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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Kleinasiatische Zustände.

Von allen Provinzen des türkischen Reichs ist Kleinasien am reichsten von
der Natur ausgestattet, aber anch nirgends sind diese Reichthümer durch die ange¬
borene Trägheit der türkischen Einwohner und die dnrch eine schlechte Regierung
geforderte innere Zerrüttung ärger vernachlässigt, als hier. Es ist in kleinerem
Maßstabe, jedoch in stärkeren Farben gemalt, das Bild der ökonomischen Lage der
gesammten Türkei: der größte Ueberfluß an natürlichen Hilfsquellen, aber der
gänzliche Mangel an Anstalten sie auszubeuten, eine Bevölkerung, der es nicht
an Anlagen, aber an aller geistigen Energie fehlt, die nicht ohne guten Willen
ist, die aber, wenn sie fortschreiten will, gegen das Princip ihrer eigenen Existenz
handeln muß.

Unter Kleinasien versteht man die große Halbinsel, welche das mittelländische
Meer von dem Bassin des schwarzen Meeres trennt, und die im Osten eine von
Trebisoude uach dem Meerbusen von Alexandrette gezogene Linie begrenzt. In
politischer Hinsicht ist diese große Provinz in elf Ejaletö oder Vicekönigreiche,
diese wieder in 39 Saudschaks und 393 Nahas (Districte) getheilt. In jedem
Ejalet befinden sich drei obere, voneinander ganz unabhängige Beamte: der
Statthalter, der Pascha oder Obercommandant der Truppen, und der Ober-
steuereinnehmer. Die Justizpflege steht unniittelbar unter dem in Konstantinopel
residirenden Oberhaupt der Schrift- und Gesetzgelehrteu, dem Scheik al Islam.

Wichtiger als diese politische Eintheilung ist, wenn man vor allem die
natürlichen Reichthümer des Landes kennen lernen will, eine andre sehr einfache nach
der Gestaltung des Bodens. Darnach zerfällt Kleinasien in zwei Theile, in die
Region der Hochebenen und in die der Berge. Erstere bildet die Mitte Klein¬
asiens, wird westlich vom Mäander und dem Heraus begrenzt und erstreckt
sich östlich bis in die Gegend von Suvas; eine Linie von dieser Stadt nach
Angora gezogen, bildet die nördliche, eine andere von Eregli nach Karaman die
südliche Grenze. Diese Region besteht aus einer Reihe von Hochebenen, die


Grenzboten. Ill, 18S3. 26
Kleinasiatische Zustände.

Von allen Provinzen des türkischen Reichs ist Kleinasien am reichsten von
der Natur ausgestattet, aber anch nirgends sind diese Reichthümer durch die ange¬
borene Trägheit der türkischen Einwohner und die dnrch eine schlechte Regierung
geforderte innere Zerrüttung ärger vernachlässigt, als hier. Es ist in kleinerem
Maßstabe, jedoch in stärkeren Farben gemalt, das Bild der ökonomischen Lage der
gesammten Türkei: der größte Ueberfluß an natürlichen Hilfsquellen, aber der
gänzliche Mangel an Anstalten sie auszubeuten, eine Bevölkerung, der es nicht
an Anlagen, aber an aller geistigen Energie fehlt, die nicht ohne guten Willen
ist, die aber, wenn sie fortschreiten will, gegen das Princip ihrer eigenen Existenz
handeln muß.

Unter Kleinasien versteht man die große Halbinsel, welche das mittelländische
Meer von dem Bassin des schwarzen Meeres trennt, und die im Osten eine von
Trebisoude uach dem Meerbusen von Alexandrette gezogene Linie begrenzt. In
politischer Hinsicht ist diese große Provinz in elf Ejaletö oder Vicekönigreiche,
diese wieder in 39 Saudschaks und 393 Nahas (Districte) getheilt. In jedem
Ejalet befinden sich drei obere, voneinander ganz unabhängige Beamte: der
Statthalter, der Pascha oder Obercommandant der Truppen, und der Ober-
steuereinnehmer. Die Justizpflege steht unniittelbar unter dem in Konstantinopel
residirenden Oberhaupt der Schrift- und Gesetzgelehrteu, dem Scheik al Islam.

Wichtiger als diese politische Eintheilung ist, wenn man vor allem die
natürlichen Reichthümer des Landes kennen lernen will, eine andre sehr einfache nach
der Gestaltung des Bodens. Darnach zerfällt Kleinasien in zwei Theile, in die
Region der Hochebenen und in die der Berge. Erstere bildet die Mitte Klein¬
asiens, wird westlich vom Mäander und dem Heraus begrenzt und erstreckt
sich östlich bis in die Gegend von Suvas; eine Linie von dieser Stadt nach
Angora gezogen, bildet die nördliche, eine andere von Eregli nach Karaman die
südliche Grenze. Diese Region besteht aus einer Reihe von Hochebenen, die


Grenzboten. Ill, 18S3. 26
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[0209] Kleinasiatische Zustände. Von allen Provinzen des türkischen Reichs ist Kleinasien am reichsten von der Natur ausgestattet, aber anch nirgends sind diese Reichthümer durch die ange¬ borene Trägheit der türkischen Einwohner und die dnrch eine schlechte Regierung geforderte innere Zerrüttung ärger vernachlässigt, als hier. Es ist in kleinerem Maßstabe, jedoch in stärkeren Farben gemalt, das Bild der ökonomischen Lage der gesammten Türkei: der größte Ueberfluß an natürlichen Hilfsquellen, aber der gänzliche Mangel an Anstalten sie auszubeuten, eine Bevölkerung, der es nicht an Anlagen, aber an aller geistigen Energie fehlt, die nicht ohne guten Willen ist, die aber, wenn sie fortschreiten will, gegen das Princip ihrer eigenen Existenz handeln muß. Unter Kleinasien versteht man die große Halbinsel, welche das mittelländische Meer von dem Bassin des schwarzen Meeres trennt, und die im Osten eine von Trebisoude uach dem Meerbusen von Alexandrette gezogene Linie begrenzt. In politischer Hinsicht ist diese große Provinz in elf Ejaletö oder Vicekönigreiche, diese wieder in 39 Saudschaks und 393 Nahas (Districte) getheilt. In jedem Ejalet befinden sich drei obere, voneinander ganz unabhängige Beamte: der Statthalter, der Pascha oder Obercommandant der Truppen, und der Ober- steuereinnehmer. Die Justizpflege steht unniittelbar unter dem in Konstantinopel residirenden Oberhaupt der Schrift- und Gesetzgelehrteu, dem Scheik al Islam. Wichtiger als diese politische Eintheilung ist, wenn man vor allem die natürlichen Reichthümer des Landes kennen lernen will, eine andre sehr einfache nach der Gestaltung des Bodens. Darnach zerfällt Kleinasien in zwei Theile, in die Region der Hochebenen und in die der Berge. Erstere bildet die Mitte Klein¬ asiens, wird westlich vom Mäander und dem Heraus begrenzt und erstreckt sich östlich bis in die Gegend von Suvas; eine Linie von dieser Stadt nach Angora gezogen, bildet die nördliche, eine andere von Eregli nach Karaman die südliche Grenze. Diese Region besteht aus einer Reihe von Hochebenen, die Grenzboten. Ill, 18S3. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/209>, abgerufen am 07.05.2024.