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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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lieben die Natur und der menschliche Herz!" -- so sind das Alles doch nur sehr
wohlfeile Anticipationen, durch die sich das Drama ein Relief giebt, die aber auf
seinen innern Gehalt keinen Einfluß haben. Der Gutzkow'sche Goethe ist nichts
Anderes, als eine Reminiscenz jener Müllner'schen Jungen, die alle Weisheit
dieser Welt durch Offenbarung anticipirt haben, und sie anwenden, um sich so
unausstehlich als möglich zu machen.

Das Stück ist ein Beispiel für die Charlatanerie und Effecthascherei, die man so
ziemlich in jedem der Gutzkow'schen Stücke nachweisen könnte, jene sonderbare
Mischung von abhängiger Beifallsliebe, die sich in Trivialitäten geltend macht,
und von strebsamer Eitelkeit, die nach Paradoxien jagt.

Gutzkow findet in der Vorrede den Grund für den geringen Erfolg seines
Stücks in einem merkwürdigen Mangel der deutschen Theater. Es kommen
nämlich in dem Stück vier Personen vor, die fertig französisch sprechen müssen,
es fänden sich aber unter allen deutschen Theatern etwa nur zehn, in denen so
viel Bildung zusammengebracht werden könne. -- Wir wissen nicht, in wie weit
dies richtig ist; wir würden es aber in jedem Fall für den kleinsten unter den
unzähligen Vorwürfen halten, die man den deutschen Bühnen machen kann. Man
kann ein gebildeter Mann sein, ohne fertig französisch zu sprechen. Gutzkow selbst
sollte in dieser Beziehung milder urtheilen, da ihm in Folge seines Buches über
Paris von Herrn Thiers, der in dieser Beziehung doch einiges Urtheil haben
möchte, der Einwand gemacht worden ist, er sei des Französischen zu wenig mäch¬
tig, um auch nur zu verstehen, was man ihm sage.




Genrebilder ans dem östreichischen Sndslavenlande.
2. ,
Der Grenzer.

Wer den Serben in Oestreich studiren will, der gehe in die Grenze. Hier,
unter einem ganz eigenthümlichen militairisch-bureaukratischen Verwaltungssystem,
welches jede freie Bewegung der Nationalität, der Kirche und der Gesellschaft
unmöglich macht, mag man am besten erkennen, daß eine gewisse zähe Kraft in
dem serbischen Volke liegt. Seit hundert Jahren wird hier deutsch amtirt, in
der Schule deutsch gelehrt, für deu Katholicismus als Staatskirche Propaganda
gemacht;, aber Alles vergebens, der Serbe ist Serbe geblieben.

Das Leben des Grenzers von der ersten Jugend bis ins späte Alter ist das
Leben des Soldaten: ein glänzendes Elend.' Er verbrachte seine beste Zeit im
Wach- und Cordondieuste; erstern im Stabsorte seines Regiments, wo er acht


lieben die Natur und der menschliche Herz!" — so sind das Alles doch nur sehr
wohlfeile Anticipationen, durch die sich das Drama ein Relief giebt, die aber auf
seinen innern Gehalt keinen Einfluß haben. Der Gutzkow'sche Goethe ist nichts
Anderes, als eine Reminiscenz jener Müllner'schen Jungen, die alle Weisheit
dieser Welt durch Offenbarung anticipirt haben, und sie anwenden, um sich so
unausstehlich als möglich zu machen.

Das Stück ist ein Beispiel für die Charlatanerie und Effecthascherei, die man so
ziemlich in jedem der Gutzkow'schen Stücke nachweisen könnte, jene sonderbare
Mischung von abhängiger Beifallsliebe, die sich in Trivialitäten geltend macht,
und von strebsamer Eitelkeit, die nach Paradoxien jagt.

Gutzkow findet in der Vorrede den Grund für den geringen Erfolg seines
Stücks in einem merkwürdigen Mangel der deutschen Theater. Es kommen
nämlich in dem Stück vier Personen vor, die fertig französisch sprechen müssen,
es fänden sich aber unter allen deutschen Theatern etwa nur zehn, in denen so
viel Bildung zusammengebracht werden könne. — Wir wissen nicht, in wie weit
dies richtig ist; wir würden es aber in jedem Fall für den kleinsten unter den
unzähligen Vorwürfen halten, die man den deutschen Bühnen machen kann. Man
kann ein gebildeter Mann sein, ohne fertig französisch zu sprechen. Gutzkow selbst
sollte in dieser Beziehung milder urtheilen, da ihm in Folge seines Buches über
Paris von Herrn Thiers, der in dieser Beziehung doch einiges Urtheil haben
möchte, der Einwand gemacht worden ist, er sei des Französischen zu wenig mäch¬
tig, um auch nur zu verstehen, was man ihm sage.




Genrebilder ans dem östreichischen Sndslavenlande.
2. ,
Der Grenzer.

Wer den Serben in Oestreich studiren will, der gehe in die Grenze. Hier,
unter einem ganz eigenthümlichen militairisch-bureaukratischen Verwaltungssystem,
welches jede freie Bewegung der Nationalität, der Kirche und der Gesellschaft
unmöglich macht, mag man am besten erkennen, daß eine gewisse zähe Kraft in
dem serbischen Volke liegt. Seit hundert Jahren wird hier deutsch amtirt, in
der Schule deutsch gelehrt, für deu Katholicismus als Staatskirche Propaganda
gemacht;, aber Alles vergebens, der Serbe ist Serbe geblieben.

Das Leben des Grenzers von der ersten Jugend bis ins späte Alter ist das
Leben des Soldaten: ein glänzendes Elend.' Er verbrachte seine beste Zeit im
Wach- und Cordondieuste; erstern im Stabsorte seines Regiments, wo er acht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/375>, abgerufen am 27.04.2024.