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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Neue historische Schriften.
Der Jakobiner-Klub. Ein Beitrag zur Geschichte der Parteien und der politi¬
schen Sitten im Revolutions-Zeitalter. Von I. W. Zinkeisen. 2 Bde.
Berlin, Decker. --

Kurze Zeit vor dem Ausbruch der Februarrevolution, gleichsam als Vorboten
der neuen Erschütterung, erschienen eine ganze Anzahl von Schriften, welche
das Thema der ersten großen französischen Staatsumwälzung behandelten, nicht
um neue bedeutende Thatsachen aufzustellen, sondern um irgend ein politisches
System in einer epischen Form auseinander zu breiten. Daß von^Zeit zu Zeit
solche Schriften erscheinen, ist ganz in der Ordnung, denn die Geschichte soll
daran erinnert werden, daß sie es nicht blos mit Thatsachen zu thun hat, sondern
auch mit Ideen, und je leidcnschaftloser und unbefangener ein Schriftsteller in
seine Idee ausgeht, desto kräftiger wird der Anstoß, der dadurch der Geschichte
gegeben wird. Dann kommt aber wieder eine Zeit der Ruhe, wo man müde
von dem Kampfe der Ideen, sich der Erforschung der Thatsachen hingibt, und
eine solche Zeit dürste die unsrige sein. Es ist kaum mehr möglich, irgend einen
ideellen Standpunkt aufzufinden, von welchem man die französische Revolution
betrachten könnte: von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken hat jede
politische Partei ihren Geschichtsschreiber gefunden. Aber sie bewegen sich alle
fast ausschließlich in dem Centrum der großen Politik, und die entfernteren Kreise
des Staatslebens, die häufig ebenso charakteristisch für die Entwickelungen der
Begebenheiten waren, sind meistens vernachlässigt worden.

Zur Kenntniß deö inneren Gewebes der revolutionären Politik ist das vor¬
liegende Werk ein unschätzbarer Beitrag. Herr Zinkeisen gehört zwar einer
bestimmten politischen Partei an, aber er ist seiner ganzen Natur nach ein ruhi¬
ger, leidenschaftsloser Forscher, der sich durch Ideen nicht bewältigen läßt und
dem es zunächst darauf ankommt, die wirklichen Thatsachen in ihrer Vollständig¬
keit und Integrität herzustellen. Eine solche Natur ist für ein Unternehmen, wie
das vorliegende, vorzugsweise geeignet, namentlich wenn ein so bedeutender und
umfangreicher Fleiß hinzukommt, wie er in diesem Werk sich überall ausspricht.

Auf den ersten Anblick wird zwar der Leser durch den ungeheuren Umfang
des Werks außer Fassung gesetzt, und er zweifelt daran, ob die Wichtigkeit des
Gegenstandes eine solche Ausdehnung erheischt. Wir sind aber überzeugt, daß
der Verfasser recht daran gethan hat. Denn bei der Darstellung des Jacobiner-
clubs kam es nicht auf allgemeine Umrisse an, sondern auf ein anschauliches
Bild, und dieses konnte nur dadurch hergestellt werden, daß die einzelnen Ver¬
handlungen, die bedeutendsten mitwirkenden Persönlichkeiten, die Stellung des
Clubs nach außen hin, seine innere Organisation u. s. w. möglichst genau


Neue historische Schriften.
Der Jakobiner-Klub. Ein Beitrag zur Geschichte der Parteien und der politi¬
schen Sitten im Revolutions-Zeitalter. Von I. W. Zinkeisen. 2 Bde.
Berlin, Decker. —

Kurze Zeit vor dem Ausbruch der Februarrevolution, gleichsam als Vorboten
der neuen Erschütterung, erschienen eine ganze Anzahl von Schriften, welche
das Thema der ersten großen französischen Staatsumwälzung behandelten, nicht
um neue bedeutende Thatsachen aufzustellen, sondern um irgend ein politisches
System in einer epischen Form auseinander zu breiten. Daß von^Zeit zu Zeit
solche Schriften erscheinen, ist ganz in der Ordnung, denn die Geschichte soll
daran erinnert werden, daß sie es nicht blos mit Thatsachen zu thun hat, sondern
auch mit Ideen, und je leidcnschaftloser und unbefangener ein Schriftsteller in
seine Idee ausgeht, desto kräftiger wird der Anstoß, der dadurch der Geschichte
gegeben wird. Dann kommt aber wieder eine Zeit der Ruhe, wo man müde
von dem Kampfe der Ideen, sich der Erforschung der Thatsachen hingibt, und
eine solche Zeit dürste die unsrige sein. Es ist kaum mehr möglich, irgend einen
ideellen Standpunkt aufzufinden, von welchem man die französische Revolution
betrachten könnte: von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken hat jede
politische Partei ihren Geschichtsschreiber gefunden. Aber sie bewegen sich alle
fast ausschließlich in dem Centrum der großen Politik, und die entfernteren Kreise
des Staatslebens, die häufig ebenso charakteristisch für die Entwickelungen der
Begebenheiten waren, sind meistens vernachlässigt worden.

Zur Kenntniß deö inneren Gewebes der revolutionären Politik ist das vor¬
liegende Werk ein unschätzbarer Beitrag. Herr Zinkeisen gehört zwar einer
bestimmten politischen Partei an, aber er ist seiner ganzen Natur nach ein ruhi¬
ger, leidenschaftsloser Forscher, der sich durch Ideen nicht bewältigen läßt und
dem es zunächst darauf ankommt, die wirklichen Thatsachen in ihrer Vollständig¬
keit und Integrität herzustellen. Eine solche Natur ist für ein Unternehmen, wie
das vorliegende, vorzugsweise geeignet, namentlich wenn ein so bedeutender und
umfangreicher Fleiß hinzukommt, wie er in diesem Werk sich überall ausspricht.

Auf den ersten Anblick wird zwar der Leser durch den ungeheuren Umfang
des Werks außer Fassung gesetzt, und er zweifelt daran, ob die Wichtigkeit des
Gegenstandes eine solche Ausdehnung erheischt. Wir sind aber überzeugt, daß
der Verfasser recht daran gethan hat. Denn bei der Darstellung des Jacobiner-
clubs kam es nicht auf allgemeine Umrisse an, sondern auf ein anschauliches
Bild, und dieses konnte nur dadurch hergestellt werden, daß die einzelnen Ver¬
handlungen, die bedeutendsten mitwirkenden Persönlichkeiten, die Stellung des
Clubs nach außen hin, seine innere Organisation u. s. w. möglichst genau


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[0118] Neue historische Schriften. Der Jakobiner-Klub. Ein Beitrag zur Geschichte der Parteien und der politi¬ schen Sitten im Revolutions-Zeitalter. Von I. W. Zinkeisen. 2 Bde. Berlin, Decker. — Kurze Zeit vor dem Ausbruch der Februarrevolution, gleichsam als Vorboten der neuen Erschütterung, erschienen eine ganze Anzahl von Schriften, welche das Thema der ersten großen französischen Staatsumwälzung behandelten, nicht um neue bedeutende Thatsachen aufzustellen, sondern um irgend ein politisches System in einer epischen Form auseinander zu breiten. Daß von^Zeit zu Zeit solche Schriften erscheinen, ist ganz in der Ordnung, denn die Geschichte soll daran erinnert werden, daß sie es nicht blos mit Thatsachen zu thun hat, sondern auch mit Ideen, und je leidcnschaftloser und unbefangener ein Schriftsteller in seine Idee ausgeht, desto kräftiger wird der Anstoß, der dadurch der Geschichte gegeben wird. Dann kommt aber wieder eine Zeit der Ruhe, wo man müde von dem Kampfe der Ideen, sich der Erforschung der Thatsachen hingibt, und eine solche Zeit dürste die unsrige sein. Es ist kaum mehr möglich, irgend einen ideellen Standpunkt aufzufinden, von welchem man die französische Revolution betrachten könnte: von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken hat jede politische Partei ihren Geschichtsschreiber gefunden. Aber sie bewegen sich alle fast ausschließlich in dem Centrum der großen Politik, und die entfernteren Kreise des Staatslebens, die häufig ebenso charakteristisch für die Entwickelungen der Begebenheiten waren, sind meistens vernachlässigt worden. Zur Kenntniß deö inneren Gewebes der revolutionären Politik ist das vor¬ liegende Werk ein unschätzbarer Beitrag. Herr Zinkeisen gehört zwar einer bestimmten politischen Partei an, aber er ist seiner ganzen Natur nach ein ruhi¬ ger, leidenschaftsloser Forscher, der sich durch Ideen nicht bewältigen läßt und dem es zunächst darauf ankommt, die wirklichen Thatsachen in ihrer Vollständig¬ keit und Integrität herzustellen. Eine solche Natur ist für ein Unternehmen, wie das vorliegende, vorzugsweise geeignet, namentlich wenn ein so bedeutender und umfangreicher Fleiß hinzukommt, wie er in diesem Werk sich überall ausspricht. Auf den ersten Anblick wird zwar der Leser durch den ungeheuren Umfang des Werks außer Fassung gesetzt, und er zweifelt daran, ob die Wichtigkeit des Gegenstandes eine solche Ausdehnung erheischt. Wir sind aber überzeugt, daß der Verfasser recht daran gethan hat. Denn bei der Darstellung des Jacobiner- clubs kam es nicht auf allgemeine Umrisse an, sondern auf ein anschauliches Bild, und dieses konnte nur dadurch hergestellt werden, daß die einzelnen Ver¬ handlungen, die bedeutendsten mitwirkenden Persönlichkeiten, die Stellung des Clubs nach außen hin, seine innere Organisation u. s. w. möglichst genau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/118>, abgerufen am 06.05.2024.