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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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der eimsss eÄsbrsg nur zu sehr eingerissen ist, und die mehr darauf ausgeht, die
Phantasie des Publicums zu kitzeln, als es gründlich zu belehren. Seiner Arbeit
kommt vor allem das Lob der Gewissenhaftigkeit zu. Es ergeben sich im Lauf
des Processes eine Reihe juristischer Fragen, die für den Mann vom Fach von
großem Interesse sein werden; uns zieht vor allem die sittliche Seite an. "Wenn
damals, sagt der Verfasser in der Vorrede, der gebildete Theil der Nation eine
in der Geschichte beispiellose praktische Unfähigkeit an den Tag legte, nud damit
bewies, das; der aus Westen gekommene Sturm die Besten im Volke unreif an¬
getroffen hatte, war es zu verwundern, wenn die Hefe des Volkes in dem
Augenblicke, wo ein böser Dämon sie auf die Bühnen stürmen ließ, eine fast
fabelhafte Rohheit nud Dummheit in dieser Beziehung zu erkennen gab?
Die folgende Darstellung wird die actenmäßigen Belege dafür liefern, bis
zu welcher Höhe sich die Begriffsverwirrung in der untern Schicht der Gesellschaft
erhob, welch viehischer Zcrstörungstrieb, zum Theil in grausenhaft pvsstrlicher
Ausdrucksweise, sich aus der aufgesetzten Masse erhob.... Vor den Gerichten
sind eine Menge von gesellschaftlich niedrig gestellten Personen aufgetreten, deren
Aussagen aufs nnzweidentigste erkennen lassen, daß sie ruhige und gutmüthige
Menschen waren, daß sie aber, als der Versucher an sie herankam, der Ver¬
standes- und Charakterbildung ermangelten, welche sie allein widerstandsfähig ge¬
macht haben würde. Es handelt sich aber nicbt blos um religiöse Bildung,
vollends uicht um einseitige, aus Kosten der edelsten Fähigkeiten dir Menschen
einexercirte; es handelt sich um eine Bildung, deren Grund und Ziel die Frei¬
heit ist -- denn nnr diese vermag einen Charakter zu zeitigen und die einzig zu¬
verlässige Beschränkung zu lehren, die Selbstbeschränkung." -- Der sittliche Ernst,
der sich in diesen Worten ausspricht, athmet durch das ganze Buch; trotz des
abschenlichen Stoffes' wird man es also mit Erhebung aus der Hand legen.




Wochenbericht.
Theater.

-- Von neuen Stücken führe" wir an: "Rose und Röschen", vier-
actigcs Schauspiel von Chart. Birch-Pfeiffer; "Macchiavelli" von Elise Schmidt;
"D,er Hof hat Ferien", vieraetigeS Lustspiel von Otto Roquette. --

Das Theater in Karlsruhe hat seit seiner Wiedereröffnung folgende Stücke
ausgeführt: Jungfrau von Orleans, Eigensinn, Stille Wasser sind tief, Gebrüder Foster,
das Lügen, der'Kaufmann von Venedig, die Journalisten, Egmont, der Landwirt!), die
Hvchzeitrcise. Badekuren. -- >

Das durch mehre Blätter verbreitete Gerücht, Gustav Freytag werde die
artistische Director eines Theaters übernehmen, entbehrt jeder Begründung.

Herr Marr hat sein Gastspiel früher, als es sür Leipzig wünschenswert!) war,


Grenzboten. III. -1863. Is

der eimsss eÄsbrsg nur zu sehr eingerissen ist, und die mehr darauf ausgeht, die
Phantasie des Publicums zu kitzeln, als es gründlich zu belehren. Seiner Arbeit
kommt vor allem das Lob der Gewissenhaftigkeit zu. Es ergeben sich im Lauf
des Processes eine Reihe juristischer Fragen, die für den Mann vom Fach von
großem Interesse sein werden; uns zieht vor allem die sittliche Seite an. „Wenn
damals, sagt der Verfasser in der Vorrede, der gebildete Theil der Nation eine
in der Geschichte beispiellose praktische Unfähigkeit an den Tag legte, nud damit
bewies, das; der aus Westen gekommene Sturm die Besten im Volke unreif an¬
getroffen hatte, war es zu verwundern, wenn die Hefe des Volkes in dem
Augenblicke, wo ein böser Dämon sie auf die Bühnen stürmen ließ, eine fast
fabelhafte Rohheit nud Dummheit in dieser Beziehung zu erkennen gab?
Die folgende Darstellung wird die actenmäßigen Belege dafür liefern, bis
zu welcher Höhe sich die Begriffsverwirrung in der untern Schicht der Gesellschaft
erhob, welch viehischer Zcrstörungstrieb, zum Theil in grausenhaft pvsstrlicher
Ausdrucksweise, sich aus der aufgesetzten Masse erhob.... Vor den Gerichten
sind eine Menge von gesellschaftlich niedrig gestellten Personen aufgetreten, deren
Aussagen aufs nnzweidentigste erkennen lassen, daß sie ruhige und gutmüthige
Menschen waren, daß sie aber, als der Versucher an sie herankam, der Ver¬
standes- und Charakterbildung ermangelten, welche sie allein widerstandsfähig ge¬
macht haben würde. Es handelt sich aber nicbt blos um religiöse Bildung,
vollends uicht um einseitige, aus Kosten der edelsten Fähigkeiten dir Menschen
einexercirte; es handelt sich um eine Bildung, deren Grund und Ziel die Frei¬
heit ist — denn nnr diese vermag einen Charakter zu zeitigen und die einzig zu¬
verlässige Beschränkung zu lehren, die Selbstbeschränkung." — Der sittliche Ernst,
der sich in diesen Worten ausspricht, athmet durch das ganze Buch; trotz des
abschenlichen Stoffes' wird man es also mit Erhebung aus der Hand legen.




Wochenbericht.
Theater.

— Von neuen Stücken führe» wir an: „Rose und Röschen", vier-
actigcs Schauspiel von Chart. Birch-Pfeiffer; „Macchiavelli" von Elise Schmidt;
„D,er Hof hat Ferien", vieraetigeS Lustspiel von Otto Roquette. —

Das Theater in Karlsruhe hat seit seiner Wiedereröffnung folgende Stücke
ausgeführt: Jungfrau von Orleans, Eigensinn, Stille Wasser sind tief, Gebrüder Foster,
das Lügen, der'Kaufmann von Venedig, die Journalisten, Egmont, der Landwirt!), die
Hvchzeitrcise. Badekuren. — >

Das durch mehre Blätter verbreitete Gerücht, Gustav Freytag werde die
artistische Director eines Theaters übernehmen, entbehrt jeder Begründung.

Herr Marr hat sein Gastspiel früher, als es sür Leipzig wünschenswert!) war,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/121>, abgerufen am 06.05.2024.