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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Kunstbericht aus Berlin

Ich habe die Absicht, Ihnen heute in bunter Reihe verschiedene Erscheinun¬
gen des Berliner Kunstlebens zu schildern. Zunächst eine einfache Schilderung der
Frescomalereien im sogenannten Campo santo des im Bau begriffenen neuen
Domes, deren Cartons von Cornelius herrühren und deren malerische Ausführung
er leitet und überwacht.

Die Halle des Friedhofs zieht sich an den vier inneren Wänden des großen
Nebenbaues zum Dome entlang und bedingt so eine vierfache Theilung des Ge¬
mälde-Cyklus. Die Darstellungen sollen auf der gegen Osten belegenen Wand
mit der Geburt Christi beginnen, dessen ganzen Lebenslauf, Lehren und Hand¬
lungen, so wie die geschichtliche Entwickelung des Christenthums bis zum jüngsten
Tage schildern. Ueber die künstlerische Ausführung dieser Grundidee in den für
die ersten drei Wände bestimmten Bildern vermag ich uoch keine Mittheilung zu
machen. Dagegen waren die Cartons zur vierten Wand im Atelier des Meisters
vor einiger Zeit zu sehen und wurden größtentheils auch schon in Frescofarben
auf die Mauer übertragen. Die Gemälde dieser vierten Wand sind bestimmt,
das Ende des Irdischen und den Uebergang zum Ewigen, die "letzten Dinge"
des Menschengeschlechts zu versinnlichen. Das Gebiet für solche rein phantasti¬
sche Vorstellungen ist natürlich nur die Allegorie der Mystik.

Die Wand ist durch eine Thür in der Mitte in zwei gleiche Hälften getheilt,
deren jede zwei Gemälde - Trilogien (Lünette, Hauptbild, Predelle) enthält.
Die vier Hauptbilder dieser Trilogien haben folgende Gegenstände: die Aufer-
stehung, die neue Jerusalem, das Gleichniß von den klugen und thörichten
Jungfrauen, die apokalyptischen Reiter. In der Auferstehung erblicken wir auf
dem Gipfel eines Felsens den Engel des Gerichts, und unter ihm den Engel
der Gnade, welcher sich zu den Auferstandenen hilfreich niederbeugt. Ringsum
die zur Auferstehung Erwachenden, deren Züge theils die Seligkeit der Hoffnung
auf Gottes Liebe und Barmherzigkeit, theils die Furcht vor der göttlichen Be¬
strafung ihrer Sündenschuld verrathen. Die Lünette darüber zeigt die Vision
des Ezechiel, die Predelle darunter die Pflege der Kranken und die Begrabung
der Todten, wol als menschliches Vorspiel der Auferstehung gedacht. Die
Lünette der folgenden Trilogie stellt den Sturz des Satans dar, dessen Schlan¬
genleib sich unter der Macht zürnender Engel krümmt. Im Hauptbilde tragen
Engel die neue Jerusalem, eine weibliche Gestalt voll milder Hoheit, zu den
Menschen herab, welche durch eine schöne Familiengruppe versinnlicht werden.
Im Kreise der letztern herrscht noch die Trauer, während der himmlische Friede,
die Versöhnung, bereits zu ihnen herniederschwebt. In figurenreicher Komposition
giebt die Predelle eine Darstellung von der Speisung der Hungrigen. Die


Kunstbericht aus Berlin

Ich habe die Absicht, Ihnen heute in bunter Reihe verschiedene Erscheinun¬
gen des Berliner Kunstlebens zu schildern. Zunächst eine einfache Schilderung der
Frescomalereien im sogenannten Campo santo des im Bau begriffenen neuen
Domes, deren Cartons von Cornelius herrühren und deren malerische Ausführung
er leitet und überwacht.

Die Halle des Friedhofs zieht sich an den vier inneren Wänden des großen
Nebenbaues zum Dome entlang und bedingt so eine vierfache Theilung des Ge¬
mälde-Cyklus. Die Darstellungen sollen auf der gegen Osten belegenen Wand
mit der Geburt Christi beginnen, dessen ganzen Lebenslauf, Lehren und Hand¬
lungen, so wie die geschichtliche Entwickelung des Christenthums bis zum jüngsten
Tage schildern. Ueber die künstlerische Ausführung dieser Grundidee in den für
die ersten drei Wände bestimmten Bildern vermag ich uoch keine Mittheilung zu
machen. Dagegen waren die Cartons zur vierten Wand im Atelier des Meisters
vor einiger Zeit zu sehen und wurden größtentheils auch schon in Frescofarben
auf die Mauer übertragen. Die Gemälde dieser vierten Wand sind bestimmt,
das Ende des Irdischen und den Uebergang zum Ewigen, die „letzten Dinge"
des Menschengeschlechts zu versinnlichen. Das Gebiet für solche rein phantasti¬
sche Vorstellungen ist natürlich nur die Allegorie der Mystik.

Die Wand ist durch eine Thür in der Mitte in zwei gleiche Hälften getheilt,
deren jede zwei Gemälde - Trilogien (Lünette, Hauptbild, Predelle) enthält.
Die vier Hauptbilder dieser Trilogien haben folgende Gegenstände: die Aufer-
stehung, die neue Jerusalem, das Gleichniß von den klugen und thörichten
Jungfrauen, die apokalyptischen Reiter. In der Auferstehung erblicken wir auf
dem Gipfel eines Felsens den Engel des Gerichts, und unter ihm den Engel
der Gnade, welcher sich zu den Auferstandenen hilfreich niederbeugt. Ringsum
die zur Auferstehung Erwachenden, deren Züge theils die Seligkeit der Hoffnung
auf Gottes Liebe und Barmherzigkeit, theils die Furcht vor der göttlichen Be¬
strafung ihrer Sündenschuld verrathen. Die Lünette darüber zeigt die Vision
des Ezechiel, die Predelle darunter die Pflege der Kranken und die Begrabung
der Todten, wol als menschliches Vorspiel der Auferstehung gedacht. Die
Lünette der folgenden Trilogie stellt den Sturz des Satans dar, dessen Schlan¬
genleib sich unter der Macht zürnender Engel krümmt. Im Hauptbilde tragen
Engel die neue Jerusalem, eine weibliche Gestalt voll milder Hoheit, zu den
Menschen herab, welche durch eine schöne Familiengruppe versinnlicht werden.
Im Kreise der letztern herrscht noch die Trauer, während der himmlische Friede,
die Versöhnung, bereits zu ihnen herniederschwebt. In figurenreicher Komposition
giebt die Predelle eine Darstellung von der Speisung der Hungrigen. Die


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[0464] Kunstbericht aus Berlin Ich habe die Absicht, Ihnen heute in bunter Reihe verschiedene Erscheinun¬ gen des Berliner Kunstlebens zu schildern. Zunächst eine einfache Schilderung der Frescomalereien im sogenannten Campo santo des im Bau begriffenen neuen Domes, deren Cartons von Cornelius herrühren und deren malerische Ausführung er leitet und überwacht. Die Halle des Friedhofs zieht sich an den vier inneren Wänden des großen Nebenbaues zum Dome entlang und bedingt so eine vierfache Theilung des Ge¬ mälde-Cyklus. Die Darstellungen sollen auf der gegen Osten belegenen Wand mit der Geburt Christi beginnen, dessen ganzen Lebenslauf, Lehren und Hand¬ lungen, so wie die geschichtliche Entwickelung des Christenthums bis zum jüngsten Tage schildern. Ueber die künstlerische Ausführung dieser Grundidee in den für die ersten drei Wände bestimmten Bildern vermag ich uoch keine Mittheilung zu machen. Dagegen waren die Cartons zur vierten Wand im Atelier des Meisters vor einiger Zeit zu sehen und wurden größtentheils auch schon in Frescofarben auf die Mauer übertragen. Die Gemälde dieser vierten Wand sind bestimmt, das Ende des Irdischen und den Uebergang zum Ewigen, die „letzten Dinge" des Menschengeschlechts zu versinnlichen. Das Gebiet für solche rein phantasti¬ sche Vorstellungen ist natürlich nur die Allegorie der Mystik. Die Wand ist durch eine Thür in der Mitte in zwei gleiche Hälften getheilt, deren jede zwei Gemälde - Trilogien (Lünette, Hauptbild, Predelle) enthält. Die vier Hauptbilder dieser Trilogien haben folgende Gegenstände: die Aufer- stehung, die neue Jerusalem, das Gleichniß von den klugen und thörichten Jungfrauen, die apokalyptischen Reiter. In der Auferstehung erblicken wir auf dem Gipfel eines Felsens den Engel des Gerichts, und unter ihm den Engel der Gnade, welcher sich zu den Auferstandenen hilfreich niederbeugt. Ringsum die zur Auferstehung Erwachenden, deren Züge theils die Seligkeit der Hoffnung auf Gottes Liebe und Barmherzigkeit, theils die Furcht vor der göttlichen Be¬ strafung ihrer Sündenschuld verrathen. Die Lünette darüber zeigt die Vision des Ezechiel, die Predelle darunter die Pflege der Kranken und die Begrabung der Todten, wol als menschliches Vorspiel der Auferstehung gedacht. Die Lünette der folgenden Trilogie stellt den Sturz des Satans dar, dessen Schlan¬ genleib sich unter der Macht zürnender Engel krümmt. Im Hauptbilde tragen Engel die neue Jerusalem, eine weibliche Gestalt voll milder Hoheit, zu den Menschen herab, welche durch eine schöne Familiengruppe versinnlicht werden. Im Kreise der letztern herrscht noch die Trauer, während der himmlische Friede, die Versöhnung, bereits zu ihnen herniederschwebt. In figurenreicher Komposition giebt die Predelle eine Darstellung von der Speisung der Hungrigen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/464>, abgerufen am 27.04.2024.