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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Von den kleineren Wörterklassen leben die Präpositionen zahlreich in der
Sprache fort, da der Sinn des Volkes für die Verhältnisse des Raumes durch
sein Leben stets frisch erhalten wurde. Die Präpositionen stehen entweder mit
dein einen der zwei Dative, oder auch mit dem Nominativ, was auch in anderen
Sprachen, welche keine kräftigen Flexionen haben, vorkommt. Merkwürdig ist es
aber, daß der beim Gebrauch der Präpositionen so wichtige Gegensatz von Ruhe
und Bewegung von der Zigeunersprache nirgend bezeichnet wird; auch der Sanskrit
und seine indischen Töchter sind in dieser Beziehung unvollkommen. Die Conjunctio-
nen aber, Wörter, bei deren Cultur gesellige Bildung und logische Schärfe ganz vor¬
züglich thätig sind, erscheinen sehr mangelhaft und wild; viele sind den anderen Völ¬
kern genommen, in deren Methode zu denken und zu sprechen sich die einzelnen
Banden einlebten.

So erscheint auch der grammatische Bau der Zigeunersprache durchlöchert,
ärmlich und verfallen, wie das Leben Aller, welche in dieser Sprache denken, ver¬
kehren, lachen und weinen. Die Forschungen von Herrn Pott sind deshalb nicht
weniger dankenswerth. Deun der würde irren, welcher glaubte, daß der Haupt-
nutzen der mühsamen und langwierigen Arbeit gewesen sei, zu ermitteln, in wel¬
chem Jargon einige hundert Lumpen und. Gauner sich unterhalten; der große
Zweck aller Forschungen über die Zigeuner ist: die Gesetze festzustellen, nach wel¬
chen die Desiguration und Auflösung einer Völkerseele durch übermächtiges Ein¬
dringen fremder Culturen vor sich ging, und diese Völkcrseele in allen ihren
Lebensäußerungen aus der Bahn des Verderbens zu verstehen. Daß die Beob¬
achtungen und Erfahrungen, welche in diesem bestimmten Fall gemacht werden,
außerdem anregend und aufklärend auf viele andere Gebiete der geschichtlichen
Forschung, wirken, versteht sich von selbst. Und die Wissenschaft soll in ihrem
Bereich überall keine Räthsel dulden.




Neue Tendenzen der französischen Novellistik.

Die Aufnahme Alfred de Mnsser's in die französische Akademie wäre als ein
charakteristisches Zeichen für die gegenwärtige Stimmung in Bezug auf die schöne
Literatur zu betrachten, wenn es überhaupt möglich wäre, für die Handlungsweise
dieser berühmten Körperschaft irgend ein festes Princip aufzufinden. Freilich soll
sie die Sommitäten jeder beliebigen Richtung in sich aufnehmen, aber das ist ein
Begriff, der sich schwerlich einer festen Regel bequemt. Die Akademie hat in
früheren Zeiten für die Entwickelung der französischen Literatur eine große Be¬
deutung gehabt; sie stellte den ununterbrochenen Fortgang der Tradition in den
Begriffen vom Schönen dar. Wenn anch in früheren Zeiten gerade die beten-


Von den kleineren Wörterklassen leben die Präpositionen zahlreich in der
Sprache fort, da der Sinn des Volkes für die Verhältnisse des Raumes durch
sein Leben stets frisch erhalten wurde. Die Präpositionen stehen entweder mit
dein einen der zwei Dative, oder auch mit dem Nominativ, was auch in anderen
Sprachen, welche keine kräftigen Flexionen haben, vorkommt. Merkwürdig ist es
aber, daß der beim Gebrauch der Präpositionen so wichtige Gegensatz von Ruhe
und Bewegung von der Zigeunersprache nirgend bezeichnet wird; auch der Sanskrit
und seine indischen Töchter sind in dieser Beziehung unvollkommen. Die Conjunctio-
nen aber, Wörter, bei deren Cultur gesellige Bildung und logische Schärfe ganz vor¬
züglich thätig sind, erscheinen sehr mangelhaft und wild; viele sind den anderen Völ¬
kern genommen, in deren Methode zu denken und zu sprechen sich die einzelnen
Banden einlebten.

So erscheint auch der grammatische Bau der Zigeunersprache durchlöchert,
ärmlich und verfallen, wie das Leben Aller, welche in dieser Sprache denken, ver¬
kehren, lachen und weinen. Die Forschungen von Herrn Pott sind deshalb nicht
weniger dankenswerth. Deun der würde irren, welcher glaubte, daß der Haupt-
nutzen der mühsamen und langwierigen Arbeit gewesen sei, zu ermitteln, in wel¬
chem Jargon einige hundert Lumpen und. Gauner sich unterhalten; der große
Zweck aller Forschungen über die Zigeuner ist: die Gesetze festzustellen, nach wel¬
chen die Desiguration und Auflösung einer Völkerseele durch übermächtiges Ein¬
dringen fremder Culturen vor sich ging, und diese Völkcrseele in allen ihren
Lebensäußerungen aus der Bahn des Verderbens zu verstehen. Daß die Beob¬
achtungen und Erfahrungen, welche in diesem bestimmten Fall gemacht werden,
außerdem anregend und aufklärend auf viele andere Gebiete der geschichtlichen
Forschung, wirken, versteht sich von selbst. Und die Wissenschaft soll in ihrem
Bereich überall keine Räthsel dulden.




Neue Tendenzen der französischen Novellistik.

Die Aufnahme Alfred de Mnsser's in die französische Akademie wäre als ein
charakteristisches Zeichen für die gegenwärtige Stimmung in Bezug auf die schöne
Literatur zu betrachten, wenn es überhaupt möglich wäre, für die Handlungsweise
dieser berühmten Körperschaft irgend ein festes Princip aufzufinden. Freilich soll
sie die Sommitäten jeder beliebigen Richtung in sich aufnehmen, aber das ist ein
Begriff, der sich schwerlich einer festen Regel bequemt. Die Akademie hat in
früheren Zeiten für die Entwickelung der französischen Literatur eine große Be¬
deutung gehabt; sie stellte den ununterbrochenen Fortgang der Tradition in den
Begriffen vom Schönen dar. Wenn anch in früheren Zeiten gerade die beten-


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[0428] Von den kleineren Wörterklassen leben die Präpositionen zahlreich in der Sprache fort, da der Sinn des Volkes für die Verhältnisse des Raumes durch sein Leben stets frisch erhalten wurde. Die Präpositionen stehen entweder mit dein einen der zwei Dative, oder auch mit dem Nominativ, was auch in anderen Sprachen, welche keine kräftigen Flexionen haben, vorkommt. Merkwürdig ist es aber, daß der beim Gebrauch der Präpositionen so wichtige Gegensatz von Ruhe und Bewegung von der Zigeunersprache nirgend bezeichnet wird; auch der Sanskrit und seine indischen Töchter sind in dieser Beziehung unvollkommen. Die Conjunctio- nen aber, Wörter, bei deren Cultur gesellige Bildung und logische Schärfe ganz vor¬ züglich thätig sind, erscheinen sehr mangelhaft und wild; viele sind den anderen Völ¬ kern genommen, in deren Methode zu denken und zu sprechen sich die einzelnen Banden einlebten. So erscheint auch der grammatische Bau der Zigeunersprache durchlöchert, ärmlich und verfallen, wie das Leben Aller, welche in dieser Sprache denken, ver¬ kehren, lachen und weinen. Die Forschungen von Herrn Pott sind deshalb nicht weniger dankenswerth. Deun der würde irren, welcher glaubte, daß der Haupt- nutzen der mühsamen und langwierigen Arbeit gewesen sei, zu ermitteln, in wel¬ chem Jargon einige hundert Lumpen und. Gauner sich unterhalten; der große Zweck aller Forschungen über die Zigeuner ist: die Gesetze festzustellen, nach wel¬ chen die Desiguration und Auflösung einer Völkerseele durch übermächtiges Ein¬ dringen fremder Culturen vor sich ging, und diese Völkcrseele in allen ihren Lebensäußerungen aus der Bahn des Verderbens zu verstehen. Daß die Beob¬ achtungen und Erfahrungen, welche in diesem bestimmten Fall gemacht werden, außerdem anregend und aufklärend auf viele andere Gebiete der geschichtlichen Forschung, wirken, versteht sich von selbst. Und die Wissenschaft soll in ihrem Bereich überall keine Räthsel dulden. Neue Tendenzen der französischen Novellistik. Die Aufnahme Alfred de Mnsser's in die französische Akademie wäre als ein charakteristisches Zeichen für die gegenwärtige Stimmung in Bezug auf die schöne Literatur zu betrachten, wenn es überhaupt möglich wäre, für die Handlungsweise dieser berühmten Körperschaft irgend ein festes Princip aufzufinden. Freilich soll sie die Sommitäten jeder beliebigen Richtung in sich aufnehmen, aber das ist ein Begriff, der sich schwerlich einer festen Regel bequemt. Die Akademie hat in früheren Zeiten für die Entwickelung der französischen Literatur eine große Be¬ deutung gehabt; sie stellte den ununterbrochenen Fortgang der Tradition in den Begriffen vom Schönen dar. Wenn anch in früheren Zeiten gerade die beten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/428>, abgerufen am 27.04.2024.