Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Christian August Lobe"L.

Mit Recht ist in diesen Blättern kürzlich darauf hingewiesen worden, daß
Deutschland niemals so sehr als jetzt Grund hatte, den Blick ans seine Wissen¬
schaft, zu richten, mit der wir. uns getrost dem Auslande gegenüberstellen dürfen.
Es bedarf also wol keiner Rechtfertigung, wenn hier der Vorsuch gemacht werden
soll, die wissenschaftliche Bedeutung eines Mannes darzustellen, der vor der deut¬
schen Wissenschaft Achtung einzuflößen geeignet ist wie Wenige, und wer konnte
dazu in höherm Grade geeignet sein als Lobeck? Seine schriftstellerische Thätig¬
keit reicht aber bis an den Anfang dieses Jahrhunderts hinaus, und wurde zum Theil
dnrch die damaligen literarischen und wissenschaftlichen Zustände so unmittelbar
bedingt und veranlaßt, daß diese zunächst eine kurze Betrachtung erfordern.

Man erinnert sich, wie mit dem Tode Friedrich des Großen über Deutsch¬
land eine neue Dämmerung hereingebrochen war, in der neue Mächte ihr un¬
heimliches Wesen trieben. Ueberall im Gebiete des Geistes sollte die Vernunft
entthront, Glaube Hder Phantasie an ihre Stelle erhoben werden. Unter den
höheren Ständen verbreiteten sich geheime Bündnisse mit weltbeglückenden, aber
in erhabenen Nebel gehüllten Zwecken, die ihre Eingeweihten zu blindem Glauben
an unbekannte Vorgesetzte verpflichteten. Die christliche Orthodoxie nahm eine Mystische
Färbung an, und, mit fanatischer Intoleranz gegen jeden Vernunftglauben ging die
liebreichste Duldsamkeit gegen den Papismus Hand in Hand. In Kunst und Literatur
wurde die neue Botschaft verkündet, daß das künstlerische Schaffen nur aus gläu¬
biger Entzückung hervorgehen könne, alle Künste sollten in der Religion aus- und
untergehen. Von den Einflüssen der nenromantischen Richtung blieb die Wissen¬
schaft nicht unberührt, sollten doch selbst in der Medicin Inspiration und Ahnung
die erfahrungsmäßige Untersuchung verdrängen. Zu der sonnenklaren formenbe¬
stimmten Welt des hellenischen Alterthums fühlten sich begreiflicher Weise die
Apostel und Gläubigen der neuen Lehre nicht hingezogen, und gleichsam um das
Griechenthum zu überbieten, oder doch entbehrlich zu machen, wies Friedrich
Schlegel auf Indien hin, als das Land, wo die in grauer Urzeit verkündete
Offenbarung sich am ungetrübtesten erhalten habe; desgleichen erklärte Schelling,


Gr-nzbotm. II. -1832. 36
Christian August Lobe«L.

Mit Recht ist in diesen Blättern kürzlich darauf hingewiesen worden, daß
Deutschland niemals so sehr als jetzt Grund hatte, den Blick ans seine Wissen¬
schaft, zu richten, mit der wir. uns getrost dem Auslande gegenüberstellen dürfen.
Es bedarf also wol keiner Rechtfertigung, wenn hier der Vorsuch gemacht werden
soll, die wissenschaftliche Bedeutung eines Mannes darzustellen, der vor der deut¬
schen Wissenschaft Achtung einzuflößen geeignet ist wie Wenige, und wer konnte
dazu in höherm Grade geeignet sein als Lobeck? Seine schriftstellerische Thätig¬
keit reicht aber bis an den Anfang dieses Jahrhunderts hinaus, und wurde zum Theil
dnrch die damaligen literarischen und wissenschaftlichen Zustände so unmittelbar
bedingt und veranlaßt, daß diese zunächst eine kurze Betrachtung erfordern.

Man erinnert sich, wie mit dem Tode Friedrich des Großen über Deutsch¬
land eine neue Dämmerung hereingebrochen war, in der neue Mächte ihr un¬
heimliches Wesen trieben. Ueberall im Gebiete des Geistes sollte die Vernunft
entthront, Glaube Hder Phantasie an ihre Stelle erhoben werden. Unter den
höheren Ständen verbreiteten sich geheime Bündnisse mit weltbeglückenden, aber
in erhabenen Nebel gehüllten Zwecken, die ihre Eingeweihten zu blindem Glauben
an unbekannte Vorgesetzte verpflichteten. Die christliche Orthodoxie nahm eine Mystische
Färbung an, und, mit fanatischer Intoleranz gegen jeden Vernunftglauben ging die
liebreichste Duldsamkeit gegen den Papismus Hand in Hand. In Kunst und Literatur
wurde die neue Botschaft verkündet, daß das künstlerische Schaffen nur aus gläu¬
biger Entzückung hervorgehen könne, alle Künste sollten in der Religion aus- und
untergehen. Von den Einflüssen der nenromantischen Richtung blieb die Wissen¬
schaft nicht unberührt, sollten doch selbst in der Medicin Inspiration und Ahnung
die erfahrungsmäßige Untersuchung verdrängen. Zu der sonnenklaren formenbe¬
stimmten Welt des hellenischen Alterthums fühlten sich begreiflicher Weise die
Apostel und Gläubigen der neuen Lehre nicht hingezogen, und gleichsam um das
Griechenthum zu überbieten, oder doch entbehrlich zu machen, wies Friedrich
Schlegel auf Indien hin, als das Land, wo die in grauer Urzeit verkündete
Offenbarung sich am ungetrübtesten erhalten habe; desgleichen erklärte Schelling,


Gr-nzbotm. II. -1832. 36
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94194"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Christian August Lobe«L.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_794"> Mit Recht ist in diesen Blättern kürzlich darauf hingewiesen worden, daß<lb/>
Deutschland niemals so sehr als jetzt Grund hatte, den Blick ans seine Wissen¬<lb/>
schaft, zu richten, mit der wir. uns getrost dem Auslande gegenüberstellen dürfen.<lb/>
Es bedarf also wol keiner Rechtfertigung, wenn hier der Vorsuch gemacht werden<lb/>
soll, die wissenschaftliche Bedeutung eines Mannes darzustellen, der vor der deut¬<lb/>
schen Wissenschaft Achtung einzuflößen geeignet ist wie Wenige, und wer konnte<lb/>
dazu in höherm Grade geeignet sein als Lobeck? Seine schriftstellerische Thätig¬<lb/>
keit reicht aber bis an den Anfang dieses Jahrhunderts hinaus, und wurde zum Theil<lb/>
dnrch die damaligen literarischen und wissenschaftlichen Zustände so unmittelbar<lb/>
bedingt und veranlaßt, daß diese zunächst eine kurze Betrachtung erfordern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_795" next="#ID_796"> Man erinnert sich, wie mit dem Tode Friedrich des Großen über Deutsch¬<lb/>
land eine neue Dämmerung hereingebrochen war, in der neue Mächte ihr un¬<lb/>
heimliches Wesen trieben. Ueberall im Gebiete des Geistes sollte die Vernunft<lb/>
entthront, Glaube Hder Phantasie an ihre Stelle erhoben werden. Unter den<lb/>
höheren Ständen verbreiteten sich geheime Bündnisse mit weltbeglückenden, aber<lb/>
in erhabenen Nebel gehüllten Zwecken, die ihre Eingeweihten zu blindem Glauben<lb/>
an unbekannte Vorgesetzte verpflichteten. Die christliche Orthodoxie nahm eine Mystische<lb/>
Färbung an, und, mit fanatischer Intoleranz gegen jeden Vernunftglauben ging die<lb/>
liebreichste Duldsamkeit gegen den Papismus Hand in Hand. In Kunst und Literatur<lb/>
wurde die neue Botschaft verkündet, daß das künstlerische Schaffen nur aus gläu¬<lb/>
biger Entzückung hervorgehen könne, alle Künste sollten in der Religion aus- und<lb/>
untergehen. Von den Einflüssen der nenromantischen Richtung blieb die Wissen¬<lb/>
schaft nicht unberührt, sollten doch selbst in der Medicin Inspiration und Ahnung<lb/>
die erfahrungsmäßige Untersuchung verdrängen. Zu der sonnenklaren formenbe¬<lb/>
stimmten Welt des hellenischen Alterthums fühlten sich begreiflicher Weise die<lb/>
Apostel und Gläubigen der neuen Lehre nicht hingezogen, und gleichsam um das<lb/>
Griechenthum zu überbieten, oder doch entbehrlich zu machen, wies Friedrich<lb/>
Schlegel auf Indien hin, als das Land, wo die in grauer Urzeit verkündete<lb/>
Offenbarung sich am ungetrübtesten erhalten habe; desgleichen erklärte Schelling,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gr-nzbotm. II. -1832. 36</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Christian August Lobe«L. Mit Recht ist in diesen Blättern kürzlich darauf hingewiesen worden, daß Deutschland niemals so sehr als jetzt Grund hatte, den Blick ans seine Wissen¬ schaft, zu richten, mit der wir. uns getrost dem Auslande gegenüberstellen dürfen. Es bedarf also wol keiner Rechtfertigung, wenn hier der Vorsuch gemacht werden soll, die wissenschaftliche Bedeutung eines Mannes darzustellen, der vor der deut¬ schen Wissenschaft Achtung einzuflößen geeignet ist wie Wenige, und wer konnte dazu in höherm Grade geeignet sein als Lobeck? Seine schriftstellerische Thätig¬ keit reicht aber bis an den Anfang dieses Jahrhunderts hinaus, und wurde zum Theil dnrch die damaligen literarischen und wissenschaftlichen Zustände so unmittelbar bedingt und veranlaßt, daß diese zunächst eine kurze Betrachtung erfordern. Man erinnert sich, wie mit dem Tode Friedrich des Großen über Deutsch¬ land eine neue Dämmerung hereingebrochen war, in der neue Mächte ihr un¬ heimliches Wesen trieben. Ueberall im Gebiete des Geistes sollte die Vernunft entthront, Glaube Hder Phantasie an ihre Stelle erhoben werden. Unter den höheren Ständen verbreiteten sich geheime Bündnisse mit weltbeglückenden, aber in erhabenen Nebel gehüllten Zwecken, die ihre Eingeweihten zu blindem Glauben an unbekannte Vorgesetzte verpflichteten. Die christliche Orthodoxie nahm eine Mystische Färbung an, und, mit fanatischer Intoleranz gegen jeden Vernunftglauben ging die liebreichste Duldsamkeit gegen den Papismus Hand in Hand. In Kunst und Literatur wurde die neue Botschaft verkündet, daß das künstlerische Schaffen nur aus gläu¬ biger Entzückung hervorgehen könne, alle Künste sollten in der Religion aus- und untergehen. Von den Einflüssen der nenromantischen Richtung blieb die Wissen¬ schaft nicht unberührt, sollten doch selbst in der Medicin Inspiration und Ahnung die erfahrungsmäßige Untersuchung verdrängen. Zu der sonnenklaren formenbe¬ stimmten Welt des hellenischen Alterthums fühlten sich begreiflicher Weise die Apostel und Gläubigen der neuen Lehre nicht hingezogen, und gleichsam um das Griechenthum zu überbieten, oder doch entbehrlich zu machen, wies Friedrich Schlegel auf Indien hin, als das Land, wo die in grauer Urzeit verkündete Offenbarung sich am ungetrübtesten erhalten habe; desgleichen erklärte Schelling, Gr-nzbotm. II. -1832. 36

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/293>, abgerufen am 02.05.2024.