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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Umstand genüge", Rußland zu einer gedrängteren Zusammennähme seiner Heeres¬
kräfte zu veranlasse". Die nächste Folge dann ist aber unvermeidlich die, daß
die Verpflegung schwieriger, die Bewegung desselben langsamer "ut der Cha¬
rakter der ganzen Kriegführung zaudernder werden wird; daß ein verzögerndes
Element sich in dieselbe eindrängt, welches es zuwege bringe" dürfte, daß die
Entscheidung nicht im ersten, sondern erst in einem zweiten, vielleicht in eine",
dritte" Feldzug gegeben werden wird.

Diese letztere Betrachtung möchte geeignet sein, "in anch Nußland zum ern¬
sten und sorgenvollen nachdenke" über das zu bestimmen, was es unternimmt.
Bei den unsteten "ut schwankenden Zuständen Europas sind zwei, drei Jahre
ein erciguißvvller Zeitraum. Wir haben es erlebt, daß Revolutionen innerhalb
dieser Frist Reiche der Auflösung nahe brachten und Dynastien, die sich zu Au-
fang desselben fest auf dem Throne wähnten, von demselben hinwegschnellten,
um andere darauf zu erheben. Was Kaiser Nikolaus im Jahre 1849 bewog,
von einem Zuge gegen Stambul Abstand zu nehmen, das war die glimmende und
funkensprühende Asche, die damals noch weithin über der Fläche Europas tag.
Was daun aber, wenn während seines jetzt zu unternehmenden Krieges dasselbe
Enropa wieder in Flammen lodern sollte?! Ich wiederhole es, die gegenwärtige
Situation macht Entschließungen schwer, und sie hat ihre Bedenklichkeiten selbst
für den russischen Zaren.

In der vergangenen Woche saß zu mehren Malen ein großes nationales
Mcdschliß, welches über die Frage, ob Krieg oder Frieden, zu entscheiden hatte,
und seine Sitzung währte das erste Mal K, n"d das zweite Mal 8 Stunden.
Man entschied sich nach sehr stürmischen Debatten dafür, der Negienmg eine
Kriegserklärung zu empfehlen.

Die hohe Diplomatie hat vergebens Anstrengungen gemacht, "in de" Sultan
zu einer Manifestation seines souveränen Willens, von dem man ""nimmt, daß
er dem Friede" geneigt sei, zu bestimmen. Ebenso erfolglos waren alle Be¬
mühungen beim Ministerium, in welchem "icht sowol die Kriegspartei als das
Gefühl, daß der Krieg der einzige Ausweg a"S der Krisis sei, überwiegt. In¬
folge dessen herrscht Bestürzung in Pera. Der Handel stockte seit lange und ist
nunmehr fast todt. Im Hafen liegen wenige Kauffahrer, dagegen eine Anzahl
englischer "ut französischer Depcschendampfer; nnter ihnen weht vom Mast der
preußischen Kriegsdampfcvrvctte Danzig der preußische Adler, eine hier zu Lande
kaum gekannte Flagge.


3.

Der Krieg ist erklärt! Gestern in den ersten Bormittags-Stunden wurde
diese hochwichtige Nachricht durch das Journal de Cvnstantinople der Hauptstadt
verkündet, und in diesen: Augenblick tragen sie hundert und aberhundert berittene


Umstand genüge», Rußland zu einer gedrängteren Zusammennähme seiner Heeres¬
kräfte zu veranlasse». Die nächste Folge dann ist aber unvermeidlich die, daß
die Verpflegung schwieriger, die Bewegung desselben langsamer »ut der Cha¬
rakter der ganzen Kriegführung zaudernder werden wird; daß ein verzögerndes
Element sich in dieselbe eindrängt, welches es zuwege bringe» dürfte, daß die
Entscheidung nicht im ersten, sondern erst in einem zweiten, vielleicht in eine»,
dritte» Feldzug gegeben werden wird.

Diese letztere Betrachtung möchte geeignet sein, »in anch Nußland zum ern¬
sten und sorgenvollen nachdenke» über das zu bestimmen, was es unternimmt.
Bei den unsteten »ut schwankenden Zuständen Europas sind zwei, drei Jahre
ein erciguißvvller Zeitraum. Wir haben es erlebt, daß Revolutionen innerhalb
dieser Frist Reiche der Auflösung nahe brachten und Dynastien, die sich zu Au-
fang desselben fest auf dem Throne wähnten, von demselben hinwegschnellten,
um andere darauf zu erheben. Was Kaiser Nikolaus im Jahre 1849 bewog,
von einem Zuge gegen Stambul Abstand zu nehmen, das war die glimmende und
funkensprühende Asche, die damals noch weithin über der Fläche Europas tag.
Was daun aber, wenn während seines jetzt zu unternehmenden Krieges dasselbe
Enropa wieder in Flammen lodern sollte?! Ich wiederhole es, die gegenwärtige
Situation macht Entschließungen schwer, und sie hat ihre Bedenklichkeiten selbst
für den russischen Zaren.

In der vergangenen Woche saß zu mehren Malen ein großes nationales
Mcdschliß, welches über die Frage, ob Krieg oder Frieden, zu entscheiden hatte,
und seine Sitzung währte das erste Mal K, n»d das zweite Mal 8 Stunden.
Man entschied sich nach sehr stürmischen Debatten dafür, der Negienmg eine
Kriegserklärung zu empfehlen.

Die hohe Diplomatie hat vergebens Anstrengungen gemacht, »in de» Sultan
zu einer Manifestation seines souveränen Willens, von dem man »»nimmt, daß
er dem Friede» geneigt sei, zu bestimmen. Ebenso erfolglos waren alle Be¬
mühungen beim Ministerium, in welchem »icht sowol die Kriegspartei als das
Gefühl, daß der Krieg der einzige Ausweg a»S der Krisis sei, überwiegt. In¬
folge dessen herrscht Bestürzung in Pera. Der Handel stockte seit lange und ist
nunmehr fast todt. Im Hafen liegen wenige Kauffahrer, dagegen eine Anzahl
englischer »ut französischer Depcschendampfer; nnter ihnen weht vom Mast der
preußischen Kriegsdampfcvrvctte Danzig der preußische Adler, eine hier zu Lande
kaum gekannte Flagge.


3.

Der Krieg ist erklärt! Gestern in den ersten Bormittags-Stunden wurde
diese hochwichtige Nachricht durch das Journal de Cvnstantinople der Hauptstadt
verkündet, und in diesen: Augenblick tragen sie hundert und aberhundert berittene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/196>, abgerufen am 19.05.2024.