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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Türkische Zustände.

Das große Interesse, welches die orientalische Frage im gegenwärtigen
Angenblicke erregt, wird einen Rückblick auf die Ereignisse, die dem gegenwärtigen
Conflict vorangingen, rechtfertigen. Das Interesse der Franzosen für die heiligen
Orte, welches bekanntlich den Hauptvorwand für die gegenwärtige Verwickelung
bildete, obgleich der innere Grund tiefer zu suchen ist, datirt sich schon von den
Zeiten der Kreuzzüge her. Mit der Gründung der lateinischen Nitterstaaten im
Orient war auch die Gründung von lateinischen Klöstern und Kirchen verknüpft,
die bestehen blieben, als jene untergingen. Die Franzosen erhielten zwar in
Beziehung auf dieselben leidliche Bedingungen von den Türken, aber doch mehr
symbolischer Natur, z. B. den Besitz der Schlüssel zum heiligen Grabe, Bedin¬
gungen, welche übrigens die Türken bald vergaßen. Als sich aber Franz I. mit
den Türken gegen Karl V. verbündete, wurde die Stellung Frankreichs eine
günstigere; es erhielt das Schutzrecht über die Kirchen und Kloster des heiligen
Landes und des Archipelagus. Ein Jahrhundert darauf suchten die Franzose"
von diesen Privilegien einen ausgedehnten Gebrauch zu machen, indem sie unter
dem Einfluß der Marie von Medici die Jesuiten nach Konstantinopel und den
Inseln schickten. Die Gesandten von England und Venedig bekämpften ihren
Einfluß, und als die Jesuiten sich verleiten ließen, gegen einen griechischen Priester,
Namens Metaxa, der eine Druckerei für die Verbreitung religiöser Bücher in
Konstantinopel eingerichtet hatte, gewaltthätig einzuschreiten, war die Folge eine
vollständige Austreibung der Jesuiten aus dem Gesammtgebiet des türkischen
Reichs.

Unter Ludwig XIV. wurde der französische Gesandte in Konstantinopel insul-
tirt, und der mächtige König wußte es durchzusetzen, daß zur Genugthuung für
diese Beleidigung die Kapitulationen über den Besitz des heiligen Grabes erneuert
und weiter ausgedehnt wurden. 1740 und noch später wurden diese Vorträge
bestätigt.

Aber durch die Revolution hörte Frankreich auf, die erste katholische Macht
zu sein, und das Interesse für das Christenthum im Orient wich andern Be¬
strebungen. Als Poujoulat seine bekannte Reise im Orient machte, faud er keinen
einzigen französischen Mönch in Palästina.

Mittlerweile hatte die griechische Kirche, namentlich durch ihre Verbindung
mit Rußland sehr bedeutende Fortschritte gemacht. Als 1808 die Kirche zum
heiligen Grabe abbrannte, waren es die Griechen, die sie wieder aufbauten,
und die Verpflichtungen, welche die Restauration dem russischen Kaiser schuldete,
ließen sie nicht daran denken, dem Uebergewicht desselben im Orient entgegen¬
zutreten.


Grenzboten. III. 1863. 29
Türkische Zustände.

Das große Interesse, welches die orientalische Frage im gegenwärtigen
Angenblicke erregt, wird einen Rückblick auf die Ereignisse, die dem gegenwärtigen
Conflict vorangingen, rechtfertigen. Das Interesse der Franzosen für die heiligen
Orte, welches bekanntlich den Hauptvorwand für die gegenwärtige Verwickelung
bildete, obgleich der innere Grund tiefer zu suchen ist, datirt sich schon von den
Zeiten der Kreuzzüge her. Mit der Gründung der lateinischen Nitterstaaten im
Orient war auch die Gründung von lateinischen Klöstern und Kirchen verknüpft,
die bestehen blieben, als jene untergingen. Die Franzosen erhielten zwar in
Beziehung auf dieselben leidliche Bedingungen von den Türken, aber doch mehr
symbolischer Natur, z. B. den Besitz der Schlüssel zum heiligen Grabe, Bedin¬
gungen, welche übrigens die Türken bald vergaßen. Als sich aber Franz I. mit
den Türken gegen Karl V. verbündete, wurde die Stellung Frankreichs eine
günstigere; es erhielt das Schutzrecht über die Kirchen und Kloster des heiligen
Landes und des Archipelagus. Ein Jahrhundert darauf suchten die Franzose»
von diesen Privilegien einen ausgedehnten Gebrauch zu machen, indem sie unter
dem Einfluß der Marie von Medici die Jesuiten nach Konstantinopel und den
Inseln schickten. Die Gesandten von England und Venedig bekämpften ihren
Einfluß, und als die Jesuiten sich verleiten ließen, gegen einen griechischen Priester,
Namens Metaxa, der eine Druckerei für die Verbreitung religiöser Bücher in
Konstantinopel eingerichtet hatte, gewaltthätig einzuschreiten, war die Folge eine
vollständige Austreibung der Jesuiten aus dem Gesammtgebiet des türkischen
Reichs.

Unter Ludwig XIV. wurde der französische Gesandte in Konstantinopel insul-
tirt, und der mächtige König wußte es durchzusetzen, daß zur Genugthuung für
diese Beleidigung die Kapitulationen über den Besitz des heiligen Grabes erneuert
und weiter ausgedehnt wurden. 1740 und noch später wurden diese Vorträge
bestätigt.

Aber durch die Revolution hörte Frankreich auf, die erste katholische Macht
zu sein, und das Interesse für das Christenthum im Orient wich andern Be¬
strebungen. Als Poujoulat seine bekannte Reise im Orient machte, faud er keinen
einzigen französischen Mönch in Palästina.

Mittlerweile hatte die griechische Kirche, namentlich durch ihre Verbindung
mit Rußland sehr bedeutende Fortschritte gemacht. Als 1808 die Kirche zum
heiligen Grabe abbrannte, waren es die Griechen, die sie wieder aufbauten,
und die Verpflichtungen, welche die Restauration dem russischen Kaiser schuldete,
ließen sie nicht daran denken, dem Uebergewicht desselben im Orient entgegen¬
zutreten.


Grenzboten. III. 1863. 29
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[0233] Türkische Zustände. Das große Interesse, welches die orientalische Frage im gegenwärtigen Angenblicke erregt, wird einen Rückblick auf die Ereignisse, die dem gegenwärtigen Conflict vorangingen, rechtfertigen. Das Interesse der Franzosen für die heiligen Orte, welches bekanntlich den Hauptvorwand für die gegenwärtige Verwickelung bildete, obgleich der innere Grund tiefer zu suchen ist, datirt sich schon von den Zeiten der Kreuzzüge her. Mit der Gründung der lateinischen Nitterstaaten im Orient war auch die Gründung von lateinischen Klöstern und Kirchen verknüpft, die bestehen blieben, als jene untergingen. Die Franzosen erhielten zwar in Beziehung auf dieselben leidliche Bedingungen von den Türken, aber doch mehr symbolischer Natur, z. B. den Besitz der Schlüssel zum heiligen Grabe, Bedin¬ gungen, welche übrigens die Türken bald vergaßen. Als sich aber Franz I. mit den Türken gegen Karl V. verbündete, wurde die Stellung Frankreichs eine günstigere; es erhielt das Schutzrecht über die Kirchen und Kloster des heiligen Landes und des Archipelagus. Ein Jahrhundert darauf suchten die Franzose» von diesen Privilegien einen ausgedehnten Gebrauch zu machen, indem sie unter dem Einfluß der Marie von Medici die Jesuiten nach Konstantinopel und den Inseln schickten. Die Gesandten von England und Venedig bekämpften ihren Einfluß, und als die Jesuiten sich verleiten ließen, gegen einen griechischen Priester, Namens Metaxa, der eine Druckerei für die Verbreitung religiöser Bücher in Konstantinopel eingerichtet hatte, gewaltthätig einzuschreiten, war die Folge eine vollständige Austreibung der Jesuiten aus dem Gesammtgebiet des türkischen Reichs. Unter Ludwig XIV. wurde der französische Gesandte in Konstantinopel insul- tirt, und der mächtige König wußte es durchzusetzen, daß zur Genugthuung für diese Beleidigung die Kapitulationen über den Besitz des heiligen Grabes erneuert und weiter ausgedehnt wurden. 1740 und noch später wurden diese Vorträge bestätigt. Aber durch die Revolution hörte Frankreich auf, die erste katholische Macht zu sein, und das Interesse für das Christenthum im Orient wich andern Be¬ strebungen. Als Poujoulat seine bekannte Reise im Orient machte, faud er keinen einzigen französischen Mönch in Palästina. Mittlerweile hatte die griechische Kirche, namentlich durch ihre Verbindung mit Rußland sehr bedeutende Fortschritte gemacht. Als 1808 die Kirche zum heiligen Grabe abbrannte, waren es die Griechen, die sie wieder aufbauten, und die Verpflichtungen, welche die Restauration dem russischen Kaiser schuldete, ließen sie nicht daran denken, dem Uebergewicht desselben im Orient entgegen¬ zutreten. Grenzboten. III. 1863. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/233>, abgerufen am 06.05.2024.