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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Victor Hugo und Napoleon.

Von dem in Frankreich und Belgien mit so großer Begierde verschlungenen
Buch: Napoleon der Kleine, von Victor Hugo, ist so eben eine deutsche Ueber-
setzung von Savoye erschienen <Gera, Kanitz). Abgesehen von dem Inhalt, in
dem wir diesmal, einige Uebertreibungen abgerechnet, ganz auf Seite des alten
Romantikers stehen, auf eine Weise stehen, wie wir es bei den diplomatischen
Verhältnissen Deutschlands'zum Auslande nicht mehr ausdrücken dürfen, finden
wir in diesem Buch eine Fülle von Geist und Scharfsinn, die eigentlich bei
V. Hugo nie ganz fehlen, wenn er nicht wie ein eitles Weib mit seinem
Schatten coquettirt; aber im Ganzen macht das Buch doch einen unbehaglichen
Eindruck. Was V. Hugo trotz seines unbestreitbaren Talents sowol in seinen
dramatischen wie in seinen lyrischen Versuchen verhindert hat, etwas Genügendes
zu leisten, das tritt auch seiner politischen Laufbahn in den Weg. Man wird sich,
noch daran erinnern, wie in den Debatten der aufgelösten Nationalversammlung
V. Hugo's Angriffe gegen die reactionaire Politik stets die schärfste und bitterste
Erwiderung fanden, wie Montalembert mit seiner gewölmlichen Frechheit ihm
die schlimmsten Injurien in's Gesicht schlenderte, ohne daß auch nur irgeud
ein erheblicher Theil der Versammlung sich des Gekränkten annahm. Der Grund,
daß die verschiedenen politischen Ansichten, denen er während seines Leben gehul¬
digt, eine günstige Gelegenheit zu beißenden Epigrammen darboten, reicht allein
nicht ans; denn einmal sind die Franzosen so an politischen Wankelmuth gewöhnt,
daß, wenn zwei unter ihnen sich über polnische Consequenz unterhalten, sie sich
eben so wenig wie die Auguren des Cicero des Lachens enthalten können; sodann
ist man in Paris geneigt, einem Dichter Alles zu "verzeihen. Der Grund liegt
vielmehr darin, daß V. Hugo niemals in der Sache ist, sondern stets ein eitles
Spiel mit seinem eigenen Witz' und seiner eigenen Phantasie treibt. Man merkt zu
sehr bei ihm heraus, daß der Einfall, der Contrast, der Effect bei ihm die
Hauptsache sind, und daß' die Gegenstände sich diesem subjectiven Bedürfniß
fügen müssen. Um eine gute Antiihese hervorzubringen, kommt es ihm nicht
darauf an, aus einem Lehnstuhl eine Barricade und aus einem Federmesser
einen Dolch zu machen. Wenn es bei anderen französischen Schönrednern
z. B. bei Lamartine, im Grunde der nämliche Fall ist, so wissen sie es
wenigstens geschickter zu verbergen und geben sich keine so handgreiflichen Blößen.
V. Hugo gebraucht den Witz nicht, er ist ein Sclave des Witzes, und so ist es
ihm auch bei diesem Buch gegangen. ES ist zu rhetorisch, zu pikant, zu geistreich
gehalten, um auf Unbefangene die Wirkung auszuüben, die es doch beabsichtigt.
Man amüsirt sich zu sehr dabei, um sich in die Stimmung zu versetzen, ans die


Victor Hugo und Napoleon.

Von dem in Frankreich und Belgien mit so großer Begierde verschlungenen
Buch: Napoleon der Kleine, von Victor Hugo, ist so eben eine deutsche Ueber-
setzung von Savoye erschienen <Gera, Kanitz). Abgesehen von dem Inhalt, in
dem wir diesmal, einige Uebertreibungen abgerechnet, ganz auf Seite des alten
Romantikers stehen, auf eine Weise stehen, wie wir es bei den diplomatischen
Verhältnissen Deutschlands'zum Auslande nicht mehr ausdrücken dürfen, finden
wir in diesem Buch eine Fülle von Geist und Scharfsinn, die eigentlich bei
V. Hugo nie ganz fehlen, wenn er nicht wie ein eitles Weib mit seinem
Schatten coquettirt; aber im Ganzen macht das Buch doch einen unbehaglichen
Eindruck. Was V. Hugo trotz seines unbestreitbaren Talents sowol in seinen
dramatischen wie in seinen lyrischen Versuchen verhindert hat, etwas Genügendes
zu leisten, das tritt auch seiner politischen Laufbahn in den Weg. Man wird sich,
noch daran erinnern, wie in den Debatten der aufgelösten Nationalversammlung
V. Hugo's Angriffe gegen die reactionaire Politik stets die schärfste und bitterste
Erwiderung fanden, wie Montalembert mit seiner gewölmlichen Frechheit ihm
die schlimmsten Injurien in's Gesicht schlenderte, ohne daß auch nur irgeud
ein erheblicher Theil der Versammlung sich des Gekränkten annahm. Der Grund,
daß die verschiedenen politischen Ansichten, denen er während seines Leben gehul¬
digt, eine günstige Gelegenheit zu beißenden Epigrammen darboten, reicht allein
nicht ans; denn einmal sind die Franzosen so an politischen Wankelmuth gewöhnt,
daß, wenn zwei unter ihnen sich über polnische Consequenz unterhalten, sie sich
eben so wenig wie die Auguren des Cicero des Lachens enthalten können; sodann
ist man in Paris geneigt, einem Dichter Alles zu "verzeihen. Der Grund liegt
vielmehr darin, daß V. Hugo niemals in der Sache ist, sondern stets ein eitles
Spiel mit seinem eigenen Witz' und seiner eigenen Phantasie treibt. Man merkt zu
sehr bei ihm heraus, daß der Einfall, der Contrast, der Effect bei ihm die
Hauptsache sind, und daß' die Gegenstände sich diesem subjectiven Bedürfniß
fügen müssen. Um eine gute Antiihese hervorzubringen, kommt es ihm nicht
darauf an, aus einem Lehnstuhl eine Barricade und aus einem Federmesser
einen Dolch zu machen. Wenn es bei anderen französischen Schönrednern
z. B. bei Lamartine, im Grunde der nämliche Fall ist, so wissen sie es
wenigstens geschickter zu verbergen und geben sich keine so handgreiflichen Blößen.
V. Hugo gebraucht den Witz nicht, er ist ein Sclave des Witzes, und so ist es
ihm auch bei diesem Buch gegangen. ES ist zu rhetorisch, zu pikant, zu geistreich
gehalten, um auf Unbefangene die Wirkung auszuüben, die es doch beabsichtigt.
Man amüsirt sich zu sehr dabei, um sich in die Stimmung zu versetzen, ans die


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[0116] Victor Hugo und Napoleon. Von dem in Frankreich und Belgien mit so großer Begierde verschlungenen Buch: Napoleon der Kleine, von Victor Hugo, ist so eben eine deutsche Ueber- setzung von Savoye erschienen <Gera, Kanitz). Abgesehen von dem Inhalt, in dem wir diesmal, einige Uebertreibungen abgerechnet, ganz auf Seite des alten Romantikers stehen, auf eine Weise stehen, wie wir es bei den diplomatischen Verhältnissen Deutschlands'zum Auslande nicht mehr ausdrücken dürfen, finden wir in diesem Buch eine Fülle von Geist und Scharfsinn, die eigentlich bei V. Hugo nie ganz fehlen, wenn er nicht wie ein eitles Weib mit seinem Schatten coquettirt; aber im Ganzen macht das Buch doch einen unbehaglichen Eindruck. Was V. Hugo trotz seines unbestreitbaren Talents sowol in seinen dramatischen wie in seinen lyrischen Versuchen verhindert hat, etwas Genügendes zu leisten, das tritt auch seiner politischen Laufbahn in den Weg. Man wird sich, noch daran erinnern, wie in den Debatten der aufgelösten Nationalversammlung V. Hugo's Angriffe gegen die reactionaire Politik stets die schärfste und bitterste Erwiderung fanden, wie Montalembert mit seiner gewölmlichen Frechheit ihm die schlimmsten Injurien in's Gesicht schlenderte, ohne daß auch nur irgeud ein erheblicher Theil der Versammlung sich des Gekränkten annahm. Der Grund, daß die verschiedenen politischen Ansichten, denen er während seines Leben gehul¬ digt, eine günstige Gelegenheit zu beißenden Epigrammen darboten, reicht allein nicht ans; denn einmal sind die Franzosen so an politischen Wankelmuth gewöhnt, daß, wenn zwei unter ihnen sich über polnische Consequenz unterhalten, sie sich eben so wenig wie die Auguren des Cicero des Lachens enthalten können; sodann ist man in Paris geneigt, einem Dichter Alles zu "verzeihen. Der Grund liegt vielmehr darin, daß V. Hugo niemals in der Sache ist, sondern stets ein eitles Spiel mit seinem eigenen Witz' und seiner eigenen Phantasie treibt. Man merkt zu sehr bei ihm heraus, daß der Einfall, der Contrast, der Effect bei ihm die Hauptsache sind, und daß' die Gegenstände sich diesem subjectiven Bedürfniß fügen müssen. Um eine gute Antiihese hervorzubringen, kommt es ihm nicht darauf an, aus einem Lehnstuhl eine Barricade und aus einem Federmesser einen Dolch zu machen. Wenn es bei anderen französischen Schönrednern z. B. bei Lamartine, im Grunde der nämliche Fall ist, so wissen sie es wenigstens geschickter zu verbergen und geben sich keine so handgreiflichen Blößen. V. Hugo gebraucht den Witz nicht, er ist ein Sclave des Witzes, und so ist es ihm auch bei diesem Buch gegangen. ES ist zu rhetorisch, zu pikant, zu geistreich gehalten, um auf Unbefangene die Wirkung auszuüben, die es doch beabsichtigt. Man amüsirt sich zu sehr dabei, um sich in die Stimmung zu versetzen, ans die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/116>, abgerufen am 02.05.2024.