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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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rend unserer früher" Bürgerkriege dem Reich gestohlenen Provinzen." -- Das
ist eine Conjectnralpvlitik, die durch keine Thatsachen gestutzt wird.

Dieselbe falsche Verallgemeinerung und abstracte Idealisirung findet auch bei
Wallenstein statt. Auch dieser hat nach Gfrörer gleich von seinem ersten Auf¬
treten an einen großen politischen Plan verfolgt; er wollte ein mächtiges Kaiser¬
reich aufrichten, gestützt ans eine Reihe militärischer Lehen, ungefähr wie in der
Zeit des lateinischen Kreuzzugs oder unter Napoleon. Von diesem Gesichtspunkt
aus erklärt er alle Einzelnheiten in dem Verfahren seines Helden, die doch häufig
aus bestimmten Gemüthsaffcctionen, selbst ans abergläubischen Vorstellungen zu
erklären waren. Das Dämonische in seiner Natur hat er nicht herausgesucht,
er setzt ihn zu einem Systematiker herab. Noch mehr, er findet das nämliche
System in den meisten der bedeutendern Generale, namentlich in Pappenheim
wieder. Dagegen ist die Losung des Verhältnisses zwischen Wallenstein und dem
Kaiser mit großem Verstand auseinandergesetzt, wie es denn überhaupt an Scharf¬
sinn und Einsicht in diesem Buch durchaus nicht fehlt, wenn sie nur nicht durch
Abstractionen und vorgefaßte Meinungen verkümmert wären.

In einem Puukt bleibt er, stets consequent, in seiner Abneigung gegen die
"Welsen", welche die deutsche Einheit unmöglich machen, gegen die souveränen
Kleinstaaten; in Frankfurt (1848) scheint ihm aber sein großdentscheS Princip
auch in dieser Beziehung seine Ansicht modificirt zu haben. --

Die Composition des Werks ist schwach; Gustav jAdolph nimmt nur einen
kleinen Theil des Raumes ein, eigentlich erst von Seite 664 an, und auch da
nicht hinreichend hervortretend. Er hat loin eigentliches Darstellungstalent, trotz
vortrefflicher Bemerkungen im einzelnen; sein Stil reflectirt räsonnircnd, seine Kri¬
tik nicht immer ruhig und überlegt, obgleich er stets das Bestreben hat, objectiv
zu sein. Der Versuch der militärischen Verhältnisse ist unbedeutend, und den
nsrvus reinen, die ökonomischen Verhältnisse während des Krieges, bloßzulegcu,
hat er nicht einmal versucht. Von dieser Seite erwartet der dreißigjährige Krieg
noch seinen Geschichtschreiber.




Diesseits und jenseits des -Oceans.

Das riesenhafte Wachsthum der Vereinigten Staaten von Nordamerika ist
der Gegenstand täglicher Bewunderung und täglicher Eifersucht für den Bewohner
der alten Welt, der an der diesseitigen Küste des Oceans von Jahr zu Jahr
größere Massen amerikanischer Producte herüberschwimmen und das altermüde
Europa in Betreff der wichtigsten Rohstoffe, Fabrikmaterialien und Consumtibilien
von dem jungen Sprößling, der noch vor zwei Menschenaltern unter seiner Vor-


rend unserer früher» Bürgerkriege dem Reich gestohlenen Provinzen." — Das
ist eine Conjectnralpvlitik, die durch keine Thatsachen gestutzt wird.

Dieselbe falsche Verallgemeinerung und abstracte Idealisirung findet auch bei
Wallenstein statt. Auch dieser hat nach Gfrörer gleich von seinem ersten Auf¬
treten an einen großen politischen Plan verfolgt; er wollte ein mächtiges Kaiser¬
reich aufrichten, gestützt ans eine Reihe militärischer Lehen, ungefähr wie in der
Zeit des lateinischen Kreuzzugs oder unter Napoleon. Von diesem Gesichtspunkt
aus erklärt er alle Einzelnheiten in dem Verfahren seines Helden, die doch häufig
aus bestimmten Gemüthsaffcctionen, selbst ans abergläubischen Vorstellungen zu
erklären waren. Das Dämonische in seiner Natur hat er nicht herausgesucht,
er setzt ihn zu einem Systematiker herab. Noch mehr, er findet das nämliche
System in den meisten der bedeutendern Generale, namentlich in Pappenheim
wieder. Dagegen ist die Losung des Verhältnisses zwischen Wallenstein und dem
Kaiser mit großem Verstand auseinandergesetzt, wie es denn überhaupt an Scharf¬
sinn und Einsicht in diesem Buch durchaus nicht fehlt, wenn sie nur nicht durch
Abstractionen und vorgefaßte Meinungen verkümmert wären.

In einem Puukt bleibt er, stets consequent, in seiner Abneigung gegen die
„Welsen", welche die deutsche Einheit unmöglich machen, gegen die souveränen
Kleinstaaten; in Frankfurt (1848) scheint ihm aber sein großdentscheS Princip
auch in dieser Beziehung seine Ansicht modificirt zu haben. —

Die Composition des Werks ist schwach; Gustav jAdolph nimmt nur einen
kleinen Theil des Raumes ein, eigentlich erst von Seite 664 an, und auch da
nicht hinreichend hervortretend. Er hat loin eigentliches Darstellungstalent, trotz
vortrefflicher Bemerkungen im einzelnen; sein Stil reflectirt räsonnircnd, seine Kri¬
tik nicht immer ruhig und überlegt, obgleich er stets das Bestreben hat, objectiv
zu sein. Der Versuch der militärischen Verhältnisse ist unbedeutend, und den
nsrvus reinen, die ökonomischen Verhältnisse während des Krieges, bloßzulegcu,
hat er nicht einmal versucht. Von dieser Seite erwartet der dreißigjährige Krieg
noch seinen Geschichtschreiber.




Diesseits und jenseits des -Oceans.

Das riesenhafte Wachsthum der Vereinigten Staaten von Nordamerika ist
der Gegenstand täglicher Bewunderung und täglicher Eifersucht für den Bewohner
der alten Welt, der an der diesseitigen Küste des Oceans von Jahr zu Jahr
größere Massen amerikanischer Producte herüberschwimmen und das altermüde
Europa in Betreff der wichtigsten Rohstoffe, Fabrikmaterialien und Consumtibilien
von dem jungen Sprößling, der noch vor zwei Menschenaltern unter seiner Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/102>, abgerufen am 29.05.2024.