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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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am besten mit den Einwohnern zurecht gefunden. Sporadisch erscheinen sie in
allen übrigen Ländern, mit einer Art Organisation noch in England, wo gegen¬
wärtig eine Tochter aus dem Zigeuuergeschlecht der Lech Zigeuuerköuigin ist. In
Spanien haben sie viel von ihrem Trotz und asiatischer Wildheit bewahrt, sind
nach der Berberei herüber gegangen und nach den Nachrichten einzelner Reisen¬
den auch nach Mexico. So sollen dort z. B. die Einwohner von Jalapa von
Zigeunerblut stammen. Bei ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit scheint ihre
originelle Existenz noch auf Jahrhunderte gestcherr, obgleich die Alles nivellirende
Civilisation auch ihre verstockten Seelen ergriffen hat, und der Hoffnung Raum
läßt, daß auch ihre auffallende Eigenthümlichkeit, welche jetzt den Reisenden über¬
rascht und den Forscher reizt, in dem großen Strome abendländischer Cultur
endlich untergehen wird.




Die Parteien in Cngland.
Erster Artikel.
Die Whigs und die Tories.
I. Die Whigs.

Whigs, Tories und Radicale, oder conservative Protectionisten, Peeliten
und liberale Freihändler sind gemeinhin die Kategorien, in welche man die
Parteien des englischen Parlaments sondert. Sie reichen auch für das gewöhnliche
Bedürfniß aus, aber nicht, wenn man Aufschluß verlangt über die gegenwärtige
Lage Englands, wo keine Partei im Parlament sich einer compacten Majorität
erfreut, und wo so eben das Ministerium der talentvollsten und stärksten Fraction
einem Ministerium gewichen ist, welches der öffentlichen Meinung gegenüber
als ein Spott erscheint, und im Unterhause eben so sehr an Mangel an Kapacitäten,
wie an numerischer Bedeutung leidet. Erst nach einer Prüfung der Entstehung
und Bestandtheile der einzelnen Parteien wird man diese Anomalie erklärlich finden.
Wir beginnen mit den Whigs, weil sie immer noch die angesehenste und zahl¬
reichste Partei im Hause sind, und weil sie als Partei noch am meisten eine
Zukunft haben, wenn auch die gegenwärtigen Führer bald aus dem politischen
Treiben zurücktreten sollten.

Der Name Whig ist ältern Ursprungs, aber den eigentlichen Kern der gegen¬
wärtigen Whigpartei bilden die Adelsfamilien, welche, um die protestantische Kirche
vordem hinterlistigen Bekehrungseifer, und die englische Freiheit vor den tyrannischen
Gelüsten des selbst das Bündniß mit dem Landesfeind nicht scheuenden Jakob U.
zu retten, Wilhelm UI. von Oranien auf den Thron hoben, und welche, nachdem sie
in den letzen Regiernngsjcchren Anna's noch einmal um ihre politische Existenz hatten


am besten mit den Einwohnern zurecht gefunden. Sporadisch erscheinen sie in
allen übrigen Ländern, mit einer Art Organisation noch in England, wo gegen¬
wärtig eine Tochter aus dem Zigeuuergeschlecht der Lech Zigeuuerköuigin ist. In
Spanien haben sie viel von ihrem Trotz und asiatischer Wildheit bewahrt, sind
nach der Berberei herüber gegangen und nach den Nachrichten einzelner Reisen¬
den auch nach Mexico. So sollen dort z. B. die Einwohner von Jalapa von
Zigeunerblut stammen. Bei ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit scheint ihre
originelle Existenz noch auf Jahrhunderte gestcherr, obgleich die Alles nivellirende
Civilisation auch ihre verstockten Seelen ergriffen hat, und der Hoffnung Raum
läßt, daß auch ihre auffallende Eigenthümlichkeit, welche jetzt den Reisenden über¬
rascht und den Forscher reizt, in dem großen Strome abendländischer Cultur
endlich untergehen wird.




Die Parteien in Cngland.
Erster Artikel.
Die Whigs und die Tories.
I. Die Whigs.

Whigs, Tories und Radicale, oder conservative Protectionisten, Peeliten
und liberale Freihändler sind gemeinhin die Kategorien, in welche man die
Parteien des englischen Parlaments sondert. Sie reichen auch für das gewöhnliche
Bedürfniß aus, aber nicht, wenn man Aufschluß verlangt über die gegenwärtige
Lage Englands, wo keine Partei im Parlament sich einer compacten Majorität
erfreut, und wo so eben das Ministerium der talentvollsten und stärksten Fraction
einem Ministerium gewichen ist, welches der öffentlichen Meinung gegenüber
als ein Spott erscheint, und im Unterhause eben so sehr an Mangel an Kapacitäten,
wie an numerischer Bedeutung leidet. Erst nach einer Prüfung der Entstehung
und Bestandtheile der einzelnen Parteien wird man diese Anomalie erklärlich finden.
Wir beginnen mit den Whigs, weil sie immer noch die angesehenste und zahl¬
reichste Partei im Hause sind, und weil sie als Partei noch am meisten eine
Zukunft haben, wenn auch die gegenwärtigen Führer bald aus dem politischen
Treiben zurücktreten sollten.

Der Name Whig ist ältern Ursprungs, aber den eigentlichen Kern der gegen¬
wärtigen Whigpartei bilden die Adelsfamilien, welche, um die protestantische Kirche
vordem hinterlistigen Bekehrungseifer, und die englische Freiheit vor den tyrannischen
Gelüsten des selbst das Bündniß mit dem Landesfeind nicht scheuenden Jakob U.
zu retten, Wilhelm UI. von Oranien auf den Thron hoben, und welche, nachdem sie
in den letzen Regiernngsjcchren Anna's noch einmal um ihre politische Existenz hatten


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[0511] am besten mit den Einwohnern zurecht gefunden. Sporadisch erscheinen sie in allen übrigen Ländern, mit einer Art Organisation noch in England, wo gegen¬ wärtig eine Tochter aus dem Zigeuuergeschlecht der Lech Zigeuuerköuigin ist. In Spanien haben sie viel von ihrem Trotz und asiatischer Wildheit bewahrt, sind nach der Berberei herüber gegangen und nach den Nachrichten einzelner Reisen¬ den auch nach Mexico. So sollen dort z. B. die Einwohner von Jalapa von Zigeunerblut stammen. Bei ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit scheint ihre originelle Existenz noch auf Jahrhunderte gestcherr, obgleich die Alles nivellirende Civilisation auch ihre verstockten Seelen ergriffen hat, und der Hoffnung Raum läßt, daß auch ihre auffallende Eigenthümlichkeit, welche jetzt den Reisenden über¬ rascht und den Forscher reizt, in dem großen Strome abendländischer Cultur endlich untergehen wird. Die Parteien in Cngland. Erster Artikel. Die Whigs und die Tories. I. Die Whigs. Whigs, Tories und Radicale, oder conservative Protectionisten, Peeliten und liberale Freihändler sind gemeinhin die Kategorien, in welche man die Parteien des englischen Parlaments sondert. Sie reichen auch für das gewöhnliche Bedürfniß aus, aber nicht, wenn man Aufschluß verlangt über die gegenwärtige Lage Englands, wo keine Partei im Parlament sich einer compacten Majorität erfreut, und wo so eben das Ministerium der talentvollsten und stärksten Fraction einem Ministerium gewichen ist, welches der öffentlichen Meinung gegenüber als ein Spott erscheint, und im Unterhause eben so sehr an Mangel an Kapacitäten, wie an numerischer Bedeutung leidet. Erst nach einer Prüfung der Entstehung und Bestandtheile der einzelnen Parteien wird man diese Anomalie erklärlich finden. Wir beginnen mit den Whigs, weil sie immer noch die angesehenste und zahl¬ reichste Partei im Hause sind, und weil sie als Partei noch am meisten eine Zukunft haben, wenn auch die gegenwärtigen Führer bald aus dem politischen Treiben zurücktreten sollten. Der Name Whig ist ältern Ursprungs, aber den eigentlichen Kern der gegen¬ wärtigen Whigpartei bilden die Adelsfamilien, welche, um die protestantische Kirche vordem hinterlistigen Bekehrungseifer, und die englische Freiheit vor den tyrannischen Gelüsten des selbst das Bündniß mit dem Landesfeind nicht scheuenden Jakob U. zu retten, Wilhelm UI. von Oranien auf den Thron hoben, und welche, nachdem sie in den letzen Regiernngsjcchren Anna's noch einmal um ihre politische Existenz hatten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/511>, abgerufen am 27.04.2024.