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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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umgaukelt, wurde sie von fernem Schalle geöffneter und zugeschlagener Thüren
geweckt. An jener Thür, die sonst geräuschlos und ohne Ceremonie sich zu öffnen
Pflegte, hörte sie zwei Lakaien den Prinzen ihres Herzens laut und steif anmelden,
und dieser ungewohnte Apparat des strengsten Ceremoniells verursachte ihr eine
so starke Bewegung, daß die bühnengeübte Heldin in die fatalste Situation eines
seigen Soldaten gerieth. Ihr Freund kam, und obgleich er als feiunasiger
Staatsmann aller Wahrscheinlichkeit nach sogleich errathen, was vorgegangen, ließ
er doch aus schuldiger Schonung und Galanterie gegen das schöne Geschlecht Nichts
merken.

Mlle C. glaubte es ihrer vervielfachten Liebenswürdigkeit danken zu können,
daß der Unfall unentdeckt geblieben, und sie wurde in dieser Meinung bestärkt,
als sie nach einigen Tagen ein Briefchen erhielt, in welchem sich drei tausend
Frankennoten befanden. Allein der geschriebene Inhalt riß sie ans ihrer glück¬
lichen Täuschung. Man sagte ihr nämlich die schmeichelhaftesten Dinge über ihre
Liebenswürdigkeit, entschuldigte aber am Schlüsse, daß man das Geschenk nicht in
Gold gemacht, mit der Vermuthung, daß der Dame Papier vielleicht ange¬
nehmer sein dürfte.




Der C o n se a b l e r i s in u s.

Uuter diesem Namen sei hier eine merkwürdige Krankheit bezeichnet, welche
gegenwärtig in Deutschland grassirt, sehr ansteckend ist, und den Kranken viel
Haarsträuben, Schauer und acute Wuthanfälle verursacht, auf welche die ent¬
sprechenden Abspannungen folgen. Da dieses Leiden in der Regel nur gute
Menschen und loyale Gemüther ergreift, so ist es um so schrecklicher. Einige
Beispiele werden das Wesen dieses seltsamen Zustandes deutlich machen.

Schreiber dieses kehrte einst am Abend von einer Reise zu seiner Familie auf dem
Lande zurück. Er fand das Hofthor vor der gewöhnlichen Stunde geschlossen.
Eine Nachtpatrouille in Hemdsärmeln mit Axt, Heugabeln und Laterne bewaffnet,
läßt ihn . zögernd und mit langen Gesichtern ein. Hausmädchen sehen scheu mit
bleichen Wangen aus einem Spalt der zugehaltenen Küchenthür auf den Eintreten¬
den. Als er deu Griff der Stubenthür faßt, fahren die Stubenbewohner schreiend
von ihren Stühlen aus, und schicken sich an,,die Hände zu ringen, statt ihm ent¬
gegenzueilen. Der Angekommne legt sich verwundert und ermüdet ins Bett, und
löscht das Licht aus. Nach einer Weile stößt er an den Leuchter, der Leuchter
fällt klirrend auf den Stiefelknecht. Augenblicklich erhebt sich im Hause ein Flüstern.
Es trippelt auf der Flur, es knarrt auf der Treppe. Leise Stimmen fragen durch
das Schlüsselloch, ob er noch lebe? Feine Stimmchen fangen an zu schluchzen.


umgaukelt, wurde sie von fernem Schalle geöffneter und zugeschlagener Thüren
geweckt. An jener Thür, die sonst geräuschlos und ohne Ceremonie sich zu öffnen
Pflegte, hörte sie zwei Lakaien den Prinzen ihres Herzens laut und steif anmelden,
und dieser ungewohnte Apparat des strengsten Ceremoniells verursachte ihr eine
so starke Bewegung, daß die bühnengeübte Heldin in die fatalste Situation eines
seigen Soldaten gerieth. Ihr Freund kam, und obgleich er als feiunasiger
Staatsmann aller Wahrscheinlichkeit nach sogleich errathen, was vorgegangen, ließ
er doch aus schuldiger Schonung und Galanterie gegen das schöne Geschlecht Nichts
merken.

Mlle C. glaubte es ihrer vervielfachten Liebenswürdigkeit danken zu können,
daß der Unfall unentdeckt geblieben, und sie wurde in dieser Meinung bestärkt,
als sie nach einigen Tagen ein Briefchen erhielt, in welchem sich drei tausend
Frankennoten befanden. Allein der geschriebene Inhalt riß sie ans ihrer glück¬
lichen Täuschung. Man sagte ihr nämlich die schmeichelhaftesten Dinge über ihre
Liebenswürdigkeit, entschuldigte aber am Schlüsse, daß man das Geschenk nicht in
Gold gemacht, mit der Vermuthung, daß der Dame Papier vielleicht ange¬
nehmer sein dürfte.




Der C o n se a b l e r i s in u s.

Uuter diesem Namen sei hier eine merkwürdige Krankheit bezeichnet, welche
gegenwärtig in Deutschland grassirt, sehr ansteckend ist, und den Kranken viel
Haarsträuben, Schauer und acute Wuthanfälle verursacht, auf welche die ent¬
sprechenden Abspannungen folgen. Da dieses Leiden in der Regel nur gute
Menschen und loyale Gemüther ergreift, so ist es um so schrecklicher. Einige
Beispiele werden das Wesen dieses seltsamen Zustandes deutlich machen.

Schreiber dieses kehrte einst am Abend von einer Reise zu seiner Familie auf dem
Lande zurück. Er fand das Hofthor vor der gewöhnlichen Stunde geschlossen.
Eine Nachtpatrouille in Hemdsärmeln mit Axt, Heugabeln und Laterne bewaffnet,
läßt ihn . zögernd und mit langen Gesichtern ein. Hausmädchen sehen scheu mit
bleichen Wangen aus einem Spalt der zugehaltenen Küchenthür auf den Eintreten¬
den. Als er deu Griff der Stubenthür faßt, fahren die Stubenbewohner schreiend
von ihren Stühlen aus, und schicken sich an,,die Hände zu ringen, statt ihm ent¬
gegenzueilen. Der Angekommne legt sich verwundert und ermüdet ins Bett, und
löscht das Licht aus. Nach einer Weile stößt er an den Leuchter, der Leuchter
fällt klirrend auf den Stiefelknecht. Augenblicklich erhebt sich im Hause ein Flüstern.
Es trippelt auf der Flur, es knarrt auf der Treppe. Leise Stimmen fragen durch
das Schlüsselloch, ob er noch lebe? Feine Stimmchen fangen an zu schluchzen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/319>, abgerufen am 28.04.2024.