Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die drei Nachwahlen in Berlin sind zu Gunsten der Opposition ausgefallen.
Die Herren Pvchhammer und Reimer, die im zweiten und ersten Wahlkreise den
Sieg davon trugen, gehörten in der vorigen Session den Fractionen Helgoland
und Baumstark an; der im vierten Wahlkreise gewählte Geh. Oberregieruugsrath
Mathis ist das thätigste Mitglied der Partei Bethmann-Hvllweg; er siegte über
den Polizeipräsidenten v. Hiuckeldey. Daß Reimer den Justizminister Simons
mit 2i8 gegen 1ö6 Stimmen aus dem Felde schlug, obgleich der Herr Minister¬
präsident in der zutraulichen und bürgerlichen Weise, deren Wirkung er nicht nur
an dem hierdurch leicht zu bestechenden Spießbürger, souderu auch an einsichts¬
volleren Personen erprobt hat, für seinen Collegen in der Vorversammlnug auf¬
trat, wird Ihnen die Richtigkeit meiner frühern Angabe bestätigen, daß die Wahl
des Herrn v. Manteuffel, durch dessen Ablehnung diese Nachwahl erforderlich
gemacht war, lediglich einer Ueberrumpelung zugeschrieben werden muß. Jetzt,
nachdem sich ruhigere Ueberlegung eingestellt hatte, wollte auch die in den Zeitungen
verbreitete Nachricht von der "entschiedensten Opposition", welche v. Manteuffel
und Simons den ritterschaftlichen Bestrebungen des Herrn v. Westphalen entgegen¬
gestellt hätten, uicht mehr recht verfangen. Die Majorität sammelte sich und
brachte es durch die Nachwahl dahin, daß jetzt die drei Abgeordneten dieses
Kreises, Kühne, Bock und Reimer, sämmtlich der Opposition angehören.

Uebrigens kann ich es njcht unterlassen, an der unbefangenen Hoffnung, die
Sie in der Anmerkung zu meinem letzten Briefe in Betreff der Nachwahlen für
mehrfach gewählte Abgeordnete ausdrücken, mit Ihrer Erlaubniß etwas zu rütteln.
Es giebt jetzt nichts Unzuverlässigeres als eine Nachwahl. Daß die Betheiligung
an ihr stets geringer ist als bei dem ersten Wahlact, scheint eine unbestrittene
Thatsache zu sein, die sich im Allgemeine" durch das geringe, für zwei in kurzer
Zeit auf einander folgende Wahlacte nicht hinreichende Interesse erklären läßt, und
die natürlich auf dem platten Lande, wo der größte Theil der Wahlmänner mehrere
Meilen reisen muß, uoch schärfer als in den. Städten hervortritt. Aber das
verdient ausdrücklich bemerkt zu werden, daß die Fehlenden nicht in der richtigen
Proportion sich auf die frühere Majorität und Minorität vertheilen, sondern daß
die Majorität durch die Nachlässigkeit der Wahlmänner der Regel nach mehr
leidet, so daß ein Umschlag des Stimmenverhältnisses leicht erfolgt. Die Be¬
merkung des Einzelnen, daß der Kandidat seiner Partei auch ohne seine Stimme
bei der ersten Wahl augenscheinlich den Sieg davon getragen haben würde, ist
meistens richtig; und die daraus gezogene Folgerung, daß er ohne Gefahr bei
der Nachwahl fortbleiben könne, ist eben so bequem, wie falsch. Diese Erscheinung


Die drei Nachwahlen in Berlin sind zu Gunsten der Opposition ausgefallen.
Die Herren Pvchhammer und Reimer, die im zweiten und ersten Wahlkreise den
Sieg davon trugen, gehörten in der vorigen Session den Fractionen Helgoland
und Baumstark an; der im vierten Wahlkreise gewählte Geh. Oberregieruugsrath
Mathis ist das thätigste Mitglied der Partei Bethmann-Hvllweg; er siegte über
den Polizeipräsidenten v. Hiuckeldey. Daß Reimer den Justizminister Simons
mit 2i8 gegen 1ö6 Stimmen aus dem Felde schlug, obgleich der Herr Minister¬
präsident in der zutraulichen und bürgerlichen Weise, deren Wirkung er nicht nur
an dem hierdurch leicht zu bestechenden Spießbürger, souderu auch an einsichts¬
volleren Personen erprobt hat, für seinen Collegen in der Vorversammlnug auf¬
trat, wird Ihnen die Richtigkeit meiner frühern Angabe bestätigen, daß die Wahl
des Herrn v. Manteuffel, durch dessen Ablehnung diese Nachwahl erforderlich
gemacht war, lediglich einer Ueberrumpelung zugeschrieben werden muß. Jetzt,
nachdem sich ruhigere Ueberlegung eingestellt hatte, wollte auch die in den Zeitungen
verbreitete Nachricht von der „entschiedensten Opposition", welche v. Manteuffel
und Simons den ritterschaftlichen Bestrebungen des Herrn v. Westphalen entgegen¬
gestellt hätten, uicht mehr recht verfangen. Die Majorität sammelte sich und
brachte es durch die Nachwahl dahin, daß jetzt die drei Abgeordneten dieses
Kreises, Kühne, Bock und Reimer, sämmtlich der Opposition angehören.

Uebrigens kann ich es njcht unterlassen, an der unbefangenen Hoffnung, die
Sie in der Anmerkung zu meinem letzten Briefe in Betreff der Nachwahlen für
mehrfach gewählte Abgeordnete ausdrücken, mit Ihrer Erlaubniß etwas zu rütteln.
Es giebt jetzt nichts Unzuverlässigeres als eine Nachwahl. Daß die Betheiligung
an ihr stets geringer ist als bei dem ersten Wahlact, scheint eine unbestrittene
Thatsache zu sein, die sich im Allgemeine» durch das geringe, für zwei in kurzer
Zeit auf einander folgende Wahlacte nicht hinreichende Interesse erklären läßt, und
die natürlich auf dem platten Lande, wo der größte Theil der Wahlmänner mehrere
Meilen reisen muß, uoch schärfer als in den. Städten hervortritt. Aber das
verdient ausdrücklich bemerkt zu werden, daß die Fehlenden nicht in der richtigen
Proportion sich auf die frühere Majorität und Minorität vertheilen, sondern daß
die Majorität durch die Nachlässigkeit der Wahlmänner der Regel nach mehr
leidet, so daß ein Umschlag des Stimmenverhältnisses leicht erfolgt. Die Be¬
merkung des Einzelnen, daß der Kandidat seiner Partei auch ohne seine Stimme
bei der ersten Wahl augenscheinlich den Sieg davon getragen haben würde, ist
meistens richtig; und die daraus gezogene Folgerung, daß er ohne Gefahr bei
der Nachwahl fortbleiben könne, ist eben so bequem, wie falsch. Diese Erscheinung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95377"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1140"> Die drei Nachwahlen in Berlin sind zu Gunsten der Opposition ausgefallen.<lb/>
Die Herren Pvchhammer und Reimer, die im zweiten und ersten Wahlkreise den<lb/>
Sieg davon trugen, gehörten in der vorigen Session den Fractionen Helgoland<lb/>
und Baumstark an; der im vierten Wahlkreise gewählte Geh. Oberregieruugsrath<lb/>
Mathis ist das thätigste Mitglied der Partei Bethmann-Hvllweg; er siegte über<lb/>
den Polizeipräsidenten v. Hiuckeldey. Daß Reimer den Justizminister Simons<lb/>
mit 2i8 gegen 1ö6 Stimmen aus dem Felde schlug, obgleich der Herr Minister¬<lb/>
präsident in der zutraulichen und bürgerlichen Weise, deren Wirkung er nicht nur<lb/>
an dem hierdurch leicht zu bestechenden Spießbürger, souderu auch an einsichts¬<lb/>
volleren Personen erprobt hat, für seinen Collegen in der Vorversammlnug auf¬<lb/>
trat, wird Ihnen die Richtigkeit meiner frühern Angabe bestätigen, daß die Wahl<lb/>
des Herrn v. Manteuffel, durch dessen Ablehnung diese Nachwahl erforderlich<lb/>
gemacht war, lediglich einer Ueberrumpelung zugeschrieben werden muß. Jetzt,<lb/>
nachdem sich ruhigere Ueberlegung eingestellt hatte, wollte auch die in den Zeitungen<lb/>
verbreitete Nachricht von der &#x201E;entschiedensten Opposition", welche v. Manteuffel<lb/>
und Simons den ritterschaftlichen Bestrebungen des Herrn v. Westphalen entgegen¬<lb/>
gestellt hätten, uicht mehr recht verfangen. Die Majorität sammelte sich und<lb/>
brachte es durch die Nachwahl dahin, daß jetzt die drei Abgeordneten dieses<lb/>
Kreises, Kühne, Bock und Reimer, sämmtlich der Opposition angehören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1141" next="#ID_1142"> Uebrigens kann ich es njcht unterlassen, an der unbefangenen Hoffnung, die<lb/>
Sie in der Anmerkung zu meinem letzten Briefe in Betreff der Nachwahlen für<lb/>
mehrfach gewählte Abgeordnete ausdrücken, mit Ihrer Erlaubniß etwas zu rütteln.<lb/>
Es giebt jetzt nichts Unzuverlässigeres als eine Nachwahl. Daß die Betheiligung<lb/>
an ihr stets geringer ist als bei dem ersten Wahlact, scheint eine unbestrittene<lb/>
Thatsache zu sein, die sich im Allgemeine» durch das geringe, für zwei in kurzer<lb/>
Zeit auf einander folgende Wahlacte nicht hinreichende Interesse erklären läßt, und<lb/>
die natürlich auf dem platten Lande, wo der größte Theil der Wahlmänner mehrere<lb/>
Meilen reisen muß, uoch schärfer als in den. Städten hervortritt. Aber das<lb/>
verdient ausdrücklich bemerkt zu werden, daß die Fehlenden nicht in der richtigen<lb/>
Proportion sich auf die frühere Majorität und Minorität vertheilen, sondern daß<lb/>
die Majorität durch die Nachlässigkeit der Wahlmänner der Regel nach mehr<lb/>
leidet, so daß ein Umschlag des Stimmenverhältnisses leicht erfolgt. Die Be¬<lb/>
merkung des Einzelnen, daß der Kandidat seiner Partei auch ohne seine Stimme<lb/>
bei der ersten Wahl augenscheinlich den Sieg davon getragen haben würde, ist<lb/>
meistens richtig; und die daraus gezogene Folgerung, daß er ohne Gefahr bei<lb/>
der Nachwahl fortbleiben könne, ist eben so bequem, wie falsch. Diese Erscheinung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] Die drei Nachwahlen in Berlin sind zu Gunsten der Opposition ausgefallen. Die Herren Pvchhammer und Reimer, die im zweiten und ersten Wahlkreise den Sieg davon trugen, gehörten in der vorigen Session den Fractionen Helgoland und Baumstark an; der im vierten Wahlkreise gewählte Geh. Oberregieruugsrath Mathis ist das thätigste Mitglied der Partei Bethmann-Hvllweg; er siegte über den Polizeipräsidenten v. Hiuckeldey. Daß Reimer den Justizminister Simons mit 2i8 gegen 1ö6 Stimmen aus dem Felde schlug, obgleich der Herr Minister¬ präsident in der zutraulichen und bürgerlichen Weise, deren Wirkung er nicht nur an dem hierdurch leicht zu bestechenden Spießbürger, souderu auch an einsichts¬ volleren Personen erprobt hat, für seinen Collegen in der Vorversammlnug auf¬ trat, wird Ihnen die Richtigkeit meiner frühern Angabe bestätigen, daß die Wahl des Herrn v. Manteuffel, durch dessen Ablehnung diese Nachwahl erforderlich gemacht war, lediglich einer Ueberrumpelung zugeschrieben werden muß. Jetzt, nachdem sich ruhigere Ueberlegung eingestellt hatte, wollte auch die in den Zeitungen verbreitete Nachricht von der „entschiedensten Opposition", welche v. Manteuffel und Simons den ritterschaftlichen Bestrebungen des Herrn v. Westphalen entgegen¬ gestellt hätten, uicht mehr recht verfangen. Die Majorität sammelte sich und brachte es durch die Nachwahl dahin, daß jetzt die drei Abgeordneten dieses Kreises, Kühne, Bock und Reimer, sämmtlich der Opposition angehören. Uebrigens kann ich es njcht unterlassen, an der unbefangenen Hoffnung, die Sie in der Anmerkung zu meinem letzten Briefe in Betreff der Nachwahlen für mehrfach gewählte Abgeordnete ausdrücken, mit Ihrer Erlaubniß etwas zu rütteln. Es giebt jetzt nichts Unzuverlässigeres als eine Nachwahl. Daß die Betheiligung an ihr stets geringer ist als bei dem ersten Wahlact, scheint eine unbestrittene Thatsache zu sein, die sich im Allgemeine» durch das geringe, für zwei in kurzer Zeit auf einander folgende Wahlacte nicht hinreichende Interesse erklären läßt, und die natürlich auf dem platten Lande, wo der größte Theil der Wahlmänner mehrere Meilen reisen muß, uoch schärfer als in den. Städten hervortritt. Aber das verdient ausdrücklich bemerkt zu werden, daß die Fehlenden nicht in der richtigen Proportion sich auf die frühere Majorität und Minorität vertheilen, sondern daß die Majorität durch die Nachlässigkeit der Wahlmänner der Regel nach mehr leidet, so daß ein Umschlag des Stimmenverhältnisses leicht erfolgt. Die Be¬ merkung des Einzelnen, daß der Kandidat seiner Partei auch ohne seine Stimme bei der ersten Wahl augenscheinlich den Sieg davon getragen haben würde, ist meistens richtig; und die daraus gezogene Folgerung, daß er ohne Gefahr bei der Nachwahl fortbleiben könne, ist eben so bequem, wie falsch. Diese Erscheinung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/396>, abgerufen am 02.05.2024.