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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Pariser Salon von 1852.

Der Moniteur hat uns in nicht geringe Unruhe versetzt, er hat uns um eine
Enttäuschung reicher gemacht. Der Monat Mai wird nicht zugleich der Frühling des
jungen Kaiserreichs, der junge Adler vom 10. Mai nicht der Phönix sein, in
dem der reiche Glanz des alten Napoleonischen empire wieder erstehen soll.
Die prosaische Diplomatie ist unsrem poetischen Bonapartismus in den Weg ge¬
treten, und sie hat die Naivetät begangen, den politischen Romantikern des offi-
ciellen Frankreichs das elastische Gebot der Wiener Verträge vorzuhalten. . Die
russischen und preußischen Regierungen haben zwar Nichts dagegen einzuwenden,
wenn Louis Bonaparte eine Krone nicht als zu große Belohnung für seine der
Ordnung und der heiligen Reactions-Allianz geleisteten Dienste betrachtet, allein
sie bestehen darauf, daß sich der Neffe des Onkels, der.Prinzpräsidcnt der Re¬
publik, eine neue Krone vom freigebigen Sulu-age universal schenken lasse. Sie
wollen wie jener Wiener Schusterbube, daß Louis Bonaparte, wenn er schon
ein kaiserliches Lied singen will, sich dasselbe selbst anfange, und nicht das von
Napoleon begonnene blos fortsetze. So bringt uns die rücksichtslose Diplomatie
mit ihren' Congreßspitzfindigkeiten um unser Prvphetenthnm. Wie soll man da
noch Lust bekommen, dem bleich- und sinM-s-süchtigen Frankreich an den Puls zu
sühlen, wenn diese diplomatischen Quacksalber gleich hinterdrein kommen und unsre
nach allen Regeln der politischen Symptomatik scharfsinnig zusammengestellte
Diagnose zu Schanden machen! Ich kehre reuigen Gemüths wieder zur
Kunst zurück.

Die Regierung hat der Kritik und dem Beschauer die Arbeit diesmal bedeu¬
tend erleichtert, indem die zum großen Theile von ihr ernannte Jury die Ein-,
trittspsorte in das officielle Heiligthum der Kunst ziemlich enge machte. Von
fünftausend eingeschickten Bildern wurden blos dreizehnhundert angenommen, und
wenn wir die vielen mittelmäßigen Kunstwerke betrachten, die man dem Publicum
nicht vorenthalten zu dürfen glaubte, müssen wir gestehen, daß der Kunstrichter¬
ausschuß nicht zu streng gewesen war, obgleich wir hiermit nicht auch die Bürg¬
schaft sür dessen Unparteilichkeit übernommen 'haben wollen.

Der allgemeine Eindruck, den die gegenwärtige Ausstellung macht, ist ein ganz
verschiedener von dem der vorjährigen. Wenn uns damals die Kundgebung eines
reichen, vielstrebenden Kunstlebens überwältigte, so bleiben wir diesmal in jeder
Beziehung nüchtern. Es läßt sich schwer ein Mittelpunkt des allgemeinen Kunst-
strebens auffinden, und von dem Jdeenkamps der verschiedenen Schulen, wie ihn
der Salon vom Jahre 1831 bekundete, ist keine Spur zu finden. Die Ausstellung
bietet ein zufälliges ?öl-z-ins1s von mehr oder weniger gelungenen Bildern, aber
sie ist nicht der Ausdruck eines organischen Zusammenwirkens, wie man es in


Pariser Salon von 1852.

Der Moniteur hat uns in nicht geringe Unruhe versetzt, er hat uns um eine
Enttäuschung reicher gemacht. Der Monat Mai wird nicht zugleich der Frühling des
jungen Kaiserreichs, der junge Adler vom 10. Mai nicht der Phönix sein, in
dem der reiche Glanz des alten Napoleonischen empire wieder erstehen soll.
Die prosaische Diplomatie ist unsrem poetischen Bonapartismus in den Weg ge¬
treten, und sie hat die Naivetät begangen, den politischen Romantikern des offi-
ciellen Frankreichs das elastische Gebot der Wiener Verträge vorzuhalten. . Die
russischen und preußischen Regierungen haben zwar Nichts dagegen einzuwenden,
wenn Louis Bonaparte eine Krone nicht als zu große Belohnung für seine der
Ordnung und der heiligen Reactions-Allianz geleisteten Dienste betrachtet, allein
sie bestehen darauf, daß sich der Neffe des Onkels, der.Prinzpräsidcnt der Re¬
publik, eine neue Krone vom freigebigen Sulu-age universal schenken lasse. Sie
wollen wie jener Wiener Schusterbube, daß Louis Bonaparte, wenn er schon
ein kaiserliches Lied singen will, sich dasselbe selbst anfange, und nicht das von
Napoleon begonnene blos fortsetze. So bringt uns die rücksichtslose Diplomatie
mit ihren' Congreßspitzfindigkeiten um unser Prvphetenthnm. Wie soll man da
noch Lust bekommen, dem bleich- und sinM-s-süchtigen Frankreich an den Puls zu
sühlen, wenn diese diplomatischen Quacksalber gleich hinterdrein kommen und unsre
nach allen Regeln der politischen Symptomatik scharfsinnig zusammengestellte
Diagnose zu Schanden machen! Ich kehre reuigen Gemüths wieder zur
Kunst zurück.

Die Regierung hat der Kritik und dem Beschauer die Arbeit diesmal bedeu¬
tend erleichtert, indem die zum großen Theile von ihr ernannte Jury die Ein-,
trittspsorte in das officielle Heiligthum der Kunst ziemlich enge machte. Von
fünftausend eingeschickten Bildern wurden blos dreizehnhundert angenommen, und
wenn wir die vielen mittelmäßigen Kunstwerke betrachten, die man dem Publicum
nicht vorenthalten zu dürfen glaubte, müssen wir gestehen, daß der Kunstrichter¬
ausschuß nicht zu streng gewesen war, obgleich wir hiermit nicht auch die Bürg¬
schaft sür dessen Unparteilichkeit übernommen 'haben wollen.

Der allgemeine Eindruck, den die gegenwärtige Ausstellung macht, ist ein ganz
verschiedener von dem der vorjährigen. Wenn uns damals die Kundgebung eines
reichen, vielstrebenden Kunstlebens überwältigte, so bleiben wir diesmal in jeder
Beziehung nüchtern. Es läßt sich schwer ein Mittelpunkt des allgemeinen Kunst-
strebens auffinden, und von dem Jdeenkamps der verschiedenen Schulen, wie ihn
der Salon vom Jahre 1831 bekundete, ist keine Spur zu finden. Die Ausstellung
bietet ein zufälliges ?öl-z-ins1s von mehr oder weniger gelungenen Bildern, aber
sie ist nicht der Ausdruck eines organischen Zusammenwirkens, wie man es in


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[0256] Pariser Salon von 1852. Der Moniteur hat uns in nicht geringe Unruhe versetzt, er hat uns um eine Enttäuschung reicher gemacht. Der Monat Mai wird nicht zugleich der Frühling des jungen Kaiserreichs, der junge Adler vom 10. Mai nicht der Phönix sein, in dem der reiche Glanz des alten Napoleonischen empire wieder erstehen soll. Die prosaische Diplomatie ist unsrem poetischen Bonapartismus in den Weg ge¬ treten, und sie hat die Naivetät begangen, den politischen Romantikern des offi- ciellen Frankreichs das elastische Gebot der Wiener Verträge vorzuhalten. . Die russischen und preußischen Regierungen haben zwar Nichts dagegen einzuwenden, wenn Louis Bonaparte eine Krone nicht als zu große Belohnung für seine der Ordnung und der heiligen Reactions-Allianz geleisteten Dienste betrachtet, allein sie bestehen darauf, daß sich der Neffe des Onkels, der.Prinzpräsidcnt der Re¬ publik, eine neue Krone vom freigebigen Sulu-age universal schenken lasse. Sie wollen wie jener Wiener Schusterbube, daß Louis Bonaparte, wenn er schon ein kaiserliches Lied singen will, sich dasselbe selbst anfange, und nicht das von Napoleon begonnene blos fortsetze. So bringt uns die rücksichtslose Diplomatie mit ihren' Congreßspitzfindigkeiten um unser Prvphetenthnm. Wie soll man da noch Lust bekommen, dem bleich- und sinM-s-süchtigen Frankreich an den Puls zu sühlen, wenn diese diplomatischen Quacksalber gleich hinterdrein kommen und unsre nach allen Regeln der politischen Symptomatik scharfsinnig zusammengestellte Diagnose zu Schanden machen! Ich kehre reuigen Gemüths wieder zur Kunst zurück. Die Regierung hat der Kritik und dem Beschauer die Arbeit diesmal bedeu¬ tend erleichtert, indem die zum großen Theile von ihr ernannte Jury die Ein-, trittspsorte in das officielle Heiligthum der Kunst ziemlich enge machte. Von fünftausend eingeschickten Bildern wurden blos dreizehnhundert angenommen, und wenn wir die vielen mittelmäßigen Kunstwerke betrachten, die man dem Publicum nicht vorenthalten zu dürfen glaubte, müssen wir gestehen, daß der Kunstrichter¬ ausschuß nicht zu streng gewesen war, obgleich wir hiermit nicht auch die Bürg¬ schaft sür dessen Unparteilichkeit übernommen 'haben wollen. Der allgemeine Eindruck, den die gegenwärtige Ausstellung macht, ist ein ganz verschiedener von dem der vorjährigen. Wenn uns damals die Kundgebung eines reichen, vielstrebenden Kunstlebens überwältigte, so bleiben wir diesmal in jeder Beziehung nüchtern. Es läßt sich schwer ein Mittelpunkt des allgemeinen Kunst- strebens auffinden, und von dem Jdeenkamps der verschiedenen Schulen, wie ihn der Salon vom Jahre 1831 bekundete, ist keine Spur zu finden. Die Ausstellung bietet ein zufälliges ?öl-z-ins1s von mehr oder weniger gelungenen Bildern, aber sie ist nicht der Ausdruck eines organischen Zusammenwirkens, wie man es in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/256>, abgerufen am 02.05.2024.