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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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auch ihr Vermögen. Dem Sturze ihrer Privilegien würde nothwendig auch der
Verlust ihrer Einkünfte folgen. Wenn, wie es der Hattischerif von Gulhane will,
die richterlichen Functionen, statt ein Privilegium und Monopol des Ulema zu
bilden, den übrigen Staatsämtern gleich gestellt und mit einem festen Einkommen
dotirt werden, wo bleibt dann der ungeheure Gewinn, den die Kadis eins den
Processen ziehen? Wo bleiben dann die Gnkafs, welche mehr als zwei Drittel
des Grundeigenthums in der Türkei ausmachen und die lediglich der Moschee zu¬
fallen, ohne dem Staate etwas einzubringen? Würden sie nicht mit den Staats¬
domänen vereinigt oder mindestens wie alles übrige Eigenthum dem allgemeinen
Steuergesetz unterworfen werden?

So liegt jetzt die Frage für die Ulemas. Wohl wissen sie, daß die Macht
ihnen entfällt und sie thun alles Mögliche, um sie zu behalten. Es besteht ge¬
genwärtig ein Kampf zwischen der Regierung, welche in allen Reformen die Ini¬
tiative ergreift, "ut den Ulemas, die den alten Stand der Dinge anfrecht erhal¬
ten wollen. Sie werden freilich in diesem Kampfe unterliegen, aber ihre Nieder¬
lage würde rascher erfolgen, wenn sie nicht mächtige Bundesgenossen an den Der¬
wischen, den Mönchen des Orients, hätten.




Wochenbericht.
Mttsik.

-- Im vierten Gewandhausconcerte sang Fräulein Bergan er eine
Arie aus Figaro und zwei Lieder von Veit, und zwei Brüder, Wieniawski aus
Warschau, spielten Solo auf der Violine und Pianoforte. Schumanns neueste Sinfonie
(Ur. z, 0 moll) wurde hier zum ersten Male gegeben, nachdem sie vorher schon im
Laufe dieses Sommers auf dem Düsseldorfer Musikfeste vorgetragen worden war. Wie
dort, so fand sie auch hier vielen Beifall, dessen Grund wol besonders darin zu suchen
ist, daß das Werk in klarerer Weise geschrieben ist, als viele der letzten Kompositionen
desselben Meisters, und daß in ihm sich eine Menge Momente finden, die bei dem
ersten Hören ergreifen und fesseln. Wie bei manchen andern Sinfonien der Neuzeit
sind die einzelnen Satze nicht geschieden, sondern gehen durch die nöthigen harmonischen
Cadenzen ineinander über. Es läßt sich dagegen bei einem Werke von so geringer
Dimension nichts Erhebliches einwenden, obgleich das Wesen der sinfonischen Kunst¬
form in das einer Phantasie umgewandelt wird. Am meisten zeigt sich dies in den
Uebergängen zwischen den einzelnen Theilen, die sowol in ihrem Ausgange von dem
vorhergehenden und in ihrer Ueberleitung zu dem folgenden Satz nothwendigerweise in
das Gebiet der freien Phantasie übergehen müssen. Man darf mit dem Componisten
nicht rechten, wieweit er seiner künstlerischen Laune hierbei den Zügel schießen lassen
darf, das kann man aber verlangen, daß er ein dem Inhalte der Sätze sich anpassen¬
des Maß anlege und nicht soweit ausschweife, daß die einleitenden Gedanken sowol
an Tiefe der Combination, als an Bedeutsamkeit der Motive die Hauptsätze selbst über-


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auch ihr Vermögen. Dem Sturze ihrer Privilegien würde nothwendig auch der
Verlust ihrer Einkünfte folgen. Wenn, wie es der Hattischerif von Gulhane will,
die richterlichen Functionen, statt ein Privilegium und Monopol des Ulema zu
bilden, den übrigen Staatsämtern gleich gestellt und mit einem festen Einkommen
dotirt werden, wo bleibt dann der ungeheure Gewinn, den die Kadis eins den
Processen ziehen? Wo bleiben dann die Gnkafs, welche mehr als zwei Drittel
des Grundeigenthums in der Türkei ausmachen und die lediglich der Moschee zu¬
fallen, ohne dem Staate etwas einzubringen? Würden sie nicht mit den Staats¬
domänen vereinigt oder mindestens wie alles übrige Eigenthum dem allgemeinen
Steuergesetz unterworfen werden?

So liegt jetzt die Frage für die Ulemas. Wohl wissen sie, daß die Macht
ihnen entfällt und sie thun alles Mögliche, um sie zu behalten. Es besteht ge¬
genwärtig ein Kampf zwischen der Regierung, welche in allen Reformen die Ini¬
tiative ergreift, »ut den Ulemas, die den alten Stand der Dinge anfrecht erhal¬
ten wollen. Sie werden freilich in diesem Kampfe unterliegen, aber ihre Nieder¬
lage würde rascher erfolgen, wenn sie nicht mächtige Bundesgenossen an den Der¬
wischen, den Mönchen des Orients, hätten.




Wochenbericht.
Mttsik.

— Im vierten Gewandhausconcerte sang Fräulein Bergan er eine
Arie aus Figaro und zwei Lieder von Veit, und zwei Brüder, Wieniawski aus
Warschau, spielten Solo auf der Violine und Pianoforte. Schumanns neueste Sinfonie
(Ur. z, 0 moll) wurde hier zum ersten Male gegeben, nachdem sie vorher schon im
Laufe dieses Sommers auf dem Düsseldorfer Musikfeste vorgetragen worden war. Wie
dort, so fand sie auch hier vielen Beifall, dessen Grund wol besonders darin zu suchen
ist, daß das Werk in klarerer Weise geschrieben ist, als viele der letzten Kompositionen
desselben Meisters, und daß in ihm sich eine Menge Momente finden, die bei dem
ersten Hören ergreifen und fesseln. Wie bei manchen andern Sinfonien der Neuzeit
sind die einzelnen Satze nicht geschieden, sondern gehen durch die nöthigen harmonischen
Cadenzen ineinander über. Es läßt sich dagegen bei einem Werke von so geringer
Dimension nichts Erhebliches einwenden, obgleich das Wesen der sinfonischen Kunst¬
form in das einer Phantasie umgewandelt wird. Am meisten zeigt sich dies in den
Uebergängen zwischen den einzelnen Theilen, die sowol in ihrem Ausgange von dem
vorhergehenden und in ihrer Ueberleitung zu dem folgenden Satz nothwendigerweise in
das Gebiet der freien Phantasie übergehen müssen. Man darf mit dem Componisten
nicht rechten, wieweit er seiner künstlerischen Laune hierbei den Zügel schießen lassen
darf, das kann man aber verlangen, daß er ein dem Inhalte der Sätze sich anpassen¬
des Maß anlege und nicht soweit ausschweife, daß die einleitenden Gedanken sowol
an Tiefe der Combination, als an Bedeutsamkeit der Motive die Hauptsätze selbst über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/283>, abgerufen am 19.05.2024.