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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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andere Richtungen beschränkt werden kann. Allerdings aber hat auf der andern
Seite die Hast, mit welcher täglich Neues gesucht, aufgegriffen und verbreitet
wird, auch in der Blumenwelt ihre Uebelstände. Zunächst den, daß vieles
wirklich Schöne als veraltet bei Seite geworfen wird, um Neuem Raum zu
machen.




Benjamin D Jsraeli.

Die Aufnahme D'Jsraeli's in das neue Torycabinet ist ein Ereigniß von
einiger Bedeutung; um so mehr, da erst vor einem Jahre der Contrast zwischen
der Nothwendigkeit, den beredtesten Sprecher der Partei zur Verwaltung zu ziehen,
und dem Widerwillen gegen eine im Ganzen wenig respectable Persönlichkeit den
Versuch, schon damals eine Toryregierung einzurichten, scheitern ließ. D'Jsraeli
ist der Aristokratie nicht blos als Roturier zuwider, der zu keiner der anerkannten
gouvernementalen Familien gehört, sondern vorzugsweise als belletristischer Aben¬
teurer, der sowol durch seine Romane, wie durch seine Parlamentsreden, Stoff zu
unzähligen Caricaturen gegeben hat. Nur der vollständige Mangel an Staats¬
männern sowol wie an geschickten Rednern konnte die hochmüthige Protectionisten-
partei nach Lord Bentinck's Tode bestimmen, sich die factische Führerschaft einer
so zweideutigen Person im Unterhause gefallen zu lassen, und es kam dabei auch
wol noch der Umstand hinzu, daß man damals sehr wenig an die Möglichkeit
eines Toryministeriums glaubte, und sich so das unangenehme Bild eines unsolider
Literaten an der Spitze der Geschäfte nicht ausmalen durfte. D'Jsraeli selbst ist
aber trotz des Spottes, der ihn von allen Seiten traf, in den letzten Jahren
dem Ziel seines Ehrgeizes mit unermüdlicher Ausdauer gefolgt. Er hat den
Blüthenreichthum und die Paradoxien seiner gewöhnlichen Sprache den staats-
männischen Rücksichten geopfert, die der künftige Minister zu nehmen hatte, und
er hat außerdem das für ihn weniger schwere Opfer einer ziemlichen Zahl poli¬
tischer Glaubenssätze gebracht, um nicht seine Zukunft- zu compromittiren.

Benjamin D'Jsraeli ist 1803 geboren, der Sohn des bekannten Literar¬
historikers. Bereits in seinem 18. Jahre (1823) erregte er durch die eigenthüm¬
lichen Ansichten, die er in dem Roman "Vivian Grey" aussprach, nicht geringes
Aufsehen. In den Jahren 1826--1831 machte er eine große Reise durch Italien,
die Türkei, Aegypten, Syrien ze. Nach seiner Rückkehr 1831, in einer Zeit, wo
durch die Einführung der Reformbill die alten politischen Verhältnisse vollständig
umgestaltet waren, trat er in den Deputirtenwahlen als Candidat auf, und legte
ein Programm vor, welches sich durch eine heftige Polemik gegen die Whigs
auszeichnete, aber wenigstens dem Anschein nach nicht im Sinn der torystischen
Opposition, sondern im Sinn des Radicalismus. Darum ließ er sich seinen


andere Richtungen beschränkt werden kann. Allerdings aber hat auf der andern
Seite die Hast, mit welcher täglich Neues gesucht, aufgegriffen und verbreitet
wird, auch in der Blumenwelt ihre Uebelstände. Zunächst den, daß vieles
wirklich Schöne als veraltet bei Seite geworfen wird, um Neuem Raum zu
machen.




Benjamin D Jsraeli.

Die Aufnahme D'Jsraeli's in das neue Torycabinet ist ein Ereigniß von
einiger Bedeutung; um so mehr, da erst vor einem Jahre der Contrast zwischen
der Nothwendigkeit, den beredtesten Sprecher der Partei zur Verwaltung zu ziehen,
und dem Widerwillen gegen eine im Ganzen wenig respectable Persönlichkeit den
Versuch, schon damals eine Toryregierung einzurichten, scheitern ließ. D'Jsraeli
ist der Aristokratie nicht blos als Roturier zuwider, der zu keiner der anerkannten
gouvernementalen Familien gehört, sondern vorzugsweise als belletristischer Aben¬
teurer, der sowol durch seine Romane, wie durch seine Parlamentsreden, Stoff zu
unzähligen Caricaturen gegeben hat. Nur der vollständige Mangel an Staats¬
männern sowol wie an geschickten Rednern konnte die hochmüthige Protectionisten-
partei nach Lord Bentinck's Tode bestimmen, sich die factische Führerschaft einer
so zweideutigen Person im Unterhause gefallen zu lassen, und es kam dabei auch
wol noch der Umstand hinzu, daß man damals sehr wenig an die Möglichkeit
eines Toryministeriums glaubte, und sich so das unangenehme Bild eines unsolider
Literaten an der Spitze der Geschäfte nicht ausmalen durfte. D'Jsraeli selbst ist
aber trotz des Spottes, der ihn von allen Seiten traf, in den letzten Jahren
dem Ziel seines Ehrgeizes mit unermüdlicher Ausdauer gefolgt. Er hat den
Blüthenreichthum und die Paradoxien seiner gewöhnlichen Sprache den staats-
männischen Rücksichten geopfert, die der künftige Minister zu nehmen hatte, und
er hat außerdem das für ihn weniger schwere Opfer einer ziemlichen Zahl poli¬
tischer Glaubenssätze gebracht, um nicht seine Zukunft- zu compromittiren.

Benjamin D'Jsraeli ist 1803 geboren, der Sohn des bekannten Literar¬
historikers. Bereits in seinem 18. Jahre (1823) erregte er durch die eigenthüm¬
lichen Ansichten, die er in dem Roman „Vivian Grey" aussprach, nicht geringes
Aufsehen. In den Jahren 1826—1831 machte er eine große Reise durch Italien,
die Türkei, Aegypten, Syrien ze. Nach seiner Rückkehr 1831, in einer Zeit, wo
durch die Einführung der Reformbill die alten politischen Verhältnisse vollständig
umgestaltet waren, trat er in den Deputirtenwahlen als Candidat auf, und legte
ein Programm vor, welches sich durch eine heftige Polemik gegen die Whigs
auszeichnete, aber wenigstens dem Anschein nach nicht im Sinn der torystischen
Opposition, sondern im Sinn des Radicalismus. Darum ließ er sich seinen


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[0480] andere Richtungen beschränkt werden kann. Allerdings aber hat auf der andern Seite die Hast, mit welcher täglich Neues gesucht, aufgegriffen und verbreitet wird, auch in der Blumenwelt ihre Uebelstände. Zunächst den, daß vieles wirklich Schöne als veraltet bei Seite geworfen wird, um Neuem Raum zu machen. Benjamin D Jsraeli. Die Aufnahme D'Jsraeli's in das neue Torycabinet ist ein Ereigniß von einiger Bedeutung; um so mehr, da erst vor einem Jahre der Contrast zwischen der Nothwendigkeit, den beredtesten Sprecher der Partei zur Verwaltung zu ziehen, und dem Widerwillen gegen eine im Ganzen wenig respectable Persönlichkeit den Versuch, schon damals eine Toryregierung einzurichten, scheitern ließ. D'Jsraeli ist der Aristokratie nicht blos als Roturier zuwider, der zu keiner der anerkannten gouvernementalen Familien gehört, sondern vorzugsweise als belletristischer Aben¬ teurer, der sowol durch seine Romane, wie durch seine Parlamentsreden, Stoff zu unzähligen Caricaturen gegeben hat. Nur der vollständige Mangel an Staats¬ männern sowol wie an geschickten Rednern konnte die hochmüthige Protectionisten- partei nach Lord Bentinck's Tode bestimmen, sich die factische Führerschaft einer so zweideutigen Person im Unterhause gefallen zu lassen, und es kam dabei auch wol noch der Umstand hinzu, daß man damals sehr wenig an die Möglichkeit eines Toryministeriums glaubte, und sich so das unangenehme Bild eines unsolider Literaten an der Spitze der Geschäfte nicht ausmalen durfte. D'Jsraeli selbst ist aber trotz des Spottes, der ihn von allen Seiten traf, in den letzten Jahren dem Ziel seines Ehrgeizes mit unermüdlicher Ausdauer gefolgt. Er hat den Blüthenreichthum und die Paradoxien seiner gewöhnlichen Sprache den staats- männischen Rücksichten geopfert, die der künftige Minister zu nehmen hatte, und er hat außerdem das für ihn weniger schwere Opfer einer ziemlichen Zahl poli¬ tischer Glaubenssätze gebracht, um nicht seine Zukunft- zu compromittiren. Benjamin D'Jsraeli ist 1803 geboren, der Sohn des bekannten Literar¬ historikers. Bereits in seinem 18. Jahre (1823) erregte er durch die eigenthüm¬ lichen Ansichten, die er in dem Roman „Vivian Grey" aussprach, nicht geringes Aufsehen. In den Jahren 1826—1831 machte er eine große Reise durch Italien, die Türkei, Aegypten, Syrien ze. Nach seiner Rückkehr 1831, in einer Zeit, wo durch die Einführung der Reformbill die alten politischen Verhältnisse vollständig umgestaltet waren, trat er in den Deputirtenwahlen als Candidat auf, und legte ein Programm vor, welches sich durch eine heftige Polemik gegen die Whigs auszeichnete, aber wenigstens dem Anschein nach nicht im Sinn der torystischen Opposition, sondern im Sinn des Radicalismus. Darum ließ er sich seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/480>, abgerufen am 27.04.2024.