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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Sturze einsetzen. Sobald Louis Napoleon erkennt, daß die Gesinnung des
Heeres zu wanken beginnt, wird er es lieber über die Grenze gegen das Aus¬
land fuhren, als den Abfall in seinen Reihen gewärtigen. Besser wäre es
immer noch für ihn, den coalisirteu Armeen Europa's sich entgegenznwerfen, als
von dem rächenden Arme eines Changarnier oder Lamoriciöre fallen zu müssen.

Die Reduction von 30,000 Mann, von der mau so viel Aufhebens machen
wollte, wird selbst jetzt schon von fast allen Organen der Presse als gänzlich
nichtig erkannt. Da sie nur auf die Infanterie beschränkt ist und die Cadre's
derselben nicht berührt, die Specialwaffeu aber unvermindert bleiben, ja wie man
hört, sogar verstärkt werden sollen, so kann sie in wenigen Tagen rückgängig
gemacht werden und bedeutet gar nichts. Die Ostentation, mit der sie hervor¬
gekehrt wird, könnte höchstens gerechtes Mißtrauen erregen nud zur doppelten
Wachsamkeit anspornen.

Die Erfüllung seiner Pläne, der Zustand, des Landes und die Stimmung der
Armee drängen somit nach unsrer Ansicht Louis Napoleon zum Kriege; wir ver¬
messen uns nicht, den Zeitpunkt angeben zu wollen, wann er ausbrechen wird,
aber nur optimistische Täuschung kann, so glauben wir, sich schmeicheln, er werde
sehr lange sich hinausschieben. Wir kommen vielleicht noch darauf zurück, die
Stellung des neuen Kaiserreichs nach Außen hin zu erörtern und näher auf die
Punkte hinzuweisen, die zum Conflicte sich darbieten.




Christian Lammfell, Roman von Karl v. Holtet.

(S Bände, Breslau, Trewendt und Graner, 18S3.)

Bei Besprechung der "Vagabunden" desselben Verfassers ist seine Methode
der Darstellung bereits charakterisirt worden. Ein ungewöhnlicher Reichthum von
Anschauungen und Ersahrungen, lebhafte, oft anmuthige Schilderung der Be¬
gebenheiten, ausgezeichnet gute Laune, viele feine Einfälle voll poetischer Schön¬
heit, und daneben wieder Mangel an Komposition, hier und da zu weiche
Sentimentalität und eine gewisse lyrische Schwäche im Charakterisireu der Per¬
sonen, welche zuweilen Unzweckmäßiges und in ihrer Persönlichkeit Widersprechendes
sagen oder thun müssen, einer hinreißenden Situation, oder einem angenehmen
Scherz, oder einer pathetischen Stimmung des Dichters zu Liebe. Dieselben
Eigenthümlichkeiten finden sich in dem neuen Romane wieder, doch Einiges hat
sich in der Darstellung geändert. Die Charakteristik der Hauptpersonen ist viel
sorgfältiger geworden, auch die Sprache, welche dem Dichter immer leicht und
klangvoll dahinfloß, charakterisirt genauer, dagegen ist die Komposition eben so
wenig künstlerisch, als in dem frühern Romane, und die behagliche Dichterfrende,


Sturze einsetzen. Sobald Louis Napoleon erkennt, daß die Gesinnung des
Heeres zu wanken beginnt, wird er es lieber über die Grenze gegen das Aus¬
land fuhren, als den Abfall in seinen Reihen gewärtigen. Besser wäre es
immer noch für ihn, den coalisirteu Armeen Europa's sich entgegenznwerfen, als
von dem rächenden Arme eines Changarnier oder Lamoriciöre fallen zu müssen.

Die Reduction von 30,000 Mann, von der mau so viel Aufhebens machen
wollte, wird selbst jetzt schon von fast allen Organen der Presse als gänzlich
nichtig erkannt. Da sie nur auf die Infanterie beschränkt ist und die Cadre's
derselben nicht berührt, die Specialwaffeu aber unvermindert bleiben, ja wie man
hört, sogar verstärkt werden sollen, so kann sie in wenigen Tagen rückgängig
gemacht werden und bedeutet gar nichts. Die Ostentation, mit der sie hervor¬
gekehrt wird, könnte höchstens gerechtes Mißtrauen erregen nud zur doppelten
Wachsamkeit anspornen.

Die Erfüllung seiner Pläne, der Zustand, des Landes und die Stimmung der
Armee drängen somit nach unsrer Ansicht Louis Napoleon zum Kriege; wir ver¬
messen uns nicht, den Zeitpunkt angeben zu wollen, wann er ausbrechen wird,
aber nur optimistische Täuschung kann, so glauben wir, sich schmeicheln, er werde
sehr lange sich hinausschieben. Wir kommen vielleicht noch darauf zurück, die
Stellung des neuen Kaiserreichs nach Außen hin zu erörtern und näher auf die
Punkte hinzuweisen, die zum Conflicte sich darbieten.




Christian Lammfell, Roman von Karl v. Holtet.

(S Bände, Breslau, Trewendt und Graner, 18S3.)

Bei Besprechung der „Vagabunden" desselben Verfassers ist seine Methode
der Darstellung bereits charakterisirt worden. Ein ungewöhnlicher Reichthum von
Anschauungen und Ersahrungen, lebhafte, oft anmuthige Schilderung der Be¬
gebenheiten, ausgezeichnet gute Laune, viele feine Einfälle voll poetischer Schön¬
heit, und daneben wieder Mangel an Komposition, hier und da zu weiche
Sentimentalität und eine gewisse lyrische Schwäche im Charakterisireu der Per¬
sonen, welche zuweilen Unzweckmäßiges und in ihrer Persönlichkeit Widersprechendes
sagen oder thun müssen, einer hinreißenden Situation, oder einem angenehmen
Scherz, oder einer pathetischen Stimmung des Dichters zu Liebe. Dieselben
Eigenthümlichkeiten finden sich in dem neuen Romane wieder, doch Einiges hat
sich in der Darstellung geändert. Die Charakteristik der Hauptpersonen ist viel
sorgfältiger geworden, auch die Sprache, welche dem Dichter immer leicht und
klangvoll dahinfloß, charakterisirt genauer, dagegen ist die Komposition eben so
wenig künstlerisch, als in dem frühern Romane, und die behagliche Dichterfrende,


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[0436] Sturze einsetzen. Sobald Louis Napoleon erkennt, daß die Gesinnung des Heeres zu wanken beginnt, wird er es lieber über die Grenze gegen das Aus¬ land fuhren, als den Abfall in seinen Reihen gewärtigen. Besser wäre es immer noch für ihn, den coalisirteu Armeen Europa's sich entgegenznwerfen, als von dem rächenden Arme eines Changarnier oder Lamoriciöre fallen zu müssen. Die Reduction von 30,000 Mann, von der mau so viel Aufhebens machen wollte, wird selbst jetzt schon von fast allen Organen der Presse als gänzlich nichtig erkannt. Da sie nur auf die Infanterie beschränkt ist und die Cadre's derselben nicht berührt, die Specialwaffeu aber unvermindert bleiben, ja wie man hört, sogar verstärkt werden sollen, so kann sie in wenigen Tagen rückgängig gemacht werden und bedeutet gar nichts. Die Ostentation, mit der sie hervor¬ gekehrt wird, könnte höchstens gerechtes Mißtrauen erregen nud zur doppelten Wachsamkeit anspornen. Die Erfüllung seiner Pläne, der Zustand, des Landes und die Stimmung der Armee drängen somit nach unsrer Ansicht Louis Napoleon zum Kriege; wir ver¬ messen uns nicht, den Zeitpunkt angeben zu wollen, wann er ausbrechen wird, aber nur optimistische Täuschung kann, so glauben wir, sich schmeicheln, er werde sehr lange sich hinausschieben. Wir kommen vielleicht noch darauf zurück, die Stellung des neuen Kaiserreichs nach Außen hin zu erörtern und näher auf die Punkte hinzuweisen, die zum Conflicte sich darbieten. Christian Lammfell, Roman von Karl v. Holtet. (S Bände, Breslau, Trewendt und Graner, 18S3.) Bei Besprechung der „Vagabunden" desselben Verfassers ist seine Methode der Darstellung bereits charakterisirt worden. Ein ungewöhnlicher Reichthum von Anschauungen und Ersahrungen, lebhafte, oft anmuthige Schilderung der Be¬ gebenheiten, ausgezeichnet gute Laune, viele feine Einfälle voll poetischer Schön¬ heit, und daneben wieder Mangel an Komposition, hier und da zu weiche Sentimentalität und eine gewisse lyrische Schwäche im Charakterisireu der Per¬ sonen, welche zuweilen Unzweckmäßiges und in ihrer Persönlichkeit Widersprechendes sagen oder thun müssen, einer hinreißenden Situation, oder einem angenehmen Scherz, oder einer pathetischen Stimmung des Dichters zu Liebe. Dieselben Eigenthümlichkeiten finden sich in dem neuen Romane wieder, doch Einiges hat sich in der Darstellung geändert. Die Charakteristik der Hauptpersonen ist viel sorgfältiger geworden, auch die Sprache, welche dem Dichter immer leicht und klangvoll dahinfloß, charakterisirt genauer, dagegen ist die Komposition eben so wenig künstlerisch, als in dem frühern Romane, und die behagliche Dichterfrende,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/436>, abgerufen am 02.05.2024.