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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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rungen in dem Justizwesen sind für festländische Leser unerheblich. Der Haupt¬
beschwerde, der doppelten Regierung durch das Directorencvlleginm und den
Präsidenten des Centralamtes, wird nicht abgeholfen, und es bleibt dem Parla¬
ment kein andres Mittel übrig, als Sir Ch. Wood und seine Nachfolger beim
Worte zu nehmen, und sie wirklich für alles, was in Ostindien Unrechtes ge¬
schieht, zur Verantwortung zu ziehen.




Geschichten, wie man sie in Bosnien erzählt.
2.
Eine Drachme Zunge.

Omer ward täglich von seinem Vater gescholten und ermahnt, daß er sich zu
einem Handmerk bequeme und sich der Tamburica^) und des Flanirens in deu
Gassen von Sarajevo entschlage. -- "Dn bist jung, mein lieber Sohn, wir, deine
Eltern, sind alt und können nicht mehr arbeiten. Wer soll uns denn ernähren,
wenn du es nicht thust?"

Omer aber kümmerte sich um diese Ermahnungen ebensowenig als um ein
Gewerbe. Er war in ganz Sarajevo wohlbekannt als Kolovodja^) aller Fla¬
neure. Von Haus zu Haus, vou Fenster zu Fenster vagiren war sein ganzes
Tagewerk. Jedermann sah ein, daß Omer noch nicht reif zum Heirathen sei; nicht
so sehr seiner Jugend als vielmehr seiner leeren Tasche wegen. Jedermann hielt
dafür, Omer sei von einem bösen Dämon oder gar vom Teufel besessen, daß er
nur herumvagabnndire. Schande "ut Spott trafen nicht ihn allein, sie fielen anch
ans die betrübte" Eltern zurück. Kummer und Gram über den ungerathenen
Sohn zerschnitten ihren Lebensfaden; sie starben.

Omer war nun der älteste von vier Waisen im leeren, baufälligen Eltern¬
hause. Er hatte zwar längst gewünscht, von den Eltern ganz ungehindert, frank
und frei seinem thörichten Wandel fröhnen zu können, bald aber fühlte er, wie
es ohne Eltern geht, wenn alle Last anf den eigenen Nacken drückt. "Wer wird
für mich spinnen, wer weben, wer das Hans rein erhalten? Ich muß meinen
leichtfertigen Wandel aufgeben." So philosophirte Omer und sprach: "Her mit
der bulgarischen Tamburica! Es geht nicht anders, ich muß heirathen!"
Er knöpfte die Tamburica unter den Rock und ging zum Fenster der schönen
Mejra.

Es war Abend, als Omer unter MejraS Fenster trat. Dünnen brannte
Licht und ans der Stube heraus ließ sich ein leises Flüstern vernehmen. Omer
klopfte an das Fenster, das Geflüster verstummte; er begann zur Tamburica zu


rungen in dem Justizwesen sind für festländische Leser unerheblich. Der Haupt¬
beschwerde, der doppelten Regierung durch das Directorencvlleginm und den
Präsidenten des Centralamtes, wird nicht abgeholfen, und es bleibt dem Parla¬
ment kein andres Mittel übrig, als Sir Ch. Wood und seine Nachfolger beim
Worte zu nehmen, und sie wirklich für alles, was in Ostindien Unrechtes ge¬
schieht, zur Verantwortung zu ziehen.




Geschichten, wie man sie in Bosnien erzählt.
2.
Eine Drachme Zunge.

Omer ward täglich von seinem Vater gescholten und ermahnt, daß er sich zu
einem Handmerk bequeme und sich der Tamburica^) und des Flanirens in deu
Gassen von Sarajevo entschlage. — „Dn bist jung, mein lieber Sohn, wir, deine
Eltern, sind alt und können nicht mehr arbeiten. Wer soll uns denn ernähren,
wenn du es nicht thust?"

Omer aber kümmerte sich um diese Ermahnungen ebensowenig als um ein
Gewerbe. Er war in ganz Sarajevo wohlbekannt als Kolovodja^) aller Fla¬
neure. Von Haus zu Haus, vou Fenster zu Fenster vagiren war sein ganzes
Tagewerk. Jedermann sah ein, daß Omer noch nicht reif zum Heirathen sei; nicht
so sehr seiner Jugend als vielmehr seiner leeren Tasche wegen. Jedermann hielt
dafür, Omer sei von einem bösen Dämon oder gar vom Teufel besessen, daß er
nur herumvagabnndire. Schande »ut Spott trafen nicht ihn allein, sie fielen anch
ans die betrübte» Eltern zurück. Kummer und Gram über den ungerathenen
Sohn zerschnitten ihren Lebensfaden; sie starben.

Omer war nun der älteste von vier Waisen im leeren, baufälligen Eltern¬
hause. Er hatte zwar längst gewünscht, von den Eltern ganz ungehindert, frank
und frei seinem thörichten Wandel fröhnen zu können, bald aber fühlte er, wie
es ohne Eltern geht, wenn alle Last anf den eigenen Nacken drückt. „Wer wird
für mich spinnen, wer weben, wer das Hans rein erhalten? Ich muß meinen
leichtfertigen Wandel aufgeben." So philosophirte Omer und sprach: „Her mit
der bulgarischen Tamburica! Es geht nicht anders, ich muß heirathen!"
Er knöpfte die Tamburica unter den Rock und ging zum Fenster der schönen
Mejra.

Es war Abend, als Omer unter MejraS Fenster trat. Dünnen brannte
Licht und ans der Stube heraus ließ sich ein leises Flüstern vernehmen. Omer
klopfte an das Fenster, das Geflüster verstummte; er begann zur Tamburica zu


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[0461] rungen in dem Justizwesen sind für festländische Leser unerheblich. Der Haupt¬ beschwerde, der doppelten Regierung durch das Directorencvlleginm und den Präsidenten des Centralamtes, wird nicht abgeholfen, und es bleibt dem Parla¬ ment kein andres Mittel übrig, als Sir Ch. Wood und seine Nachfolger beim Worte zu nehmen, und sie wirklich für alles, was in Ostindien Unrechtes ge¬ schieht, zur Verantwortung zu ziehen. Geschichten, wie man sie in Bosnien erzählt. 2. Eine Drachme Zunge. Omer ward täglich von seinem Vater gescholten und ermahnt, daß er sich zu einem Handmerk bequeme und sich der Tamburica^) und des Flanirens in deu Gassen von Sarajevo entschlage. — „Dn bist jung, mein lieber Sohn, wir, deine Eltern, sind alt und können nicht mehr arbeiten. Wer soll uns denn ernähren, wenn du es nicht thust?" Omer aber kümmerte sich um diese Ermahnungen ebensowenig als um ein Gewerbe. Er war in ganz Sarajevo wohlbekannt als Kolovodja^) aller Fla¬ neure. Von Haus zu Haus, vou Fenster zu Fenster vagiren war sein ganzes Tagewerk. Jedermann sah ein, daß Omer noch nicht reif zum Heirathen sei; nicht so sehr seiner Jugend als vielmehr seiner leeren Tasche wegen. Jedermann hielt dafür, Omer sei von einem bösen Dämon oder gar vom Teufel besessen, daß er nur herumvagabnndire. Schande »ut Spott trafen nicht ihn allein, sie fielen anch ans die betrübte» Eltern zurück. Kummer und Gram über den ungerathenen Sohn zerschnitten ihren Lebensfaden; sie starben. Omer war nun der älteste von vier Waisen im leeren, baufälligen Eltern¬ hause. Er hatte zwar längst gewünscht, von den Eltern ganz ungehindert, frank und frei seinem thörichten Wandel fröhnen zu können, bald aber fühlte er, wie es ohne Eltern geht, wenn alle Last anf den eigenen Nacken drückt. „Wer wird für mich spinnen, wer weben, wer das Hans rein erhalten? Ich muß meinen leichtfertigen Wandel aufgeben." So philosophirte Omer und sprach: „Her mit der bulgarischen Tamburica! Es geht nicht anders, ich muß heirathen!" Er knöpfte die Tamburica unter den Rock und ging zum Fenster der schönen Mejra. Es war Abend, als Omer unter MejraS Fenster trat. Dünnen brannte Licht und ans der Stube heraus ließ sich ein leises Flüstern vernehmen. Omer klopfte an das Fenster, das Geflüster verstummte; er begann zur Tamburica zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/461>, abgerufen am 06.05.2024.