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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Vorwort zum neue"" Sen"efter.

Wir haben seit den letzten Monaten in unser Blatt einige Neuerungen
eingeführt, mit denen hoffentlich unsre Leser einverstanden sein werden. Wir
haben den Raum für die eigentliche Politik beschränkt,.und dafür den Schilderungen
aus dem Culturleben der Volker eine größere Ausdehnung gegeben; wir haben
ferner unsre kritischen Aufsätze durch regelmäßige kurze Referate über Musik,
bildende Kunst, Theater, wissenschaftliche und schöne Literatur ergänzt, die nicht
ein abgeschlossenes Urtheil geben, sondern nur die Aufmerksamkeit anregen sollen.
In den drei ersten Fächern streben wir nach einer gewissen Vollständigkeit; in der
Literatur aber ist das nicht wohl möglich: das Feld ist zu umfassend, und unser
Publicum ein zu gemischtes, als daß man in der Auswahl des Interessanten ein
unbedingtes Gesetz verfolgen, könnte. Doch haben wir wenigstens im Allgemeinen
immer ein bestimmtes Bild vor Augen. Unser Zweck ist, auf der einen Seite
die Zeitungen, auf der andern die Fachjournale zu ergänzen, unseren Lesern eine
möglichst reiche Fülle des Materials zu geben, und dabei "doch die Einheit der
kritischen Idee zu bewahren, für die politischen wie für die literarischen Zustände.
Daß ein solcher Zweck nnr annähernd erreicht werden kann, fühlen wir wahrlich
wenigstens eben so lebhaft, als unsre Gegner. , '

Ein streng wissenschaftliches Journal hat eine viel günstigere Stellung. Die
strengwissenschaftliche Literatur bleibt in regelmäßiger Continuität, und sie ist es,
die uns den beständigen Fortschritt der Menschheit vor Augen stellt. Alles, was
durch das Princip der Theilung der Arbeit erreicht werden kann, nimmt in
unsrer Zeit einen erfreulichen Fortgang; aber die geistige Autonomie des Schaffens
wird durch diese Theilung der Arbeit nicht gefördert. Wenn daher die wissen¬
schaftlichen Zeitschriften, in denen jedes neue Resultat des Forschens, so klein und
unscheinbar es sein mag, sich immer als ein Glied eines belebten und sich ent¬
wickelnden Organismus darstellt, einen für die Auffassung des deutschen Geistes¬
lebens sehr befriedigenden Eindruck machen, sind die kritischen Blätter, die sich
mit der allgemeinen Literatur beschäftigen, in einer schlimmen Lage. Was ihnen


Grenzboten, III. -I
Vorwort zum neue»» Sen»efter.

Wir haben seit den letzten Monaten in unser Blatt einige Neuerungen
eingeführt, mit denen hoffentlich unsre Leser einverstanden sein werden. Wir
haben den Raum für die eigentliche Politik beschränkt,.und dafür den Schilderungen
aus dem Culturleben der Volker eine größere Ausdehnung gegeben; wir haben
ferner unsre kritischen Aufsätze durch regelmäßige kurze Referate über Musik,
bildende Kunst, Theater, wissenschaftliche und schöne Literatur ergänzt, die nicht
ein abgeschlossenes Urtheil geben, sondern nur die Aufmerksamkeit anregen sollen.
In den drei ersten Fächern streben wir nach einer gewissen Vollständigkeit; in der
Literatur aber ist das nicht wohl möglich: das Feld ist zu umfassend, und unser
Publicum ein zu gemischtes, als daß man in der Auswahl des Interessanten ein
unbedingtes Gesetz verfolgen, könnte. Doch haben wir wenigstens im Allgemeinen
immer ein bestimmtes Bild vor Augen. Unser Zweck ist, auf der einen Seite
die Zeitungen, auf der andern die Fachjournale zu ergänzen, unseren Lesern eine
möglichst reiche Fülle des Materials zu geben, und dabei «doch die Einheit der
kritischen Idee zu bewahren, für die politischen wie für die literarischen Zustände.
Daß ein solcher Zweck nnr annähernd erreicht werden kann, fühlen wir wahrlich
wenigstens eben so lebhaft, als unsre Gegner. , '

Ein streng wissenschaftliches Journal hat eine viel günstigere Stellung. Die
strengwissenschaftliche Literatur bleibt in regelmäßiger Continuität, und sie ist es,
die uns den beständigen Fortschritt der Menschheit vor Augen stellt. Alles, was
durch das Princip der Theilung der Arbeit erreicht werden kann, nimmt in
unsrer Zeit einen erfreulichen Fortgang; aber die geistige Autonomie des Schaffens
wird durch diese Theilung der Arbeit nicht gefördert. Wenn daher die wissen¬
schaftlichen Zeitschriften, in denen jedes neue Resultat des Forschens, so klein und
unscheinbar es sein mag, sich immer als ein Glied eines belebten und sich ent¬
wickelnden Organismus darstellt, einen für die Auffassung des deutschen Geistes¬
lebens sehr befriedigenden Eindruck machen, sind die kritischen Blätter, die sich
mit der allgemeinen Literatur beschäftigen, in einer schlimmen Lage. Was ihnen


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[0013] Vorwort zum neue»» Sen»efter. Wir haben seit den letzten Monaten in unser Blatt einige Neuerungen eingeführt, mit denen hoffentlich unsre Leser einverstanden sein werden. Wir haben den Raum für die eigentliche Politik beschränkt,.und dafür den Schilderungen aus dem Culturleben der Volker eine größere Ausdehnung gegeben; wir haben ferner unsre kritischen Aufsätze durch regelmäßige kurze Referate über Musik, bildende Kunst, Theater, wissenschaftliche und schöne Literatur ergänzt, die nicht ein abgeschlossenes Urtheil geben, sondern nur die Aufmerksamkeit anregen sollen. In den drei ersten Fächern streben wir nach einer gewissen Vollständigkeit; in der Literatur aber ist das nicht wohl möglich: das Feld ist zu umfassend, und unser Publicum ein zu gemischtes, als daß man in der Auswahl des Interessanten ein unbedingtes Gesetz verfolgen, könnte. Doch haben wir wenigstens im Allgemeinen immer ein bestimmtes Bild vor Augen. Unser Zweck ist, auf der einen Seite die Zeitungen, auf der andern die Fachjournale zu ergänzen, unseren Lesern eine möglichst reiche Fülle des Materials zu geben, und dabei «doch die Einheit der kritischen Idee zu bewahren, für die politischen wie für die literarischen Zustände. Daß ein solcher Zweck nnr annähernd erreicht werden kann, fühlen wir wahrlich wenigstens eben so lebhaft, als unsre Gegner. , ' Ein streng wissenschaftliches Journal hat eine viel günstigere Stellung. Die strengwissenschaftliche Literatur bleibt in regelmäßiger Continuität, und sie ist es, die uns den beständigen Fortschritt der Menschheit vor Augen stellt. Alles, was durch das Princip der Theilung der Arbeit erreicht werden kann, nimmt in unsrer Zeit einen erfreulichen Fortgang; aber die geistige Autonomie des Schaffens wird durch diese Theilung der Arbeit nicht gefördert. Wenn daher die wissen¬ schaftlichen Zeitschriften, in denen jedes neue Resultat des Forschens, so klein und unscheinbar es sein mag, sich immer als ein Glied eines belebten und sich ent¬ wickelnden Organismus darstellt, einen für die Auffassung des deutschen Geistes¬ lebens sehr befriedigenden Eindruck machen, sind die kritischen Blätter, die sich mit der allgemeinen Literatur beschäftigen, in einer schlimmen Lage. Was ihnen Grenzboten, III. -I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/13>, abgerufen am 07.05.2024.