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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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- Ausdrucks, an Melodie und sinniger Plastik steht er ihm gleich. Die Form sei¬
ner Chansons, die man mit Unrecht in Deutschland "anbahnt, ist eben so natio¬
nal, als die aufgelöste Nibelnugenstrophe des Uhland'schen Liedes. Was die
Stoffe betrifft, so scheinen sie zwar weit mehr dem modernen Leben anzugehören,
denn seine Militairs und seine Grisetten sind die wahren Repräsentanten des
gegenwärtigen Lebens in Frankreich; aber Maud hat doch eigentlich auch bei
seinen mittelalterlichen Schilderungen bestimmte Bilder der Gegenwart vor Angen,
die Studenten, Künstler.und Handwerksburschen. Die Ziererei, die mit unsrem
Studentenleben verbunden ist, wirkt ans unser Leben um so nachtheiliger, da es
die einzige ideale Zeit ist> an die wir "später zurückdenken,' In dem französischen
Soldatenleben ist zwar Vernunft und Sittlichkeit nicht sehr zu Hause, aber es ist
schon darum eine größere Natürlichkeit darin, weil die Beziehungen auf das wirk¬
liche Leben näher liegen. Der Vergleich zwischen den beiden Dichtern möchte
sich also so Heransstellen,'daß da, wo es Bvranger mit seiner natürlichen Frische
gelingt, einen Moment des Gefühls zu erfassen, der allgemein menschliche Gel¬
tung hat, der französische Dichter; und daß da, wo Uhland mit seinem poetischen
Gemüth und seiner keuschen Empfindung eine reale Seite des Lebens verklärt,
der deutsche Dichter vorzuziehen ist. ° -




Streifzüge durch Pommern.

Dem Reisenden in Pommern fallen zuerst die vielen wendischen Dorf- und
Stadtnamen, von denen manche verstümmelt noch deutlich die slavische Wurzel
verrathen, ans. Auf der Straße von Stettin bis Lauenburg längs der Chaussee
führen sämmtliche Städte wen'dische Namen, ebenso wenigstens zwei Drittel der
Dörfer. Ein gebildeter Serbe drückte uns sein Erstaunen aus, so fern vou seiner
Heimath im breitesten Plattdeutsch heimische Klänge zu vernehmen, er betrachtete
die Landkarte von Pommern als eine slavische Stammtafel, die später durch
deutsche Ortsnamen verunreinigt sei. > In Böhmen, der Mark, in der Lausitz,
in Mecklenburg macht man dieselbe Beobachtung, wollte man aber von den Ein¬
wohnern die Erklärung über den Ursprung dieser sprachlichen Erscheinung erfahren,
so würde man öfter die uns von einem pommerschen Fischer gegebene Deutung
hören: "t mut doch en' Noahmen habben", es muß doch einen Namen haben.
Wie viele Roggow's, Suckow's, Storckow's, Knessow's, Grabow's mag es über¬
haupt außer den häufig vorkommenden Dorfendungen auf iz und wiz geben.
Die früheren pommerschen Chronikenschreiber waren mit dem Wendischen zu wenig
bekannt, als daß sie eine glückliche Deutung dieser Namen gegeben hätten.


- Ausdrucks, an Melodie und sinniger Plastik steht er ihm gleich. Die Form sei¬
ner Chansons, die man mit Unrecht in Deutschland »anbahnt, ist eben so natio¬
nal, als die aufgelöste Nibelnugenstrophe des Uhland'schen Liedes. Was die
Stoffe betrifft, so scheinen sie zwar weit mehr dem modernen Leben anzugehören,
denn seine Militairs und seine Grisetten sind die wahren Repräsentanten des
gegenwärtigen Lebens in Frankreich; aber Maud hat doch eigentlich auch bei
seinen mittelalterlichen Schilderungen bestimmte Bilder der Gegenwart vor Angen,
die Studenten, Künstler.und Handwerksburschen. Die Ziererei, die mit unsrem
Studentenleben verbunden ist, wirkt ans unser Leben um so nachtheiliger, da es
die einzige ideale Zeit ist> an die wir «später zurückdenken,' In dem französischen
Soldatenleben ist zwar Vernunft und Sittlichkeit nicht sehr zu Hause, aber es ist
schon darum eine größere Natürlichkeit darin, weil die Beziehungen auf das wirk¬
liche Leben näher liegen. Der Vergleich zwischen den beiden Dichtern möchte
sich also so Heransstellen,'daß da, wo es Bvranger mit seiner natürlichen Frische
gelingt, einen Moment des Gefühls zu erfassen, der allgemein menschliche Gel¬
tung hat, der französische Dichter; und daß da, wo Uhland mit seinem poetischen
Gemüth und seiner keuschen Empfindung eine reale Seite des Lebens verklärt,
der deutsche Dichter vorzuziehen ist. ° -




Streifzüge durch Pommern.

Dem Reisenden in Pommern fallen zuerst die vielen wendischen Dorf- und
Stadtnamen, von denen manche verstümmelt noch deutlich die slavische Wurzel
verrathen, ans. Auf der Straße von Stettin bis Lauenburg längs der Chaussee
führen sämmtliche Städte wen'dische Namen, ebenso wenigstens zwei Drittel der
Dörfer. Ein gebildeter Serbe drückte uns sein Erstaunen aus, so fern vou seiner
Heimath im breitesten Plattdeutsch heimische Klänge zu vernehmen, er betrachtete
die Landkarte von Pommern als eine slavische Stammtafel, die später durch
deutsche Ortsnamen verunreinigt sei. > In Böhmen, der Mark, in der Lausitz,
in Mecklenburg macht man dieselbe Beobachtung, wollte man aber von den Ein¬
wohnern die Erklärung über den Ursprung dieser sprachlichen Erscheinung erfahren,
so würde man öfter die uns von einem pommerschen Fischer gegebene Deutung
hören: „t mut doch en' Noahmen habben", es muß doch einen Namen haben.
Wie viele Roggow's, Suckow's, Storckow's, Knessow's, Grabow's mag es über¬
haupt außer den häufig vorkommenden Dorfendungen auf iz und wiz geben.
Die früheren pommerschen Chronikenschreiber waren mit dem Wendischen zu wenig
bekannt, als daß sie eine glückliche Deutung dieser Namen gegeben hätten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/62>, abgerufen am 07.05.2024.