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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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den Sturz der Anarchie, sondern suchte" ans dem Getümmel eigenen Vortheil zu
ziehen. Die Ende 1793 eingetretene Auflösung der Koalition verspricht uns Herr
von Sybel in dem zweiten Baude seines verdienstlichen Werkes in einem neuen
Licht .-n. e zu zeigen.




nachträgliches über Achin von Arnim.

Die "Expedition des v. Arnimschen Verlags" in Berlin hat Arnims
gesammelte Werke, für die sie einen billigen Preis gestellt, aufs neue verschickt.
Wir haben zwar schon einige Male über diesen wunderbarsten deutschen
Dichter unsere Ansicht ausgesprochen, wir glauben aber, hier noch einmal darauf
zurückkommen zu dürfen, da er aus sehr begreiflichen Gründen dem größern
Theil des deutschen Publicums vollständig unbekannt geblieben ist, während sich
doch in seinen Schriften sehr vieles findet, was einen denkenden Beobachter der
deutschen Literatur zu fruchtbarem Nachdenken anregen, und ihm über einzelne
Phasen derselben, die ans den ersten Anblick ganz unbegreiflich scheinen, eine
gewisse Aufklärung, wenigstens eine concretere Anschauung der Frage nud des
Zweifels geben kann. Um so mehr glauben wir Entschuldigung zu finden,
da wir den "Nachlaß" noch nicht besprochen haben. Er enthält die "Päpstin
Johanna" und 2 Bände dramatischer Werke; mehres andere ist uns noch in
Aussicht gestellt, worunter wir namentlich ans den 2. Theil der "Kroncnwächtcr",
sowie ans, den i. Theil des "WunderhornS" begierig sind. Möchte nur Frau
v. Armin die Pietät gegen ihren Mann auch so verstehen, daß sie selber nichts
dazu thut, denn wie interessant die Leistungen des einen wie der andern sein
mögen, dem Leser ist es doch lieber, beide von einander zu scheiden.

Wir können uns die dichterische Eigenthümlichkeit Arnims nur daraus erklären,
daß er von zwei anscheinend ganz entgegengesetzten ästhetischen Principien bestimmt
wurde; nämlich einerseits von der Reaction gegen den poetischen Idealismus im
Sinn der Antike, welcher sowol bei Goethe und Schiller und bei den ihnen
befreundeten Dichtern und Philosophen, als auch bei der romantischen Schule
das leitende Motiv war; andererseits aber auch durch eine gesteigerte und erhöhte
Auffassung der Poesie, als einer weit über das wirkliche Leben hinausragenden
Kraft. Während er also auf der einen Seite mit einer gewissen Aengstlichkeit nach jenem
derben Realismus strebt, wie er ihm in dem altdeutschen Leben und der altdeutschen
Kunst entgegentrat, bemüht er sich auf der andern Seite ebenso einseitig, alle bestimmten
Gestalten in jene "mondbeglänzte Zaubernacht" der Poesie zu tauchen, in welcher
alle Unterschiede verschwimmen. Aus diesem doppelten Bestreben, welches trotz
seines augenscheinlichen Widerspruchs doch vielfach auf das nämliche Ziel hinlief,
wird uns bei Arnim vieles begreiflich, was wir durchaus nicht verstehen könnten,


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den Sturz der Anarchie, sondern suchte» ans dem Getümmel eigenen Vortheil zu
ziehen. Die Ende 1793 eingetretene Auflösung der Koalition verspricht uns Herr
von Sybel in dem zweiten Baude seines verdienstlichen Werkes in einem neuen
Licht .-n. e zu zeigen.




nachträgliches über Achin von Arnim.

Die „Expedition des v. Arnimschen Verlags" in Berlin hat Arnims
gesammelte Werke, für die sie einen billigen Preis gestellt, aufs neue verschickt.
Wir haben zwar schon einige Male über diesen wunderbarsten deutschen
Dichter unsere Ansicht ausgesprochen, wir glauben aber, hier noch einmal darauf
zurückkommen zu dürfen, da er aus sehr begreiflichen Gründen dem größern
Theil des deutschen Publicums vollständig unbekannt geblieben ist, während sich
doch in seinen Schriften sehr vieles findet, was einen denkenden Beobachter der
deutschen Literatur zu fruchtbarem Nachdenken anregen, und ihm über einzelne
Phasen derselben, die ans den ersten Anblick ganz unbegreiflich scheinen, eine
gewisse Aufklärung, wenigstens eine concretere Anschauung der Frage nud des
Zweifels geben kann. Um so mehr glauben wir Entschuldigung zu finden,
da wir den „Nachlaß" noch nicht besprochen haben. Er enthält die „Päpstin
Johanna" und 2 Bände dramatischer Werke; mehres andere ist uns noch in
Aussicht gestellt, worunter wir namentlich ans den 2. Theil der „Kroncnwächtcr",
sowie ans, den i. Theil des „WunderhornS" begierig sind. Möchte nur Frau
v. Armin die Pietät gegen ihren Mann auch so verstehen, daß sie selber nichts
dazu thut, denn wie interessant die Leistungen des einen wie der andern sein
mögen, dem Leser ist es doch lieber, beide von einander zu scheiden.

Wir können uns die dichterische Eigenthümlichkeit Arnims nur daraus erklären,
daß er von zwei anscheinend ganz entgegengesetzten ästhetischen Principien bestimmt
wurde; nämlich einerseits von der Reaction gegen den poetischen Idealismus im
Sinn der Antike, welcher sowol bei Goethe und Schiller und bei den ihnen
befreundeten Dichtern und Philosophen, als auch bei der romantischen Schule
das leitende Motiv war; andererseits aber auch durch eine gesteigerte und erhöhte
Auffassung der Poesie, als einer weit über das wirkliche Leben hinausragenden
Kraft. Während er also auf der einen Seite mit einer gewissen Aengstlichkeit nach jenem
derben Realismus strebt, wie er ihm in dem altdeutschen Leben und der altdeutschen
Kunst entgegentrat, bemüht er sich auf der andern Seite ebenso einseitig, alle bestimmten
Gestalten in jene „mondbeglänzte Zaubernacht" der Poesie zu tauchen, in welcher
alle Unterschiede verschwimmen. Aus diesem doppelten Bestreben, welches trotz
seines augenscheinlichen Widerspruchs doch vielfach auf das nämliche Ziel hinlief,
wird uns bei Arnim vieles begreiflich, was wir durchaus nicht verstehen könnten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/179>, abgerufen am 19.05.2024.