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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Partei in Preußen die traditionelle Legitimität - Politik der Regierung offen an¬
gegriffen worden; jetzt uach der Sicherung des neuen Vertrages haben diese Ge¬
müthsneigungen in Preußen viel von dem verloren, was sie gefährlich macht.
Die Verhältnisse sind stärker als die Menschen. Trotz aller Bestrebungen der
Regierenden in Preußen, im Einklang mit Oestreich zu handeln, erweist sich dies
bei jeder brennenden Frage als unmöglich, der alte Kampf zwischen Union und
Liga ruht nicht, auf jedem Gebiet der Interessen bricht er allen Wünschen der
Herrscher zum Trotz mit der alten Lebhaftigkeit wieder hervor; jeder große Er¬
folg der einen Partei ist bis jetzt in kurzer Zeit mit einem Verlust derselben Par¬
tei bezahlt worden. Es gelang Oestreich im vorigen Winter, die politischen
Unionspläne Preußens zu vernichten und das militairische Ehrgefühl der Preußen
in einer Weife zu demüthigen, wie dies ohne einen unglücklichen Krieg selten
möglich sein wird. Und wieder die Folgen dieses Sieges, die Besetzung der
Nordsee durch östreichische Truppen ärgerte den alten Herrn von Hannover, und
trieb die aufs Aeußerste gefährdete preußische Regierung zum schnellen und ge¬
heimen Abschlüsse eines neuen Unionsvertrages. Wieder zwang dieser Vertrag,
dessen Gebahren der östreichische Premierminister wohl erkannte, ihn dazu, seine
Getreuen nach Wien zu berufen und wo möglich dort die Grundlagen eiuer
anderen Vereinigung zu gewinnen, welcher einen Theil der deutschen Staaten
von der gefährlichen Union loslösen und zu Oestreich hinüberführen soll.
Wer zuletzt den Sieg behaupten wird, ist nicht mehr zweifelhaft.




Der Colonisationsverein zu .Hamburg von

' Viele Colonisationspläne und Answanderuugs-Vereine sind in Deuschland
projectirt und eingerichtet worden. Nach Nußland, nach Ungarn, nach Kleinasien,
vielleicht nach jedem Breitengrade des bewohnbaren Amerika's, nach der Südspitze
von Afrika, nach Australien und dem Archipel riefen lockende Stimmen, trieben
Vereine von Rhedern oder Capitalien, ohne daß es irgendwo der Thätigkeit sol¬
cher Vereine gelungen wäre, der Auswanderung eine Organisation, ja auch nur
ein gutes Ziel zu geben. Gerade die Unternehmungen, welche mit dem größten
Anlaufe unternommen wurden, haben am wenigsten gewirkt. Das Berliner
Moskitoproject hatte das Mißgeschick, welches viele Uuter.nehmungen dieser emo¬
tionslustigen Stadt verfolgt, es erwies sich als unausführbar, und der adelige
Texasverein mag den unruhigen Zeiten danken, welche ihm über die Verfolgun¬
gen des öffentlichen Anklägers, der Presse, weggeholfen haben, denn sein Ge¬
schäft war in mehrfachem Sinne ein schlechtes Geschäft. Wie er, so scheiterten
auch andere Vereinigungen an den zwei alten Uebelständen: an mangelhafter


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Partei in Preußen die traditionelle Legitimität - Politik der Regierung offen an¬
gegriffen worden; jetzt uach der Sicherung des neuen Vertrages haben diese Ge¬
müthsneigungen in Preußen viel von dem verloren, was sie gefährlich macht.
Die Verhältnisse sind stärker als die Menschen. Trotz aller Bestrebungen der
Regierenden in Preußen, im Einklang mit Oestreich zu handeln, erweist sich dies
bei jeder brennenden Frage als unmöglich, der alte Kampf zwischen Union und
Liga ruht nicht, auf jedem Gebiet der Interessen bricht er allen Wünschen der
Herrscher zum Trotz mit der alten Lebhaftigkeit wieder hervor; jeder große Er¬
folg der einen Partei ist bis jetzt in kurzer Zeit mit einem Verlust derselben Par¬
tei bezahlt worden. Es gelang Oestreich im vorigen Winter, die politischen
Unionspläne Preußens zu vernichten und das militairische Ehrgefühl der Preußen
in einer Weife zu demüthigen, wie dies ohne einen unglücklichen Krieg selten
möglich sein wird. Und wieder die Folgen dieses Sieges, die Besetzung der
Nordsee durch östreichische Truppen ärgerte den alten Herrn von Hannover, und
trieb die aufs Aeußerste gefährdete preußische Regierung zum schnellen und ge¬
heimen Abschlüsse eines neuen Unionsvertrages. Wieder zwang dieser Vertrag,
dessen Gebahren der östreichische Premierminister wohl erkannte, ihn dazu, seine
Getreuen nach Wien zu berufen und wo möglich dort die Grundlagen eiuer
anderen Vereinigung zu gewinnen, welcher einen Theil der deutschen Staaten
von der gefährlichen Union loslösen und zu Oestreich hinüberführen soll.
Wer zuletzt den Sieg behaupten wird, ist nicht mehr zweifelhaft.




Der Colonisationsverein zu .Hamburg von

' Viele Colonisationspläne und Answanderuugs-Vereine sind in Deuschland
projectirt und eingerichtet worden. Nach Nußland, nach Ungarn, nach Kleinasien,
vielleicht nach jedem Breitengrade des bewohnbaren Amerika's, nach der Südspitze
von Afrika, nach Australien und dem Archipel riefen lockende Stimmen, trieben
Vereine von Rhedern oder Capitalien, ohne daß es irgendwo der Thätigkeit sol¬
cher Vereine gelungen wäre, der Auswanderung eine Organisation, ja auch nur
ein gutes Ziel zu geben. Gerade die Unternehmungen, welche mit dem größten
Anlaufe unternommen wurden, haben am wenigsten gewirkt. Das Berliner
Moskitoproject hatte das Mißgeschick, welches viele Uuter.nehmungen dieser emo¬
tionslustigen Stadt verfolgt, es erwies sich als unausführbar, und der adelige
Texasverein mag den unruhigen Zeiten danken, welche ihm über die Verfolgun¬
gen des öffentlichen Anklägers, der Presse, weggeholfen haben, denn sein Ge¬
schäft war in mehrfachem Sinne ein schlechtes Geschäft. Wie er, so scheiterten
auch andere Vereinigungen an den zwei alten Uebelständen: an mangelhafter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/237>, abgerufen am 27.04.2024.