Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Wirklich deutsches Leben.
Geschichte der deutschen Sprache von Jacob Grimm. 2. Bd. -- 2. Auflage. Leipzig,
S. Hirzel. --
Culturgeschichte des deutschen Volkes in der Zeit des UevcrgangS aus dem Heidenthum
in das Christenthum. Von Heinrich Rückert. 1. Bd. Leipzig, T. O. Weigel.--

Die beiden Bücher gehören zu jener Gattung, die Gott sei Dank noch nicht
so selten ist, und die uns einen Trost geben kann, wenn wir aus vielen nahe¬
liegenden Gründen an der Zukunft unseres Volks zweifeln. Obgleich sie zwei
verschiedenen Generationen angehören, geben sie uns doch ein zusammenhängen¬
des und erfreuliches Bild von der Continuität des Lebens in der deutschen
Wissenschaft. In dem einen gibt uus der Altmeister der deutschen Sprache die
höchsten Resultate seiner Forschungen, die bereits weit über ein Menschenalter
Hinausgehen, in dem andern tritt ein junger Gelehrter, in demselben Geist der
Bildung aufgewachsen, mit einem kühnen aber erfolgreichen Wagniß ebenbürtig in
den Kreis der deutschen Wissenschaft.

Als Jacob Grimm seine "Geschichte der deutschen Sprache" vollendete
mitten im Ausbruch der Revolutionssturme, am 7. März -1848, schrieb er am
Schluß seiner Vorrede: "Ich arbeite zwar mit ungeschwächter innerer Lust, aber
ganz einsam, und vernehme weder Beifall noch Tadel, sogar von denen, die mir
am nächsten stehend, mich am sichersten beurtheilen können. Ist das nicht ein.
drohendes Zeichen des Stillstandes oder gar der Abnahme gemeinsam sonst froh
gepflogener Forschungen, für die sonst kein Ende abzusehen schien?" Dab er
sich in dieser Befürchtung getäuscht hat, dafür wird ihm die neue Auflage seines
Werks, sowie die begeisterte Aufnahme seines Wörterbuchs von Seiten des
gesammten deutschen Volks ein erfreuliches Zeugniß sein. Es hat sich seitdem
vieles abgeklärt, was das deutsche Leben in ein wüstes Chaos zu vertiefen
schien, wenn auch viele schöne Illusionen damit aufgelöst siud. Wenn Grimm
damals (11. Juni 1848) noch während des Drucks an Gervinus schrieb: "Es


Grenzboien. IV. -1863. 26
Wirklich deutsches Leben.
Geschichte der deutschen Sprache von Jacob Grimm. 2. Bd. — 2. Auflage. Leipzig,
S. Hirzel. —
Culturgeschichte des deutschen Volkes in der Zeit des UevcrgangS aus dem Heidenthum
in das Christenthum. Von Heinrich Rückert. 1. Bd. Leipzig, T. O. Weigel.—

Die beiden Bücher gehören zu jener Gattung, die Gott sei Dank noch nicht
so selten ist, und die uns einen Trost geben kann, wenn wir aus vielen nahe¬
liegenden Gründen an der Zukunft unseres Volks zweifeln. Obgleich sie zwei
verschiedenen Generationen angehören, geben sie uns doch ein zusammenhängen¬
des und erfreuliches Bild von der Continuität des Lebens in der deutschen
Wissenschaft. In dem einen gibt uus der Altmeister der deutschen Sprache die
höchsten Resultate seiner Forschungen, die bereits weit über ein Menschenalter
Hinausgehen, in dem andern tritt ein junger Gelehrter, in demselben Geist der
Bildung aufgewachsen, mit einem kühnen aber erfolgreichen Wagniß ebenbürtig in
den Kreis der deutschen Wissenschaft.

Als Jacob Grimm seine „Geschichte der deutschen Sprache" vollendete
mitten im Ausbruch der Revolutionssturme, am 7. März -1848, schrieb er am
Schluß seiner Vorrede: „Ich arbeite zwar mit ungeschwächter innerer Lust, aber
ganz einsam, und vernehme weder Beifall noch Tadel, sogar von denen, die mir
am nächsten stehend, mich am sichersten beurtheilen können. Ist das nicht ein.
drohendes Zeichen des Stillstandes oder gar der Abnahme gemeinsam sonst froh
gepflogener Forschungen, für die sonst kein Ende abzusehen schien?" Dab er
sich in dieser Befürchtung getäuscht hat, dafür wird ihm die neue Auflage seines
Werks, sowie die begeisterte Aufnahme seines Wörterbuchs von Seiten des
gesammten deutschen Volks ein erfreuliches Zeugniß sein. Es hat sich seitdem
vieles abgeklärt, was das deutsche Leben in ein wüstes Chaos zu vertiefen
schien, wenn auch viele schöne Illusionen damit aufgelöst siud. Wenn Grimm
damals (11. Juni 1848) noch während des Drucks an Gervinus schrieb: „Es


Grenzboien. IV. -1863. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96914"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wirklich deutsches Leben.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head>
              <list>
                <item> Geschichte der deutschen Sprache von Jacob Grimm. 2. Bd. &#x2014; 2. Auflage. Leipzig,<lb/>
S. Hirzel. &#x2014;</item>
                <item> Culturgeschichte des deutschen Volkes in der Zeit des UevcrgangS aus dem Heidenthum<lb/>
in das Christenthum. Von Heinrich Rückert. 1. Bd. Leipzig, T. O. Weigel.&#x2014;</item>
              </list>
            </head><lb/>
            <p xml:id="ID_569"> Die beiden Bücher gehören zu jener Gattung, die Gott sei Dank noch nicht<lb/>
so selten ist, und die uns einen Trost geben kann, wenn wir aus vielen nahe¬<lb/>
liegenden Gründen an der Zukunft unseres Volks zweifeln. Obgleich sie zwei<lb/>
verschiedenen Generationen angehören, geben sie uns doch ein zusammenhängen¬<lb/>
des und erfreuliches Bild von der Continuität des Lebens in der deutschen<lb/>
Wissenschaft. In dem einen gibt uus der Altmeister der deutschen Sprache die<lb/>
höchsten Resultate seiner Forschungen, die bereits weit über ein Menschenalter<lb/>
Hinausgehen, in dem andern tritt ein junger Gelehrter, in demselben Geist der<lb/>
Bildung aufgewachsen, mit einem kühnen aber erfolgreichen Wagniß ebenbürtig in<lb/>
den Kreis der deutschen Wissenschaft.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_570" next="#ID_571"> Als Jacob Grimm seine &#x201E;Geschichte der deutschen Sprache" vollendete<lb/>
mitten im Ausbruch der Revolutionssturme, am 7. März -1848, schrieb er am<lb/>
Schluß seiner Vorrede: &#x201E;Ich arbeite zwar mit ungeschwächter innerer Lust, aber<lb/>
ganz einsam, und vernehme weder Beifall noch Tadel, sogar von denen, die mir<lb/>
am nächsten stehend, mich am sichersten beurtheilen können. Ist das nicht ein.<lb/>
drohendes Zeichen des Stillstandes oder gar der Abnahme gemeinsam sonst froh<lb/>
gepflogener Forschungen, für die sonst kein Ende abzusehen schien?" Dab er<lb/>
sich in dieser Befürchtung getäuscht hat, dafür wird ihm die neue Auflage seines<lb/>
Werks, sowie die begeisterte Aufnahme seines Wörterbuchs von Seiten des<lb/>
gesammten deutschen Volks ein erfreuliches Zeugniß sein. Es hat sich seitdem<lb/>
vieles abgeklärt, was das deutsche Leben in ein wüstes Chaos zu vertiefen<lb/>
schien, wenn auch viele schöne Illusionen damit aufgelöst siud. Wenn Grimm<lb/>
damals (11. Juni 1848) noch während des Drucks an Gervinus schrieb: &#x201E;Es</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboien. IV. -1863. 26</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] Wirklich deutsches Leben. Geschichte der deutschen Sprache von Jacob Grimm. 2. Bd. — 2. Auflage. Leipzig, S. Hirzel. — Culturgeschichte des deutschen Volkes in der Zeit des UevcrgangS aus dem Heidenthum in das Christenthum. Von Heinrich Rückert. 1. Bd. Leipzig, T. O. Weigel.— Die beiden Bücher gehören zu jener Gattung, die Gott sei Dank noch nicht so selten ist, und die uns einen Trost geben kann, wenn wir aus vielen nahe¬ liegenden Gründen an der Zukunft unseres Volks zweifeln. Obgleich sie zwei verschiedenen Generationen angehören, geben sie uns doch ein zusammenhängen¬ des und erfreuliches Bild von der Continuität des Lebens in der deutschen Wissenschaft. In dem einen gibt uus der Altmeister der deutschen Sprache die höchsten Resultate seiner Forschungen, die bereits weit über ein Menschenalter Hinausgehen, in dem andern tritt ein junger Gelehrter, in demselben Geist der Bildung aufgewachsen, mit einem kühnen aber erfolgreichen Wagniß ebenbürtig in den Kreis der deutschen Wissenschaft. Als Jacob Grimm seine „Geschichte der deutschen Sprache" vollendete mitten im Ausbruch der Revolutionssturme, am 7. März -1848, schrieb er am Schluß seiner Vorrede: „Ich arbeite zwar mit ungeschwächter innerer Lust, aber ganz einsam, und vernehme weder Beifall noch Tadel, sogar von denen, die mir am nächsten stehend, mich am sichersten beurtheilen können. Ist das nicht ein. drohendes Zeichen des Stillstandes oder gar der Abnahme gemeinsam sonst froh gepflogener Forschungen, für die sonst kein Ende abzusehen schien?" Dab er sich in dieser Befürchtung getäuscht hat, dafür wird ihm die neue Auflage seines Werks, sowie die begeisterte Aufnahme seines Wörterbuchs von Seiten des gesammten deutschen Volks ein erfreuliches Zeugniß sein. Es hat sich seitdem vieles abgeklärt, was das deutsche Leben in ein wüstes Chaos zu vertiefen schien, wenn auch viele schöne Illusionen damit aufgelöst siud. Wenn Grimm damals (11. Juni 1848) noch während des Drucks an Gervinus schrieb: „Es Grenzboien. IV. -1863. 26

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/209>, abgerufen am 19.05.2024.