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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Thatsache das Kreuz der Ehrenlegion an der Brust trägt. Diese Veteranen
parliren französisch und italienisch mit einer Fertigkeit und einem so richtigen
Accent, daß man kaum glauben mag, es seien dies die Väter und Vettern der
so gefürchteten, rothbemäntelten Kehlenabschneider von 4848. Viele dieser
Grenzer sind lange Jahre nach Napoleon's Fall in Frankreich geblieben; hatten
sich dort französische Sprache und Sitte so angeeignet, daß sie für Franzosen
galten und unerkannt bleiben konnten, ja Einer dieser Serben avancirte unter
einem angenommenen französischen Namen bis zum Generallieutenant, und starb
im Jahre 1834 als Commandant von Marseille. Ueberhaupt sind die Franzosen
das einzige occidentalische Volk, für welches der Serbe Sympathien hat; diese
Sympathie ist aber glücklicher Weise nicht so groß, daß er derselben sein eigenes
Wesen zu opfern bereit wäre. Und darin besteht die Macht und Präponderanz
der serbischen Nationalität über die nachbarlichen und verwandten Stämme, daß
er immer und überall Serbe bleibt.

So sieht der Boden aus, aus welchem ich Ihnen meine Bilder zeichnen werde.




Neue Bu cher.

Ninon de l'Enclos. Schauspiel in fünf Acten, von Henrik Hertz. Ueber¬
tragen von Harald Thaulow. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1832. -- Wir haben
die poetischen Versuche des talentvollen Dichters der Jolanthe mit Aufmerksamkeit ver¬
folgt, müssen uns aber immer mehr davon überzeugen, daß seine dramatische Begabung
sich nur auf einen engen Kreis bezieht. Das gegenwärtige Drama, in welchem er ver¬
sucht hat, das Gebiet der Romantik zu verlassen, ist in jeder Beziehung verfehlt. Der kurze
Inhalt ist folgender. Der alte Cardinal Richelieu verliebt sich in die bereits vierzig¬
jährige Ninon, und läßt ihr Anträge machen, die sie aber stolz zurückweist, da sie sich
zwar den Regeln der gewöhnlichen Sittlichkeit nicht fügt, aber weit davon entfernt ist,
ihre Gunst für Geld zu verkaufen. Der Cardinal beschließt, sich zu rächen, und will
zu diesem Zwecke erfahren, wer ihr begünstigter Liebhaber ist. Als solcher stellt sich ein
junger Chevalier de Villiers heraus. Dieser wird erschossen, und Ninon ist um so
mehr betrübt darüber, da er eigentlich -- ihr Sohn ist. Indessen ein gewisser Pater
Michelet, der alle irdischen Dinge vom höhern philosophischen Gesichtspunkte auffaßt,
sucht ihr Trost einzusprechen, da ein starkes Herz durch Leiden noch stärker werde. --
Das Stück ist ohne Anfang und Ende. Es sind zwar,eine Menge Intriguen hinein¬
verwebt, die aber vollständig zwecklos verlaufen. So zwei Helfershelfer des Cardinals,
die einander den Vorrang abzugewinnen suchen, ein routinirter Marquis, der sich bemüht,
seinen Nebenbuhler aus der Gunst Ninon'S zu verdrängen, die junge Marion de Lorme,
die den Chevalier liebt, aber von ihm verschmäht wird, ein steifer englischer Lord, der
nach ruhiger, kaltblütiger Ueberlegung Ninon seine Hand anträgt, um sie vor den
Verfolgungen des Cardinals zu schützen ü. s. w. Eine der Erfindungen, auf die sich


Thatsache das Kreuz der Ehrenlegion an der Brust trägt. Diese Veteranen
parliren französisch und italienisch mit einer Fertigkeit und einem so richtigen
Accent, daß man kaum glauben mag, es seien dies die Väter und Vettern der
so gefürchteten, rothbemäntelten Kehlenabschneider von 4848. Viele dieser
Grenzer sind lange Jahre nach Napoleon's Fall in Frankreich geblieben; hatten
sich dort französische Sprache und Sitte so angeeignet, daß sie für Franzosen
galten und unerkannt bleiben konnten, ja Einer dieser Serben avancirte unter
einem angenommenen französischen Namen bis zum Generallieutenant, und starb
im Jahre 1834 als Commandant von Marseille. Ueberhaupt sind die Franzosen
das einzige occidentalische Volk, für welches der Serbe Sympathien hat; diese
Sympathie ist aber glücklicher Weise nicht so groß, daß er derselben sein eigenes
Wesen zu opfern bereit wäre. Und darin besteht die Macht und Präponderanz
der serbischen Nationalität über die nachbarlichen und verwandten Stämme, daß
er immer und überall Serbe bleibt.

So sieht der Boden aus, aus welchem ich Ihnen meine Bilder zeichnen werde.




Neue Bu cher.

Ninon de l'Enclos. Schauspiel in fünf Acten, von Henrik Hertz. Ueber¬
tragen von Harald Thaulow. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1832. — Wir haben
die poetischen Versuche des talentvollen Dichters der Jolanthe mit Aufmerksamkeit ver¬
folgt, müssen uns aber immer mehr davon überzeugen, daß seine dramatische Begabung
sich nur auf einen engen Kreis bezieht. Das gegenwärtige Drama, in welchem er ver¬
sucht hat, das Gebiet der Romantik zu verlassen, ist in jeder Beziehung verfehlt. Der kurze
Inhalt ist folgender. Der alte Cardinal Richelieu verliebt sich in die bereits vierzig¬
jährige Ninon, und läßt ihr Anträge machen, die sie aber stolz zurückweist, da sie sich
zwar den Regeln der gewöhnlichen Sittlichkeit nicht fügt, aber weit davon entfernt ist,
ihre Gunst für Geld zu verkaufen. Der Cardinal beschließt, sich zu rächen, und will
zu diesem Zwecke erfahren, wer ihr begünstigter Liebhaber ist. Als solcher stellt sich ein
junger Chevalier de Villiers heraus. Dieser wird erschossen, und Ninon ist um so
mehr betrübt darüber, da er eigentlich — ihr Sohn ist. Indessen ein gewisser Pater
Michelet, der alle irdischen Dinge vom höhern philosophischen Gesichtspunkte auffaßt,
sucht ihr Trost einzusprechen, da ein starkes Herz durch Leiden noch stärker werde. —
Das Stück ist ohne Anfang und Ende. Es sind zwar,eine Menge Intriguen hinein¬
verwebt, die aber vollständig zwecklos verlaufen. So zwei Helfershelfer des Cardinals,
die einander den Vorrang abzugewinnen suchen, ein routinirter Marquis, der sich bemüht,
seinen Nebenbuhler aus der Gunst Ninon'S zu verdrängen, die junge Marion de Lorme,
die den Chevalier liebt, aber von ihm verschmäht wird, ein steifer englischer Lord, der
nach ruhiger, kaltblütiger Ueberlegung Ninon seine Hand anträgt, um sie vor den
Verfolgungen des Cardinals zu schützen ü. s. w. Eine der Erfindungen, auf die sich


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[0356] Thatsache das Kreuz der Ehrenlegion an der Brust trägt. Diese Veteranen parliren französisch und italienisch mit einer Fertigkeit und einem so richtigen Accent, daß man kaum glauben mag, es seien dies die Väter und Vettern der so gefürchteten, rothbemäntelten Kehlenabschneider von 4848. Viele dieser Grenzer sind lange Jahre nach Napoleon's Fall in Frankreich geblieben; hatten sich dort französische Sprache und Sitte so angeeignet, daß sie für Franzosen galten und unerkannt bleiben konnten, ja Einer dieser Serben avancirte unter einem angenommenen französischen Namen bis zum Generallieutenant, und starb im Jahre 1834 als Commandant von Marseille. Ueberhaupt sind die Franzosen das einzige occidentalische Volk, für welches der Serbe Sympathien hat; diese Sympathie ist aber glücklicher Weise nicht so groß, daß er derselben sein eigenes Wesen zu opfern bereit wäre. Und darin besteht die Macht und Präponderanz der serbischen Nationalität über die nachbarlichen und verwandten Stämme, daß er immer und überall Serbe bleibt. So sieht der Boden aus, aus welchem ich Ihnen meine Bilder zeichnen werde. Neue Bu cher. Ninon de l'Enclos. Schauspiel in fünf Acten, von Henrik Hertz. Ueber¬ tragen von Harald Thaulow. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1832. — Wir haben die poetischen Versuche des talentvollen Dichters der Jolanthe mit Aufmerksamkeit ver¬ folgt, müssen uns aber immer mehr davon überzeugen, daß seine dramatische Begabung sich nur auf einen engen Kreis bezieht. Das gegenwärtige Drama, in welchem er ver¬ sucht hat, das Gebiet der Romantik zu verlassen, ist in jeder Beziehung verfehlt. Der kurze Inhalt ist folgender. Der alte Cardinal Richelieu verliebt sich in die bereits vierzig¬ jährige Ninon, und läßt ihr Anträge machen, die sie aber stolz zurückweist, da sie sich zwar den Regeln der gewöhnlichen Sittlichkeit nicht fügt, aber weit davon entfernt ist, ihre Gunst für Geld zu verkaufen. Der Cardinal beschließt, sich zu rächen, und will zu diesem Zwecke erfahren, wer ihr begünstigter Liebhaber ist. Als solcher stellt sich ein junger Chevalier de Villiers heraus. Dieser wird erschossen, und Ninon ist um so mehr betrübt darüber, da er eigentlich — ihr Sohn ist. Indessen ein gewisser Pater Michelet, der alle irdischen Dinge vom höhern philosophischen Gesichtspunkte auffaßt, sucht ihr Trost einzusprechen, da ein starkes Herz durch Leiden noch stärker werde. — Das Stück ist ohne Anfang und Ende. Es sind zwar,eine Menge Intriguen hinein¬ verwebt, die aber vollständig zwecklos verlaufen. So zwei Helfershelfer des Cardinals, die einander den Vorrang abzugewinnen suchen, ein routinirter Marquis, der sich bemüht, seinen Nebenbuhler aus der Gunst Ninon'S zu verdrängen, die junge Marion de Lorme, die den Chevalier liebt, aber von ihm verschmäht wird, ein steifer englischer Lord, der nach ruhiger, kaltblütiger Ueberlegung Ninon seine Hand anträgt, um sie vor den Verfolgungen des Cardinals zu schützen ü. s. w. Eine der Erfindungen, auf die sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/356>, abgerufen am 28.04.2024.