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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Bemerkungen über das Wesen der damaligen Bildung darin enthalten, und wir
lernen einen Dichter, dessen Werken wir nur eine sehr bedingte Anerkennung zu
Theil werden lassen konnten, als Mann von Charakter, Geist, Herz und Bildung
ehren und schätzen.




Die Concertsaison 1831--32 in Leipzig.
i.

Auch diesmal dürfen wir mit Stolz zurückschauen, theils wegen der viel¬
seitigen Genüsse, welche durch die Sorgfalt der Direction geboten wurden, theils
wegen der ernsthaften und hingebenden Theilnahme des Publicums. Die letztere
ist nicht hoch genug anzuschlagen, denn es gehört ein hoher Grad von Interesse
dazu, durch die übermäßige Menge von verschiedenartigen musikalischen Auffüh¬
rungen mit gleicher Kraft auszudauern. Zwei und zwanzig große Concerte im
Gewandhause, nenn des Musikvereins Euterpe, dazu eine nicht geringe Anzahl
von Extraconcerten; welche Stadt Deutschlands vermöchte eine gleiche Summe
auszuweisen? Und doch ist im Verhältniß zu den früheren Jahrgängen eine Mäßi¬
gung eingetreten, da seit zwei Jahren die Concerte der reisenden Virtuosen gänzlich
weggefallen sind. Unsre Stadt bietet diesen altmodischen Wandervögeln keine
Anziehungspunkte mehr. Das Publicum, seit Jahren daran gewöhnt, in den
Abvnnementsauffnhrungen die besseren Künstler der ganzen Welt zu hören, verschließt
Herz und Beutel hartnäckig allen Lockungen dieser streichenden, hämmernden und
singenden Sirenen. Man ist endlich müde geworden, leere Kunstfertigkeit zu be¬
wundern, und die allgemeinere Verbreitung der Technik hat die mystische Ehrfurcht
vor dem Virtuosenthum aufgehoben. Möchte doch ein zweiter Uebelstand sich
eben so leicht heben lassen: die übertriebene Neigung des Publicums zu
allerhand uuiuteressantem Singsang. Die diesjährige Praxis der Gewandhaus¬
concerte hat nur zu deutlich die Gebrechen an den Tag gebracht, an denen unsre
Gesangskunst leidet. Man hat von allen Enden die singenden Künstler herbeige¬
zogen, aber nur wenige unter ihnen zeigten sich des hohen Namens werth, der
ihnen durch eine liebedienerische und kenntnißlose Kritik beigelegt war. Der frü¬
here Gebrauch, eine oder höchstens zwei Sängerinnen für die Saison fest anzu¬
stellen, bot zwar weniger Abwechselung dar, allein er hatte das Gute für sich, daß
die Directionen mit größerer Sorgfalt bei dem Engagement der Künstlerinnen
zu verfahren genöthigt waren, daß außerdem der Dirigent mit ihnen ein besseres
Programm verabreden konnte, und deshalb mehr Planmäßigkeit und innere
Uebereinstimmung in die Aufführungen hineingetragen wurde. Es wäre ungerecht,
die gerügten Uebelstände allein aus die Direction wälzen zu wollen. Der Mangel


Bemerkungen über das Wesen der damaligen Bildung darin enthalten, und wir
lernen einen Dichter, dessen Werken wir nur eine sehr bedingte Anerkennung zu
Theil werden lassen konnten, als Mann von Charakter, Geist, Herz und Bildung
ehren und schätzen.




Die Concertsaison 1831—32 in Leipzig.
i.

Auch diesmal dürfen wir mit Stolz zurückschauen, theils wegen der viel¬
seitigen Genüsse, welche durch die Sorgfalt der Direction geboten wurden, theils
wegen der ernsthaften und hingebenden Theilnahme des Publicums. Die letztere
ist nicht hoch genug anzuschlagen, denn es gehört ein hoher Grad von Interesse
dazu, durch die übermäßige Menge von verschiedenartigen musikalischen Auffüh¬
rungen mit gleicher Kraft auszudauern. Zwei und zwanzig große Concerte im
Gewandhause, nenn des Musikvereins Euterpe, dazu eine nicht geringe Anzahl
von Extraconcerten; welche Stadt Deutschlands vermöchte eine gleiche Summe
auszuweisen? Und doch ist im Verhältniß zu den früheren Jahrgängen eine Mäßi¬
gung eingetreten, da seit zwei Jahren die Concerte der reisenden Virtuosen gänzlich
weggefallen sind. Unsre Stadt bietet diesen altmodischen Wandervögeln keine
Anziehungspunkte mehr. Das Publicum, seit Jahren daran gewöhnt, in den
Abvnnementsauffnhrungen die besseren Künstler der ganzen Welt zu hören, verschließt
Herz und Beutel hartnäckig allen Lockungen dieser streichenden, hämmernden und
singenden Sirenen. Man ist endlich müde geworden, leere Kunstfertigkeit zu be¬
wundern, und die allgemeinere Verbreitung der Technik hat die mystische Ehrfurcht
vor dem Virtuosenthum aufgehoben. Möchte doch ein zweiter Uebelstand sich
eben so leicht heben lassen: die übertriebene Neigung des Publicums zu
allerhand uuiuteressantem Singsang. Die diesjährige Praxis der Gewandhaus¬
concerte hat nur zu deutlich die Gebrechen an den Tag gebracht, an denen unsre
Gesangskunst leidet. Man hat von allen Enden die singenden Künstler herbeige¬
zogen, aber nur wenige unter ihnen zeigten sich des hohen Namens werth, der
ihnen durch eine liebedienerische und kenntnißlose Kritik beigelegt war. Der frü¬
here Gebrauch, eine oder höchstens zwei Sängerinnen für die Saison fest anzu¬
stellen, bot zwar weniger Abwechselung dar, allein er hatte das Gute für sich, daß
die Directionen mit größerer Sorgfalt bei dem Engagement der Künstlerinnen
zu verfahren genöthigt waren, daß außerdem der Dirigent mit ihnen ein besseres
Programm verabreden konnte, und deshalb mehr Planmäßigkeit und innere
Uebereinstimmung in die Aufführungen hineingetragen wurde. Es wäre ungerecht,
die gerügten Uebelstände allein aus die Direction wälzen zu wollen. Der Mangel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/226>, abgerufen am 02.05.2024.