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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Vor zweihundert Jahren und jetzt.

Der muß sehr schwarz sehen, welcher läugnen will, daß Production, Wohlstand
und praktische Intelligenz bei uns im Ganzen in rascker Zunahme begriffen sind.
Der Kern unsres Lebens ist gesund, denn unsre Nation muß jeden Pfennig
erwerben, den sie verzehrt, und producirt jeden ihrer Werthe, ohne durch Gewalt
die freie Production anderer Völker zu beschränken. Es giebt keine Klasse von
Staatsbürgern mehr, deren Erwerb unverhältnißmäßig geringer ist, als der
Werth ihrer Arbeit. Die landwirtschaftliche Production, die Grundlage alles
nationalen Wohlstandes und aller Volkskraft, wächst mit jedem Jahr. Die Verthei-
luug des Ackerbodens, das Verhältniß des großen und kleinen Grundbesitzes ist
-- Deutschland, als Ganzes betrachtet -- durchaus nicht ungünstig für eine schnelle
Vermehrung der arbeitenden Capitalien. Mit jedem Jahr werden die Summen
größer, welche sich in industrielleis Unternehmungen anlegen. Ueber dem Gelehr¬
te"- und Beamtenstande entwickelt sich im Volke eine freie praktische Intelligenz
zwar langsam, aber in stetiger Zunahme. Und doch sind wir noch weit davon
entfernt, eine wohlhabende Nation zu sein und mit Ueberraschung und Schrecken
haben die Deutschen in wenigen Jahren erfahren, daß ihnen noch viel von der '
Bildung, Kraft und sicheren Beurtheilung der edelsten Interessen fehlt, welche,
eine. Nation trotz aller Hindernisse unabhängig, mächtig, gefürchtet'machen. Die
Schriftsteller, welche vor dem Jahr 1848 zum Volke sprachen, hatten gern das
Gegentheil , versichert. Wir waren nicht das reichste Volk der Erde, aber wir
waren so gut geartet, vou so edlem Stamm, so hochgebildet und so klug, daß
es uns auf Erden nicht fehlen konnte, wenn wir nnr einmal recht wollten. Wohl,
wir haben gewollt, und recht von Herzen, und doch war unser Können weit
schwächer, als unser Wollen und ein gutes Theil unsrer Weisheit hat sich als
Thorheit erwiesen. Wenn eine große Nation von. guten Anlagen und reicher
Vergangenheit in irgend einer Periode ihrer Bildung ein so merkwürdiges Miß-


Grenzboten. III. 18!-2, 26
Vor zweihundert Jahren und jetzt.

Der muß sehr schwarz sehen, welcher läugnen will, daß Production, Wohlstand
und praktische Intelligenz bei uns im Ganzen in rascker Zunahme begriffen sind.
Der Kern unsres Lebens ist gesund, denn unsre Nation muß jeden Pfennig
erwerben, den sie verzehrt, und producirt jeden ihrer Werthe, ohne durch Gewalt
die freie Production anderer Völker zu beschränken. Es giebt keine Klasse von
Staatsbürgern mehr, deren Erwerb unverhältnißmäßig geringer ist, als der
Werth ihrer Arbeit. Die landwirtschaftliche Production, die Grundlage alles
nationalen Wohlstandes und aller Volkskraft, wächst mit jedem Jahr. Die Verthei-
luug des Ackerbodens, das Verhältniß des großen und kleinen Grundbesitzes ist
— Deutschland, als Ganzes betrachtet — durchaus nicht ungünstig für eine schnelle
Vermehrung der arbeitenden Capitalien. Mit jedem Jahr werden die Summen
größer, welche sich in industrielleis Unternehmungen anlegen. Ueber dem Gelehr¬
te»- und Beamtenstande entwickelt sich im Volke eine freie praktische Intelligenz
zwar langsam, aber in stetiger Zunahme. Und doch sind wir noch weit davon
entfernt, eine wohlhabende Nation zu sein und mit Ueberraschung und Schrecken
haben die Deutschen in wenigen Jahren erfahren, daß ihnen noch viel von der '
Bildung, Kraft und sicheren Beurtheilung der edelsten Interessen fehlt, welche,
eine. Nation trotz aller Hindernisse unabhängig, mächtig, gefürchtet'machen. Die
Schriftsteller, welche vor dem Jahr 1848 zum Volke sprachen, hatten gern das
Gegentheil , versichert. Wir waren nicht das reichste Volk der Erde, aber wir
waren so gut geartet, vou so edlem Stamm, so hochgebildet und so klug, daß
es uns auf Erden nicht fehlen konnte, wenn wir nnr einmal recht wollten. Wohl,
wir haben gewollt, und recht von Herzen, und doch war unser Können weit
schwächer, als unser Wollen und ein gutes Theil unsrer Weisheit hat sich als
Thorheit erwiesen. Wenn eine große Nation von. guten Anlagen und reicher
Vergangenheit in irgend einer Periode ihrer Bildung ein so merkwürdiges Miß-


Grenzboten. III. 18!-2, 26
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[0213] Vor zweihundert Jahren und jetzt. Der muß sehr schwarz sehen, welcher läugnen will, daß Production, Wohlstand und praktische Intelligenz bei uns im Ganzen in rascker Zunahme begriffen sind. Der Kern unsres Lebens ist gesund, denn unsre Nation muß jeden Pfennig erwerben, den sie verzehrt, und producirt jeden ihrer Werthe, ohne durch Gewalt die freie Production anderer Völker zu beschränken. Es giebt keine Klasse von Staatsbürgern mehr, deren Erwerb unverhältnißmäßig geringer ist, als der Werth ihrer Arbeit. Die landwirtschaftliche Production, die Grundlage alles nationalen Wohlstandes und aller Volkskraft, wächst mit jedem Jahr. Die Verthei- luug des Ackerbodens, das Verhältniß des großen und kleinen Grundbesitzes ist — Deutschland, als Ganzes betrachtet — durchaus nicht ungünstig für eine schnelle Vermehrung der arbeitenden Capitalien. Mit jedem Jahr werden die Summen größer, welche sich in industrielleis Unternehmungen anlegen. Ueber dem Gelehr¬ te»- und Beamtenstande entwickelt sich im Volke eine freie praktische Intelligenz zwar langsam, aber in stetiger Zunahme. Und doch sind wir noch weit davon entfernt, eine wohlhabende Nation zu sein und mit Ueberraschung und Schrecken haben die Deutschen in wenigen Jahren erfahren, daß ihnen noch viel von der ' Bildung, Kraft und sicheren Beurtheilung der edelsten Interessen fehlt, welche, eine. Nation trotz aller Hindernisse unabhängig, mächtig, gefürchtet'machen. Die Schriftsteller, welche vor dem Jahr 1848 zum Volke sprachen, hatten gern das Gegentheil , versichert. Wir waren nicht das reichste Volk der Erde, aber wir waren so gut geartet, vou so edlem Stamm, so hochgebildet und so klug, daß es uns auf Erden nicht fehlen konnte, wenn wir nnr einmal recht wollten. Wohl, wir haben gewollt, und recht von Herzen, und doch war unser Können weit schwächer, als unser Wollen und ein gutes Theil unsrer Weisheit hat sich als Thorheit erwiesen. Wenn eine große Nation von. guten Anlagen und reicher Vergangenheit in irgend einer Periode ihrer Bildung ein so merkwürdiges Miß- Grenzboten. III. 18!-2, 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/213>, abgerufen am 07.05.2024.