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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Die Zusammensetzung des Ministeriums Lersundi hat seit unserm letzten
Bericht eine nicht unwesentliche Modification erlitten. Die Stellung des
Finanzministers Bermudez de Castro zu seinen Kollegen war seit Bildung
des Cabinets eine mißliche und hat ihn endlich zur Aufgebung eines Postens
genöthigt, den er nie hätte annehmen sollen. Länger als zwei Monate wurde
er, wie es scheint, vom Ministerpräsidenten durch die Versprechung hin¬
gehalten, daß die Regierung, sobald die Aufregung der Parteien, die dem Sturze
Noncalis folgte, sich gelegt haben werde, in den gesetzlichen Weg zurückkehren
werde. Jetzt endlich stellte Bermudez de Castro die bestimmte Forderung,
daß das Ministerium, und zwar bevor es sich durch die Besetzung der beiden
ledigen Portefeuilles des Handels und des Aeußeren ergänze, über die wichtigsten,
schwebenden Fragen, die Rückberufung des Narvaez, die Concessionen der Eisen¬
bahnen, namentlich die der Nordbahn, und die baldige Einberufung der Cortes,
sich entscheide. Da er hiermit nicht durchdringen konnte, reichte er seine Ent¬
lassung ein, die auch sofort angenommen wurde. Zwar ist Bermudez de Castro
noch rechtzeitig genug von den Täuschungen seines Ehrgeizes zurückgekommen,
um seinen Charakter vor völliger Preisgebung zu bewahren; indeß wird er
schwer den Flecken verwischen können, daß er noch im Cabinet war, als die Er¬
nennung Olaviarretas in Arrazolas Stelle erfolgte, und es ist fast unbegreiflich,
wie er nicht sofort aus Anlaß dieser schreienden Verfassungsverletznng ausgetreten
ist. Jedenfalls hat sein Ausscheiden und noch mehr die Person seines Nach¬
folgers, Luis Pastor, deu schlimmsten Eindruck im Volke gemacht. Der letztere,
sonst ein wenig bedeutender Mann, ist der Schwager und Vertraute des Ban¬
quiers Salamanca, des finanziellen Agenten der Königin Mutter und Haupt-
moteurs aller widergesetzlicheu Eisenbahnprojecte, und man sieht daher mit Recht
jetzt Salamanca als den eigentlichen Finanzminister an, was sowol für das
Interesse des Staats, als für die Gesetzmäßigkeit der zu erwartenden Operationen
die schlimmsten Befürchtungen hegen läßt. Zum Minister des Auswärtigen ist
der gegenwärtige Gesandte in Washington, Calderon de la Barna, ernannt; doch
bleibt es zum mindesten zweifelhaft, ob'er den ihm zugedachten Posten annehmen
wird. Handelsminister ist zum gerechtesten Staunen aller Welt Mvyano geworden,
bis vor kurzem eines der heftigsten Mitglieder der moderirten Opposition, bis
zum letzten Augenblick Mitglied des moderirten WahlcomitLs, aus dem bekannt¬
lich Sau Luis, Bermudez de Castro und ihre weniger entschiedenen Freunde aus¬
geschieden waren, und sogar designirt, die Anklage gegen Murillo vor die Cortes
zu bringen. Sein Eintritt in das Cabinet Lersundi, nachdem Bermudez de Castro
es für unmöglich gehalten, länger dessen Theilnehmer zu bleibe", ist ein Act


Die Zusammensetzung des Ministeriums Lersundi hat seit unserm letzten
Bericht eine nicht unwesentliche Modification erlitten. Die Stellung des
Finanzministers Bermudez de Castro zu seinen Kollegen war seit Bildung
des Cabinets eine mißliche und hat ihn endlich zur Aufgebung eines Postens
genöthigt, den er nie hätte annehmen sollen. Länger als zwei Monate wurde
er, wie es scheint, vom Ministerpräsidenten durch die Versprechung hin¬
gehalten, daß die Regierung, sobald die Aufregung der Parteien, die dem Sturze
Noncalis folgte, sich gelegt haben werde, in den gesetzlichen Weg zurückkehren
werde. Jetzt endlich stellte Bermudez de Castro die bestimmte Forderung,
daß das Ministerium, und zwar bevor es sich durch die Besetzung der beiden
ledigen Portefeuilles des Handels und des Aeußeren ergänze, über die wichtigsten,
schwebenden Fragen, die Rückberufung des Narvaez, die Concessionen der Eisen¬
bahnen, namentlich die der Nordbahn, und die baldige Einberufung der Cortes,
sich entscheide. Da er hiermit nicht durchdringen konnte, reichte er seine Ent¬
lassung ein, die auch sofort angenommen wurde. Zwar ist Bermudez de Castro
noch rechtzeitig genug von den Täuschungen seines Ehrgeizes zurückgekommen,
um seinen Charakter vor völliger Preisgebung zu bewahren; indeß wird er
schwer den Flecken verwischen können, daß er noch im Cabinet war, als die Er¬
nennung Olaviarretas in Arrazolas Stelle erfolgte, und es ist fast unbegreiflich,
wie er nicht sofort aus Anlaß dieser schreienden Verfassungsverletznng ausgetreten
ist. Jedenfalls hat sein Ausscheiden und noch mehr die Person seines Nach¬
folgers, Luis Pastor, deu schlimmsten Eindruck im Volke gemacht. Der letztere,
sonst ein wenig bedeutender Mann, ist der Schwager und Vertraute des Ban¬
quiers Salamanca, des finanziellen Agenten der Königin Mutter und Haupt-
moteurs aller widergesetzlicheu Eisenbahnprojecte, und man sieht daher mit Recht
jetzt Salamanca als den eigentlichen Finanzminister an, was sowol für das
Interesse des Staats, als für die Gesetzmäßigkeit der zu erwartenden Operationen
die schlimmsten Befürchtungen hegen läßt. Zum Minister des Auswärtigen ist
der gegenwärtige Gesandte in Washington, Calderon de la Barna, ernannt; doch
bleibt es zum mindesten zweifelhaft, ob'er den ihm zugedachten Posten annehmen
wird. Handelsminister ist zum gerechtesten Staunen aller Welt Mvyano geworden,
bis vor kurzem eines der heftigsten Mitglieder der moderirten Opposition, bis
zum letzten Augenblick Mitglied des moderirten WahlcomitLs, aus dem bekannt¬
lich Sau Luis, Bermudez de Castro und ihre weniger entschiedenen Freunde aus¬
geschieden waren, und sogar designirt, die Anklage gegen Murillo vor die Cortes
zu bringen. Sein Eintritt in das Cabinet Lersundi, nachdem Bermudez de Castro
es für unmöglich gehalten, länger dessen Theilnehmer zu bleibe», ist ein Act


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/111>, abgerufen am 06.05.2024.