zollverein bei¬ treten wird. Sachsen, Bayern, Württemberg, Baden und die beiden Hessen stehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/233>, abgerufen am 27.04.2024.