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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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seinem einmal aufgesteckten Banner tren bleiben und die Verantwortlichkeit eines
legislativen Actes ablehnen zu sehen, dessen unausbleibliche Folgen man ihm
wenigstens nicht wird zur Last legen können.

Ein preußischer Konstitutioneller.




W o es e n b e r i es t.

Das muhamedanische
Reich war seit langer als sechs Monaten in einer als entscheidend anzusehen¬
den Krisis, die dreifacher Natur ist: finanziell, gouvernemental und im engeren
Sinne politisch. Nachdem das Ministerium Neschid Paschas aus Anlässen ge¬
stürzt worden war, deren Ausgangspunkte in der Sphäre deS Serails liegen,
und die bis anf den heutige" Tag nicht völlig klar und unzweifelhaft enthüllt
worden sind, "ahn ein anderes, den Personen nach, aus denen es bestand,
von dem vorhergehenden wenig verschiedenes Cabinet, unter der Leitung des
seitherigen auswärtigen Ministers, Ali Pascha, als Großvezier, seine Stelle ein,
um am 7. October v. I. durch die gegenwärtigen Gewalthaber aufs Neue zu
Fall gebracht zu werdeu. Man weiß allgemein, daß die vielbesprochene, dnrch
den Fürsten Kallimachi, damaligen ottomanischen Gesandten zu Paris, auf Neschid
Paschas Autorisation hin, contrahirte Anleihe im Belaufe von fünfzig Millionen
Franken die Veranlassung dieses MiuisterwechselS war. Das Vezierat Moham¬
med Ali Pascha, welches nachfolgte, übernahm damals die bereits bestehenden
Finanzwirren als Hauptschwierigkeit; die Besiegung der aus der Nichtratification
des Urlebens erwachsenden Schwierigkeiten bildete also gleich anfangs eine
Hauptaufgabe sür dasselbe, von der gesagt werden kann, daß sie bis zur
Stunde ungelöst geblieben ist. Aber die Verlegenheiten mehrten sich mit den
Tagen der Amtsdauer. Man hatte im neuen Cabinet das System Neschid
Paschas laut und offen als den Verderb des Staates, als ein Regime, welches
nothwendig das Land zum Ruine hinführen müsse, bezeichnet, und cousequenter
Weise durfte man nicht säumen, ihm ein anderes, der eigenen Meinung nach
besseres, entgegenzustellen. Dieses neue System ist in vielen Blättern als der Jubegriff
der Maximen der sogenannten alttürkischen Partei, von der man viel im Aus¬
lande und wenig in Stambul selber hört, bezeichnet worden, doch, wie ich
glaube, mit großem Unrecht. Das Wahre ist, daß dieses System, wenn man
es so nennen will, aus dem Kopfe Mohammed Ali Paschas, des gegenwärtige"
Großvezicrs, selber entsprang. Dieser Staatsmann -- auf die fragliche Person,
die ihrer Herkunft nach ein georgischer Sclave ist, angewendet, mag der Aus¬
druck etwas hyperbolisch sein, aber er entspricht mindestens seiner amtlichen


seinem einmal aufgesteckten Banner tren bleiben und die Verantwortlichkeit eines
legislativen Actes ablehnen zu sehen, dessen unausbleibliche Folgen man ihm
wenigstens nicht wird zur Last legen können.

Ein preußischer Konstitutioneller.




W o es e n b e r i es t.

Das muhamedanische
Reich war seit langer als sechs Monaten in einer als entscheidend anzusehen¬
den Krisis, die dreifacher Natur ist: finanziell, gouvernemental und im engeren
Sinne politisch. Nachdem das Ministerium Neschid Paschas aus Anlässen ge¬
stürzt worden war, deren Ausgangspunkte in der Sphäre deS Serails liegen,
und die bis anf den heutige» Tag nicht völlig klar und unzweifelhaft enthüllt
worden sind, »ahn ein anderes, den Personen nach, aus denen es bestand,
von dem vorhergehenden wenig verschiedenes Cabinet, unter der Leitung des
seitherigen auswärtigen Ministers, Ali Pascha, als Großvezier, seine Stelle ein,
um am 7. October v. I. durch die gegenwärtigen Gewalthaber aufs Neue zu
Fall gebracht zu werdeu. Man weiß allgemein, daß die vielbesprochene, dnrch
den Fürsten Kallimachi, damaligen ottomanischen Gesandten zu Paris, auf Neschid
Paschas Autorisation hin, contrahirte Anleihe im Belaufe von fünfzig Millionen
Franken die Veranlassung dieses MiuisterwechselS war. Das Vezierat Moham¬
med Ali Pascha, welches nachfolgte, übernahm damals die bereits bestehenden
Finanzwirren als Hauptschwierigkeit; die Besiegung der aus der Nichtratification
des Urlebens erwachsenden Schwierigkeiten bildete also gleich anfangs eine
Hauptaufgabe sür dasselbe, von der gesagt werden kann, daß sie bis zur
Stunde ungelöst geblieben ist. Aber die Verlegenheiten mehrten sich mit den
Tagen der Amtsdauer. Man hatte im neuen Cabinet das System Neschid
Paschas laut und offen als den Verderb des Staates, als ein Regime, welches
nothwendig das Land zum Ruine hinführen müsse, bezeichnet, und cousequenter
Weise durfte man nicht säumen, ihm ein anderes, der eigenen Meinung nach
besseres, entgegenzustellen. Dieses neue System ist in vielen Blättern als der Jubegriff
der Maximen der sogenannten alttürkischen Partei, von der man viel im Aus¬
lande und wenig in Stambul selber hört, bezeichnet worden, doch, wie ich
glaube, mit großem Unrecht. Das Wahre ist, daß dieses System, wenn man
es so nennen will, aus dem Kopfe Mohammed Ali Paschas, des gegenwärtige»
Großvezicrs, selber entsprang. Dieser Staatsmann — auf die fragliche Person,
die ihrer Herkunft nach ein georgischer Sclave ist, angewendet, mag der Aus¬
druck etwas hyperbolisch sein, aber er entspricht mindestens seiner amtlichen


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[0397] seinem einmal aufgesteckten Banner tren bleiben und die Verantwortlichkeit eines legislativen Actes ablehnen zu sehen, dessen unausbleibliche Folgen man ihm wenigstens nicht wird zur Last legen können. Ein preußischer Konstitutioneller. W o es e n b e r i es t. Das muhamedanische Reich war seit langer als sechs Monaten in einer als entscheidend anzusehen¬ den Krisis, die dreifacher Natur ist: finanziell, gouvernemental und im engeren Sinne politisch. Nachdem das Ministerium Neschid Paschas aus Anlässen ge¬ stürzt worden war, deren Ausgangspunkte in der Sphäre deS Serails liegen, und die bis anf den heutige» Tag nicht völlig klar und unzweifelhaft enthüllt worden sind, »ahn ein anderes, den Personen nach, aus denen es bestand, von dem vorhergehenden wenig verschiedenes Cabinet, unter der Leitung des seitherigen auswärtigen Ministers, Ali Pascha, als Großvezier, seine Stelle ein, um am 7. October v. I. durch die gegenwärtigen Gewalthaber aufs Neue zu Fall gebracht zu werdeu. Man weiß allgemein, daß die vielbesprochene, dnrch den Fürsten Kallimachi, damaligen ottomanischen Gesandten zu Paris, auf Neschid Paschas Autorisation hin, contrahirte Anleihe im Belaufe von fünfzig Millionen Franken die Veranlassung dieses MiuisterwechselS war. Das Vezierat Moham¬ med Ali Pascha, welches nachfolgte, übernahm damals die bereits bestehenden Finanzwirren als Hauptschwierigkeit; die Besiegung der aus der Nichtratification des Urlebens erwachsenden Schwierigkeiten bildete also gleich anfangs eine Hauptaufgabe sür dasselbe, von der gesagt werden kann, daß sie bis zur Stunde ungelöst geblieben ist. Aber die Verlegenheiten mehrten sich mit den Tagen der Amtsdauer. Man hatte im neuen Cabinet das System Neschid Paschas laut und offen als den Verderb des Staates, als ein Regime, welches nothwendig das Land zum Ruine hinführen müsse, bezeichnet, und cousequenter Weise durfte man nicht säumen, ihm ein anderes, der eigenen Meinung nach besseres, entgegenzustellen. Dieses neue System ist in vielen Blättern als der Jubegriff der Maximen der sogenannten alttürkischen Partei, von der man viel im Aus¬ lande und wenig in Stambul selber hört, bezeichnet worden, doch, wie ich glaube, mit großem Unrecht. Das Wahre ist, daß dieses System, wenn man es so nennen will, aus dem Kopfe Mohammed Ali Paschas, des gegenwärtige» Großvezicrs, selber entsprang. Dieser Staatsmann — auf die fragliche Person, die ihrer Herkunft nach ein georgischer Sclave ist, angewendet, mag der Aus¬ druck etwas hyperbolisch sein, aber er entspricht mindestens seiner amtlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/397>, abgerufen am 04.05.2024.