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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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nicht ganz der Großmuth, oder besser gesagt, dem Uebermuthe Rußlands preis¬
geben sollen. Oder aber Rußland zieht den Kürzern, und dann dürfte England
die Gelegenheit kaum versäumen, seinen gefährlichen Feind stark genug in die
Enge zu treiben, an auf lange Ruhe vor seinen Plänen im Osten zu bekommen.
In diesem Falle wurde sich weder Oestreich noch Preußen beeilen, Rußland mit
Aufopferung ihrer klarsten Interessen zu Hilfe zu kommen, da eine Schwächung
Rußlands ohne directe Stärkung der Revolution beiden Mächten nicht unwill¬
kommen sein muß. Ist die Türkei die Besiegte, dann ist Englands "ut Frank¬
reichs Hilfe auch ans dem Grunde voraussichtlich, weil sonst die Türkei in ihrer
Verzweiflung Brandstoff genng in der Umgebung hat, ihren falschen Alliirten,
sowie ihren Gegnern große Verlegenheiten zu bereiten. Die englische und
französische Negierung werden von der Furcht vor revolutionären Ereignissen
und selbst von der Furcht eines allgemeinen europäischen Krieges zur bewaffneten
Theilnahme hingedrängt, sowie Oestreich und Preußen durch dieselbe Furcht da¬
von abgehalten werden. Hierin liegt nur ein scheinbarer Widerspruch, weil, wie
bemerkt, die Türkei, von ihren Alliirten verlassen, zu allem greifen muß und
uur durch den Beistand Englands und Frankreichs von der Allianz mit der
Revolution abgehalten werden kann. Oestreich und Preußen aber, sollen sie, die
Waffen in der Hand, einschreiten, können, so wie die Sachen in Europa stehen,
nur auf Rußlands Seite treten, und dann ist der europäische Krieg fertig. Die
Vereinzelung der Türkei scheint mir daher vom Gesichtspunkte der westlichen Re¬
gierungen ans ebensowenig thunlich, als sie den Sympathien der westlichen
Nationen entspricht, und ich kann mir, wie ans dem Ebeugesagten erhellt, eine
kriegerische Mitwirkung Englands und Frankreichs denken ohne europäischen Krieg.
Daß es aber so kommen werde, ist nicht wahrscheinlich, weil weder England
noch Frankreich bisher die nöthige Entschiedenheit gezeigt, um zu vermeiden, was
sie gern vermeiden mochten; wie aber auch die Verwickelung im Osten jetzt en¬
det, es wäre denn doch nur der Anfang vom Anfange. Das europäische Gleich¬
gewicht von 181ü, oder vielmehr was von der damaligen sogenannten Pondc-
rirnng noch übriggeblieben: ist eine bloße diplomatische Fiction, und erlauben
Sie mir dre persönliche Ueberzeugung auszusprechen: ohne eine allgemeine Um¬
gestaltung der europäischen Verhältnisse, also ohne europäischen Krieg, kommen
wir nimmer und nimmer zur Ruhe. '




Die türkischen Ulemas.

Die Ulemas spielen, in den neuesten türkischen Verwickelungen wieder eine so
große Rolle, daß es von Wichtigkeit erscheint, ihre Stellung und Bedeutung


nicht ganz der Großmuth, oder besser gesagt, dem Uebermuthe Rußlands preis¬
geben sollen. Oder aber Rußland zieht den Kürzern, und dann dürfte England
die Gelegenheit kaum versäumen, seinen gefährlichen Feind stark genug in die
Enge zu treiben, an auf lange Ruhe vor seinen Plänen im Osten zu bekommen.
In diesem Falle wurde sich weder Oestreich noch Preußen beeilen, Rußland mit
Aufopferung ihrer klarsten Interessen zu Hilfe zu kommen, da eine Schwächung
Rußlands ohne directe Stärkung der Revolution beiden Mächten nicht unwill¬
kommen sein muß. Ist die Türkei die Besiegte, dann ist Englands »ut Frank¬
reichs Hilfe auch ans dem Grunde voraussichtlich, weil sonst die Türkei in ihrer
Verzweiflung Brandstoff genng in der Umgebung hat, ihren falschen Alliirten,
sowie ihren Gegnern große Verlegenheiten zu bereiten. Die englische und
französische Negierung werden von der Furcht vor revolutionären Ereignissen
und selbst von der Furcht eines allgemeinen europäischen Krieges zur bewaffneten
Theilnahme hingedrängt, sowie Oestreich und Preußen durch dieselbe Furcht da¬
von abgehalten werden. Hierin liegt nur ein scheinbarer Widerspruch, weil, wie
bemerkt, die Türkei, von ihren Alliirten verlassen, zu allem greifen muß und
uur durch den Beistand Englands und Frankreichs von der Allianz mit der
Revolution abgehalten werden kann. Oestreich und Preußen aber, sollen sie, die
Waffen in der Hand, einschreiten, können, so wie die Sachen in Europa stehen,
nur auf Rußlands Seite treten, und dann ist der europäische Krieg fertig. Die
Vereinzelung der Türkei scheint mir daher vom Gesichtspunkte der westlichen Re¬
gierungen ans ebensowenig thunlich, als sie den Sympathien der westlichen
Nationen entspricht, und ich kann mir, wie ans dem Ebeugesagten erhellt, eine
kriegerische Mitwirkung Englands und Frankreichs denken ohne europäischen Krieg.
Daß es aber so kommen werde, ist nicht wahrscheinlich, weil weder England
noch Frankreich bisher die nöthige Entschiedenheit gezeigt, um zu vermeiden, was
sie gern vermeiden mochten; wie aber auch die Verwickelung im Osten jetzt en¬
det, es wäre denn doch nur der Anfang vom Anfange. Das europäische Gleich¬
gewicht von 181ü, oder vielmehr was von der damaligen sogenannten Pondc-
rirnng noch übriggeblieben: ist eine bloße diplomatische Fiction, und erlauben
Sie mir dre persönliche Ueberzeugung auszusprechen: ohne eine allgemeine Um¬
gestaltung der europäischen Verhältnisse, also ohne europäischen Krieg, kommen
wir nimmer und nimmer zur Ruhe. '




Die türkischen Ulemas.

Die Ulemas spielen, in den neuesten türkischen Verwickelungen wieder eine so
große Rolle, daß es von Wichtigkeit erscheint, ihre Stellung und Bedeutung


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[0279] nicht ganz der Großmuth, oder besser gesagt, dem Uebermuthe Rußlands preis¬ geben sollen. Oder aber Rußland zieht den Kürzern, und dann dürfte England die Gelegenheit kaum versäumen, seinen gefährlichen Feind stark genug in die Enge zu treiben, an auf lange Ruhe vor seinen Plänen im Osten zu bekommen. In diesem Falle wurde sich weder Oestreich noch Preußen beeilen, Rußland mit Aufopferung ihrer klarsten Interessen zu Hilfe zu kommen, da eine Schwächung Rußlands ohne directe Stärkung der Revolution beiden Mächten nicht unwill¬ kommen sein muß. Ist die Türkei die Besiegte, dann ist Englands »ut Frank¬ reichs Hilfe auch ans dem Grunde voraussichtlich, weil sonst die Türkei in ihrer Verzweiflung Brandstoff genng in der Umgebung hat, ihren falschen Alliirten, sowie ihren Gegnern große Verlegenheiten zu bereiten. Die englische und französische Negierung werden von der Furcht vor revolutionären Ereignissen und selbst von der Furcht eines allgemeinen europäischen Krieges zur bewaffneten Theilnahme hingedrängt, sowie Oestreich und Preußen durch dieselbe Furcht da¬ von abgehalten werden. Hierin liegt nur ein scheinbarer Widerspruch, weil, wie bemerkt, die Türkei, von ihren Alliirten verlassen, zu allem greifen muß und uur durch den Beistand Englands und Frankreichs von der Allianz mit der Revolution abgehalten werden kann. Oestreich und Preußen aber, sollen sie, die Waffen in der Hand, einschreiten, können, so wie die Sachen in Europa stehen, nur auf Rußlands Seite treten, und dann ist der europäische Krieg fertig. Die Vereinzelung der Türkei scheint mir daher vom Gesichtspunkte der westlichen Re¬ gierungen ans ebensowenig thunlich, als sie den Sympathien der westlichen Nationen entspricht, und ich kann mir, wie ans dem Ebeugesagten erhellt, eine kriegerische Mitwirkung Englands und Frankreichs denken ohne europäischen Krieg. Daß es aber so kommen werde, ist nicht wahrscheinlich, weil weder England noch Frankreich bisher die nöthige Entschiedenheit gezeigt, um zu vermeiden, was sie gern vermeiden mochten; wie aber auch die Verwickelung im Osten jetzt en¬ det, es wäre denn doch nur der Anfang vom Anfange. Das europäische Gleich¬ gewicht von 181ü, oder vielmehr was von der damaligen sogenannten Pondc- rirnng noch übriggeblieben: ist eine bloße diplomatische Fiction, und erlauben Sie mir dre persönliche Ueberzeugung auszusprechen: ohne eine allgemeine Um¬ gestaltung der europäischen Verhältnisse, also ohne europäischen Krieg, kommen wir nimmer und nimmer zur Ruhe. ' Die türkischen Ulemas. Die Ulemas spielen, in den neuesten türkischen Verwickelungen wieder eine so große Rolle, daß es von Wichtigkeit erscheint, ihre Stellung und Bedeutung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/279>, abgerufen am 19.05.2024.