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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Herr Pfarrer ist auch der Meinung." Und als wir unsre Verwunderung aus-
sprachen, daß sie allein in der Familie der alten Sitte zuwiderhandelte, sagte
sie traurig:

-- Ich bin es nicht allein, die Verschiedenheit der Ansichten hat schon lange
Unfrieden und Unglück in unser Haus gebracht. Mein einziger Bruder hat eine
reiche Frau in Nieder-Navarra geheirathet und die Männer ihres Dorfes haben
ihn zum Maire ernannt. Nun muß er dafür sorgen, daß nichts gegen den
Willen der französischen Regierung geschieht; aber der Vater sagt, daß es Verrath
ist, den Franzosen zu dienen, und bleibt lieber bei uns, obwol" wir arm sind, als
im Hause seines Sohnes, der ihn doch ehren und pflegen würde, wie es dem
Vater gebührt. Der Bruder dagegen meint, wir wären den Franzosen Dank
schuldig, weil sie unsern Kindern bessern Unterricht geben und unsre Grenzen
beschützen.

-- Und Euer Gatte? fragten wir wieder.

Sie erröthete und sagte zögernd: Er ist Contrebandier -- sein Vater und
sein Großvater waren das auch, und sonst hielt man das Gewerbe für das ehren¬
vollste, weil immer viel Gefahr damit verbunden ist. Aber mein Bruder sagt,
es wäre sündhaft und brächte Schande. Darüber haben die beiden oft Streit
gehabt, sie sehn sich selten, und wenn sie beieinander sind, habe ich Angst
und Sorge, daß ich sie nicht von diesen Dingen anfangen lasse.

-- Darum wünschtet ihr wol, wie Urraca, daß alles beim alten geblieben
wäre?

-- Nein, nein! rief sie schnell, die Männer mögen sich in Kampf und
Gefahr wohl fühlen, aber wir Frauen sind dankbar, wenn wir unsre Kinder für
ein sichres, ruhiges Leben erziehen können. Aber schlaft nun wohl, es ist spät.
Sie ging. -- Ihre verständigen Worte hatten den beklemmenden Eindruck ver¬
wischt, den das Hervorbrechen abergläubischer Unduldsamkeit macht, und wir
fragten uns, ob es nicht thöricht sei, das Absterben alter Sitten und Ansichten
zu beklagen, da ihr Verschwinden der Bildung und Humanität das Feld überläßt.




Die oldenburgischen Finanzen.

Die Geschichte Oldenburgs ist vortrefflich geeignet, den Satz zu belegen,
daß keine ständische Vertretung aufkommt, wo keine Steuern und keine öffentlichen
Finanzen sind. Es braucht nicht daran erinnert zu werden, daß Oldenburg einer
der wenigen deutschen Staaten war, bei denen die Ereignisse von 1848 das
Versprechen von 18-is, das Versprechen einer "landständischen" Verfassung noch
unerfüllt fanden. Man darf es aber weder auf die eigensinnigen und übermü-


Grenzbote". III. ->8ölZ. i2

Herr Pfarrer ist auch der Meinung." Und als wir unsre Verwunderung aus-
sprachen, daß sie allein in der Familie der alten Sitte zuwiderhandelte, sagte
sie traurig:

— Ich bin es nicht allein, die Verschiedenheit der Ansichten hat schon lange
Unfrieden und Unglück in unser Haus gebracht. Mein einziger Bruder hat eine
reiche Frau in Nieder-Navarra geheirathet und die Männer ihres Dorfes haben
ihn zum Maire ernannt. Nun muß er dafür sorgen, daß nichts gegen den
Willen der französischen Regierung geschieht; aber der Vater sagt, daß es Verrath
ist, den Franzosen zu dienen, und bleibt lieber bei uns, obwol» wir arm sind, als
im Hause seines Sohnes, der ihn doch ehren und pflegen würde, wie es dem
Vater gebührt. Der Bruder dagegen meint, wir wären den Franzosen Dank
schuldig, weil sie unsern Kindern bessern Unterricht geben und unsre Grenzen
beschützen.

— Und Euer Gatte? fragten wir wieder.

Sie erröthete und sagte zögernd: Er ist Contrebandier — sein Vater und
sein Großvater waren das auch, und sonst hielt man das Gewerbe für das ehren¬
vollste, weil immer viel Gefahr damit verbunden ist. Aber mein Bruder sagt,
es wäre sündhaft und brächte Schande. Darüber haben die beiden oft Streit
gehabt, sie sehn sich selten, und wenn sie beieinander sind, habe ich Angst
und Sorge, daß ich sie nicht von diesen Dingen anfangen lasse.

— Darum wünschtet ihr wol, wie Urraca, daß alles beim alten geblieben
wäre?

— Nein, nein! rief sie schnell, die Männer mögen sich in Kampf und
Gefahr wohl fühlen, aber wir Frauen sind dankbar, wenn wir unsre Kinder für
ein sichres, ruhiges Leben erziehen können. Aber schlaft nun wohl, es ist spät.
Sie ging. — Ihre verständigen Worte hatten den beklemmenden Eindruck ver¬
wischt, den das Hervorbrechen abergläubischer Unduldsamkeit macht, und wir
fragten uns, ob es nicht thöricht sei, das Absterben alter Sitten und Ansichten
zu beklagen, da ihr Verschwinden der Bildung und Humanität das Feld überläßt.




Die oldenburgischen Finanzen.

Die Geschichte Oldenburgs ist vortrefflich geeignet, den Satz zu belegen,
daß keine ständische Vertretung aufkommt, wo keine Steuern und keine öffentlichen
Finanzen sind. Es braucht nicht daran erinnert zu werden, daß Oldenburg einer
der wenigen deutschen Staaten war, bei denen die Ereignisse von 1848 das
Versprechen von 18-is, das Versprechen einer „landständischen" Verfassung noch
unerfüllt fanden. Man darf es aber weder auf die eigensinnigen und übermü-


Grenzbote». III. ->8ölZ. i2
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[0335] Herr Pfarrer ist auch der Meinung." Und als wir unsre Verwunderung aus- sprachen, daß sie allein in der Familie der alten Sitte zuwiderhandelte, sagte sie traurig: — Ich bin es nicht allein, die Verschiedenheit der Ansichten hat schon lange Unfrieden und Unglück in unser Haus gebracht. Mein einziger Bruder hat eine reiche Frau in Nieder-Navarra geheirathet und die Männer ihres Dorfes haben ihn zum Maire ernannt. Nun muß er dafür sorgen, daß nichts gegen den Willen der französischen Regierung geschieht; aber der Vater sagt, daß es Verrath ist, den Franzosen zu dienen, und bleibt lieber bei uns, obwol» wir arm sind, als im Hause seines Sohnes, der ihn doch ehren und pflegen würde, wie es dem Vater gebührt. Der Bruder dagegen meint, wir wären den Franzosen Dank schuldig, weil sie unsern Kindern bessern Unterricht geben und unsre Grenzen beschützen. — Und Euer Gatte? fragten wir wieder. Sie erröthete und sagte zögernd: Er ist Contrebandier — sein Vater und sein Großvater waren das auch, und sonst hielt man das Gewerbe für das ehren¬ vollste, weil immer viel Gefahr damit verbunden ist. Aber mein Bruder sagt, es wäre sündhaft und brächte Schande. Darüber haben die beiden oft Streit gehabt, sie sehn sich selten, und wenn sie beieinander sind, habe ich Angst und Sorge, daß ich sie nicht von diesen Dingen anfangen lasse. — Darum wünschtet ihr wol, wie Urraca, daß alles beim alten geblieben wäre? — Nein, nein! rief sie schnell, die Männer mögen sich in Kampf und Gefahr wohl fühlen, aber wir Frauen sind dankbar, wenn wir unsre Kinder für ein sichres, ruhiges Leben erziehen können. Aber schlaft nun wohl, es ist spät. Sie ging. — Ihre verständigen Worte hatten den beklemmenden Eindruck ver¬ wischt, den das Hervorbrechen abergläubischer Unduldsamkeit macht, und wir fragten uns, ob es nicht thöricht sei, das Absterben alter Sitten und Ansichten zu beklagen, da ihr Verschwinden der Bildung und Humanität das Feld überläßt. Die oldenburgischen Finanzen. Die Geschichte Oldenburgs ist vortrefflich geeignet, den Satz zu belegen, daß keine ständische Vertretung aufkommt, wo keine Steuern und keine öffentlichen Finanzen sind. Es braucht nicht daran erinnert zu werden, daß Oldenburg einer der wenigen deutschen Staaten war, bei denen die Ereignisse von 1848 das Versprechen von 18-is, das Versprechen einer „landständischen" Verfassung noch unerfüllt fanden. Man darf es aber weder auf die eigensinnigen und übermü- Grenzbote». III. ->8ölZ. i2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/335>, abgerufen am 06.05.2024.