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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Ein Blick auf südslawische Zustande.

Im Augenblicke sind es vorzüglich zwei Vorkommnisse in den südslawischen
Ländern, welche die öffentliche Aufmerksamkeit erregen und in weiteren Kreisen
bekannt zu werden verdienen: ich meine die Constituirung der Zrnagvra als
weltliches Fürstenthum und die böhmischen Angelegenheiten.

An einem andern Orte ist erzählt worden, daß der letzte verstorbene Wladyka-
von Montenegro seinen Neffen Danilo Petrowitsch Njegosch zu seinem Nachfolger
als geistliches und weltliches Oberhaupt der Zrnagora erklärte. Das Volk der
Zruagora hatte jedoch noch bei Lebzeiten des Wladyka Petar den Wunsch aus¬
gesprochen, die geistliche Würde von der fürstlichen zu theilen, und gleich Serbien
einen weltlichen Fürsten zum Herrscher zu haben. Der Tod des Wladyka Petar
regte diesen Wunsch neuerdings und desto mehr an, als es bekannt war, daß
Petar's Neffe und Nachfolger Danilo keine Vorliebe für den geistliche^ Stand
fühle. Der Senat der Zrnagora beschloß daher, sich desfalls an den Kaiser von
Nußland, als Schutzherrn der Zrnagora, zu wenden, ihm den Wunsch des
Volkes darzulegen und ihn zu bitten, diese Frage zu entscheiden. Nachdem sich
der Kaiser von der Allgemeinheit dieses Wunsches durch den nach der Zrnagora
abgesandten Obersten Nowalewskij überzeugt hatte, reiste Danilo Petrowitsch in
Begleitung einer ans mehreren Senatoren bestehenden Gesandtschaft nach Se.
Petersburg ab. Er fand bei Sr. Majestät nicht nur die beste Aufnahme, sondern
auch die Erfüllung aller diesfälligen Volkswünsche, wurde als "souverainer Fürst
und Herrscher der Zrnagora" anerkannt und mit dem großen Bande des zweithöchsten
russische" Ordens ausgezeichnet. Bei seiner Rückkehr nach der Zruagora wurde
Knjar Dauilv von seinem Volke enthusiastisch empfangen und begann seine Re-
gicrnngöthätigkeit mit der unter diesen Umständen sehr bedeutungsvollen Ernennung
des Archimandriteu Nikodem Rajtschewitsch zum Wladyka und Metropoliten der
Zrnagora. Der nächste Act seiner Herrscherthatigkeit war die an Wuk Stefauowitsch
Karadschitsch erlassene Einladung, einen Plan zur Organisirung des öffentlichen
Erziehungs- und Unternchtöwesens der Zrnagora auszuarbeiten; eben so sollen
Reformen in der politischen und juridische" Verfassung der Zrnagora beabsichtigt
und durchgeführt werden.

Mehr jedoch als alles dieses interessirt uns die neue staatliche Stellung der
Zruagora, welche mit einem einzigen Federstriche des Kaisers von Rußland in
die Reihe der unabhängigen Staaten Europas gerückt wurde. Das Laud hatte
bisher seine Bedeutung nur durch das Volk gehabt -- nunmehr ist es aber in
politischer Beziehung ein unsäglich wichtiger Punkt für das ganze gräkoslawische
Delta geworden, denn es ist von der Meeresseite her der strategische Schlüssel
zu den südwestlichen Provinzen der Türkei. Was Rußland durch diese Position


Ein Blick auf südslawische Zustande.

Im Augenblicke sind es vorzüglich zwei Vorkommnisse in den südslawischen
Ländern, welche die öffentliche Aufmerksamkeit erregen und in weiteren Kreisen
bekannt zu werden verdienen: ich meine die Constituirung der Zrnagvra als
weltliches Fürstenthum und die böhmischen Angelegenheiten.

An einem andern Orte ist erzählt worden, daß der letzte verstorbene Wladyka-
von Montenegro seinen Neffen Danilo Petrowitsch Njegosch zu seinem Nachfolger
als geistliches und weltliches Oberhaupt der Zrnagora erklärte. Das Volk der
Zruagora hatte jedoch noch bei Lebzeiten des Wladyka Petar den Wunsch aus¬
gesprochen, die geistliche Würde von der fürstlichen zu theilen, und gleich Serbien
einen weltlichen Fürsten zum Herrscher zu haben. Der Tod des Wladyka Petar
regte diesen Wunsch neuerdings und desto mehr an, als es bekannt war, daß
Petar's Neffe und Nachfolger Danilo keine Vorliebe für den geistliche^ Stand
fühle. Der Senat der Zrnagora beschloß daher, sich desfalls an den Kaiser von
Nußland, als Schutzherrn der Zrnagora, zu wenden, ihm den Wunsch des
Volkes darzulegen und ihn zu bitten, diese Frage zu entscheiden. Nachdem sich
der Kaiser von der Allgemeinheit dieses Wunsches durch den nach der Zrnagora
abgesandten Obersten Nowalewskij überzeugt hatte, reiste Danilo Petrowitsch in
Begleitung einer ans mehreren Senatoren bestehenden Gesandtschaft nach Se.
Petersburg ab. Er fand bei Sr. Majestät nicht nur die beste Aufnahme, sondern
auch die Erfüllung aller diesfälligen Volkswünsche, wurde als „souverainer Fürst
und Herrscher der Zrnagora" anerkannt und mit dem großen Bande des zweithöchsten
russische» Ordens ausgezeichnet. Bei seiner Rückkehr nach der Zruagora wurde
Knjar Dauilv von seinem Volke enthusiastisch empfangen und begann seine Re-
gicrnngöthätigkeit mit der unter diesen Umständen sehr bedeutungsvollen Ernennung
des Archimandriteu Nikodem Rajtschewitsch zum Wladyka und Metropoliten der
Zrnagora. Der nächste Act seiner Herrscherthatigkeit war die an Wuk Stefauowitsch
Karadschitsch erlassene Einladung, einen Plan zur Organisirung des öffentlichen
Erziehungs- und Unternchtöwesens der Zrnagora auszuarbeiten; eben so sollen
Reformen in der politischen und juridische» Verfassung der Zrnagora beabsichtigt
und durchgeführt werden.

Mehr jedoch als alles dieses interessirt uns die neue staatliche Stellung der
Zruagora, welche mit einem einzigen Federstriche des Kaisers von Rußland in
die Reihe der unabhängigen Staaten Europas gerückt wurde. Das Laud hatte
bisher seine Bedeutung nur durch das Volk gehabt — nunmehr ist es aber in
politischer Beziehung ein unsäglich wichtiger Punkt für das ganze gräkoslawische
Delta geworden, denn es ist von der Meeresseite her der strategische Schlüssel
zu den südwestlichen Provinzen der Türkei. Was Rußland durch diese Position


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[0462] Ein Blick auf südslawische Zustande. Im Augenblicke sind es vorzüglich zwei Vorkommnisse in den südslawischen Ländern, welche die öffentliche Aufmerksamkeit erregen und in weiteren Kreisen bekannt zu werden verdienen: ich meine die Constituirung der Zrnagvra als weltliches Fürstenthum und die böhmischen Angelegenheiten. An einem andern Orte ist erzählt worden, daß der letzte verstorbene Wladyka- von Montenegro seinen Neffen Danilo Petrowitsch Njegosch zu seinem Nachfolger als geistliches und weltliches Oberhaupt der Zrnagora erklärte. Das Volk der Zruagora hatte jedoch noch bei Lebzeiten des Wladyka Petar den Wunsch aus¬ gesprochen, die geistliche Würde von der fürstlichen zu theilen, und gleich Serbien einen weltlichen Fürsten zum Herrscher zu haben. Der Tod des Wladyka Petar regte diesen Wunsch neuerdings und desto mehr an, als es bekannt war, daß Petar's Neffe und Nachfolger Danilo keine Vorliebe für den geistliche^ Stand fühle. Der Senat der Zrnagora beschloß daher, sich desfalls an den Kaiser von Nußland, als Schutzherrn der Zrnagora, zu wenden, ihm den Wunsch des Volkes darzulegen und ihn zu bitten, diese Frage zu entscheiden. Nachdem sich der Kaiser von der Allgemeinheit dieses Wunsches durch den nach der Zrnagora abgesandten Obersten Nowalewskij überzeugt hatte, reiste Danilo Petrowitsch in Begleitung einer ans mehreren Senatoren bestehenden Gesandtschaft nach Se. Petersburg ab. Er fand bei Sr. Majestät nicht nur die beste Aufnahme, sondern auch die Erfüllung aller diesfälligen Volkswünsche, wurde als „souverainer Fürst und Herrscher der Zrnagora" anerkannt und mit dem großen Bande des zweithöchsten russische» Ordens ausgezeichnet. Bei seiner Rückkehr nach der Zruagora wurde Knjar Dauilv von seinem Volke enthusiastisch empfangen und begann seine Re- gicrnngöthätigkeit mit der unter diesen Umständen sehr bedeutungsvollen Ernennung des Archimandriteu Nikodem Rajtschewitsch zum Wladyka und Metropoliten der Zrnagora. Der nächste Act seiner Herrscherthatigkeit war die an Wuk Stefauowitsch Karadschitsch erlassene Einladung, einen Plan zur Organisirung des öffentlichen Erziehungs- und Unternchtöwesens der Zrnagora auszuarbeiten; eben so sollen Reformen in der politischen und juridische» Verfassung der Zrnagora beabsichtigt und durchgeführt werden. Mehr jedoch als alles dieses interessirt uns die neue staatliche Stellung der Zruagora, welche mit einem einzigen Federstriche des Kaisers von Rußland in die Reihe der unabhängigen Staaten Europas gerückt wurde. Das Laud hatte bisher seine Bedeutung nur durch das Volk gehabt — nunmehr ist es aber in politischer Beziehung ein unsäglich wichtiger Punkt für das ganze gräkoslawische Delta geworden, denn es ist von der Meeresseite her der strategische Schlüssel zu den südwestlichen Provinzen der Türkei. Was Rußland durch diese Position

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/462>, abgerufen am 07.05.2024.