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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Zustände der Walachei.

Zu Giurgewo steigen die Donaureisenden" aus, deren Endziel Bukarest ist.
Wir waren um 11 Uhr Nachts angekommen und mußten gegen eine halbe Stunde
vor einem Thore warten, bis dieses uns nach einer heftigen, zwischen einigen
Reisenden und einem walachischen Beamten in romanischer Sprache geführten
Debatte geöffnet wurde. Klappernd vor Frost brachte ich die Nacht in einem
sogenannten Hotel auf einem Bretergestelle zu, welches die ruhmvollen Functionen
eines Sophas, Divans und Bettes in einer Person vereinigte. Federbetten sind
beinahe unbekannt und Decken erhält man keine. Des Morgens holte ich mein
Gepäck aus einem großen, einer Scheuer ähnlichen Gebäude, wo es der Unter¬
suchung halber hingekommen war. Der Zoll für alle Waaren ohne Unterschied
ist S Proc., und die Donaufürstenthümer müßten der östreichischen Industrie ein
bereichernder Markt sein, wenn nicht anderartige Hindernisse vorhanden waren,
ans die ich später zurückkomme.

Meinen Koffer nahm ich mir, ohne eine Karte vorzeigen zu müssen; die
Koffer und Kisten der Reisenden standen umher am Boden, man schloß auf, ein
Beamter warf einen Blick hinein, man schloß wieder zu und war fertig. Auf
dem Rückwege ins "Hotel" traf ich einen Burschen, der wol zu seinem Privat¬
vergnügen Ketten an den Füßen trug, da der ihn begleitende Soldat sich recht
heiter und gemüthlich mit ihm unterhielt.

Ich hatte den Postwagen nach Bukarest versäumt, und blieb bis zum andern
Tag in Giurgewo, dem ich einige Zeilen widmen will, da es, Rustschuk gegen¬
überliegend, gegenwärtig ein wichtiger Punkt geworden ist. Die Stadt breitet
sich ans einer kleinen Anhöhe ans und ist einer der gesundesten Orte in der
Walachei. Hierher Pflegen viele Familien ans Bukarest zu flüchten, wenn daselbst
die Fieber in gefährlicher Weise grassüen. Von dem unergründlichen Kothe, dessen
sich die Hauptstadt erfreut, ist man hier, obgleich nnr der Marktplatz gepflastert
ist, befreit, weil der leichte Kalkboden alles Wasser schnell aufsaugt. Die
Hänser der Stadt sind einstöckig und mit Hohlziegeln, einige wenige mitZink gedeckt.


Grenzbowl. IV. -I8S3, i-l
Zustände der Walachei.

Zu Giurgewo steigen die Donaureisenden" aus, deren Endziel Bukarest ist.
Wir waren um 11 Uhr Nachts angekommen und mußten gegen eine halbe Stunde
vor einem Thore warten, bis dieses uns nach einer heftigen, zwischen einigen
Reisenden und einem walachischen Beamten in romanischer Sprache geführten
Debatte geöffnet wurde. Klappernd vor Frost brachte ich die Nacht in einem
sogenannten Hotel auf einem Bretergestelle zu, welches die ruhmvollen Functionen
eines Sophas, Divans und Bettes in einer Person vereinigte. Federbetten sind
beinahe unbekannt und Decken erhält man keine. Des Morgens holte ich mein
Gepäck aus einem großen, einer Scheuer ähnlichen Gebäude, wo es der Unter¬
suchung halber hingekommen war. Der Zoll für alle Waaren ohne Unterschied
ist S Proc., und die Donaufürstenthümer müßten der östreichischen Industrie ein
bereichernder Markt sein, wenn nicht anderartige Hindernisse vorhanden waren,
ans die ich später zurückkomme.

Meinen Koffer nahm ich mir, ohne eine Karte vorzeigen zu müssen; die
Koffer und Kisten der Reisenden standen umher am Boden, man schloß auf, ein
Beamter warf einen Blick hinein, man schloß wieder zu und war fertig. Auf
dem Rückwege ins „Hotel" traf ich einen Burschen, der wol zu seinem Privat¬
vergnügen Ketten an den Füßen trug, da der ihn begleitende Soldat sich recht
heiter und gemüthlich mit ihm unterhielt.

Ich hatte den Postwagen nach Bukarest versäumt, und blieb bis zum andern
Tag in Giurgewo, dem ich einige Zeilen widmen will, da es, Rustschuk gegen¬
überliegend, gegenwärtig ein wichtiger Punkt geworden ist. Die Stadt breitet
sich ans einer kleinen Anhöhe ans und ist einer der gesundesten Orte in der
Walachei. Hierher Pflegen viele Familien ans Bukarest zu flüchten, wenn daselbst
die Fieber in gefährlicher Weise grassüen. Von dem unergründlichen Kothe, dessen
sich die Hauptstadt erfreut, ist man hier, obgleich nnr der Marktplatz gepflastert
ist, befreit, weil der leichte Kalkboden alles Wasser schnell aufsaugt. Die
Hänser der Stadt sind einstöckig und mit Hohlziegeln, einige wenige mitZink gedeckt.


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[0329] Zustände der Walachei. Zu Giurgewo steigen die Donaureisenden" aus, deren Endziel Bukarest ist. Wir waren um 11 Uhr Nachts angekommen und mußten gegen eine halbe Stunde vor einem Thore warten, bis dieses uns nach einer heftigen, zwischen einigen Reisenden und einem walachischen Beamten in romanischer Sprache geführten Debatte geöffnet wurde. Klappernd vor Frost brachte ich die Nacht in einem sogenannten Hotel auf einem Bretergestelle zu, welches die ruhmvollen Functionen eines Sophas, Divans und Bettes in einer Person vereinigte. Federbetten sind beinahe unbekannt und Decken erhält man keine. Des Morgens holte ich mein Gepäck aus einem großen, einer Scheuer ähnlichen Gebäude, wo es der Unter¬ suchung halber hingekommen war. Der Zoll für alle Waaren ohne Unterschied ist S Proc., und die Donaufürstenthümer müßten der östreichischen Industrie ein bereichernder Markt sein, wenn nicht anderartige Hindernisse vorhanden waren, ans die ich später zurückkomme. Meinen Koffer nahm ich mir, ohne eine Karte vorzeigen zu müssen; die Koffer und Kisten der Reisenden standen umher am Boden, man schloß auf, ein Beamter warf einen Blick hinein, man schloß wieder zu und war fertig. Auf dem Rückwege ins „Hotel" traf ich einen Burschen, der wol zu seinem Privat¬ vergnügen Ketten an den Füßen trug, da der ihn begleitende Soldat sich recht heiter und gemüthlich mit ihm unterhielt. Ich hatte den Postwagen nach Bukarest versäumt, und blieb bis zum andern Tag in Giurgewo, dem ich einige Zeilen widmen will, da es, Rustschuk gegen¬ überliegend, gegenwärtig ein wichtiger Punkt geworden ist. Die Stadt breitet sich ans einer kleinen Anhöhe ans und ist einer der gesundesten Orte in der Walachei. Hierher Pflegen viele Familien ans Bukarest zu flüchten, wenn daselbst die Fieber in gefährlicher Weise grassüen. Von dem unergründlichen Kothe, dessen sich die Hauptstadt erfreut, ist man hier, obgleich nnr der Marktplatz gepflastert ist, befreit, weil der leichte Kalkboden alles Wasser schnell aufsaugt. Die Hänser der Stadt sind einstöckig und mit Hohlziegeln, einige wenige mitZink gedeckt. Grenzbowl. IV. -I8S3, i-l

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/329>, abgerufen am 19.05.2024.