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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Der russisch - türkische Feldzug von R8SS.

Im Jahre 1828 haben die Russen den Krieg gegen die Türken in Europa
und in Asien geführt. In Asien waren ihre Erfolge glänzend, aber wenig ent¬
scheidend. Ju Europa hatten sie zwar die Festung Jbrail am linken Donannfer
und den starken Hafenplatz Warna am schwarzen Meer erobert, aber die Einnahme
des Lagers in Schumla nud der Donaufestung Silistria war ihnen mißlungen.

Die Tapferkeit der Türken in fast allen Gefechten, ihre Hartnäckigkeit in der
Vertheidigung der festen Plätze hatte die Ausführung des russischen Jnvasions-
pla.us verhindert.

Der Widerstand der Türken grenzte ans Wunderbare nud setzte um so mehr
u Erstaunen, als man ihn nicht erwartete. Es regten sich wieder zu ihren Gun¬
sten Sympathien in Europa. England, welches die Angelegenheit von Navarino
getadelt hatte, ergriff Maßregeln zur Rettung der Türkei. Frankreich, welches
ein Beobachtungscorps uach Morea geschickt hatte, um diese Halbinsel vollends
von den Türken zu säubern, ließ daselbst seine Truppen, ebensowol um die Lan¬
desregierung zu schützen und die Ordnung aufrecht zu erhalten, als um die mili¬
tärischen Operationen im Donaubassin z" beobachten und nach Umständen zu handeln.
Oestreich verstärkte seine Armee an der Grenze Ungarns auf 80,000 Mann und
nahm eine Anleihe von 100 Millionen Gulden auf, um zur Rettung des türki¬
schen Reiches, wenn die Umstände es forderten, mitzuwirken.

Der Kaiser Nikolaus hatte den Winter von 1828 auf 1829 dazu benutzt,
seine Truppen zu verstärke" und nen zu organisiren. Er brachte den Essectivbe-
stand der Armee auf 160,000 Kombattanten. Auch die Türken hatten ihr Heer
in der Bulgarei mit ncuausgehvbenen, nach europäischem System organisirten
Truppen vermehrt.

Aber statt 100,000 Mann in nud bei Schumla aufzuhäufen, hätten sie den
Südabhang des KamtckMhales, welches im Norden die Ostseite des Balkan
schützt, hätten sie alle Küstenplätze des schwarzen Meeres besetzen müssen. Sie
hätten die Gebirgspässe und die Städte, welche vor und nach dem Uebergang
über den Balkan ans dem Wege des Feindes lagen, befestigen müssen. Der Sul-
tan hatte allerdings seinen Generalen befohlen, ein wachsames Auge ans die Städte
der Seelüfte zu haben und sie stark zu besetzen: aber die Paschas glaubten nicht,
daß die Russen ihr früheres System aufgeben und von der Seite des schwarzen
Meeres in Thracien eindringen würden. Ihre Nachlässigkeit war so groß, daß
eine russische Flotte unter Admiral Kumauy am 4. Februar 1829 die Festung
Sizeboli und das kleine Fort Aya-Oglou einnahm, welche am Eingange der
weiten Bucht von Burgas einander sich gegenüberliegen. Husseyu-Pascha versuchte
zwar mit S000 Maun Infanterie und 1ö00 Mann Cavalerie diese Position wieder


Der russisch - türkische Feldzug von R8SS.

Im Jahre 1828 haben die Russen den Krieg gegen die Türken in Europa
und in Asien geführt. In Asien waren ihre Erfolge glänzend, aber wenig ent¬
scheidend. Ju Europa hatten sie zwar die Festung Jbrail am linken Donannfer
und den starken Hafenplatz Warna am schwarzen Meer erobert, aber die Einnahme
des Lagers in Schumla nud der Donaufestung Silistria war ihnen mißlungen.

Die Tapferkeit der Türken in fast allen Gefechten, ihre Hartnäckigkeit in der
Vertheidigung der festen Plätze hatte die Ausführung des russischen Jnvasions-
pla.us verhindert.

Der Widerstand der Türken grenzte ans Wunderbare nud setzte um so mehr
u Erstaunen, als man ihn nicht erwartete. Es regten sich wieder zu ihren Gun¬
sten Sympathien in Europa. England, welches die Angelegenheit von Navarino
getadelt hatte, ergriff Maßregeln zur Rettung der Türkei. Frankreich, welches
ein Beobachtungscorps uach Morea geschickt hatte, um diese Halbinsel vollends
von den Türken zu säubern, ließ daselbst seine Truppen, ebensowol um die Lan¬
desregierung zu schützen und die Ordnung aufrecht zu erhalten, als um die mili¬
tärischen Operationen im Donaubassin z» beobachten und nach Umständen zu handeln.
Oestreich verstärkte seine Armee an der Grenze Ungarns auf 80,000 Mann und
nahm eine Anleihe von 100 Millionen Gulden auf, um zur Rettung des türki¬
schen Reiches, wenn die Umstände es forderten, mitzuwirken.

Der Kaiser Nikolaus hatte den Winter von 1828 auf 1829 dazu benutzt,
seine Truppen zu verstärke» und nen zu organisiren. Er brachte den Essectivbe-
stand der Armee auf 160,000 Kombattanten. Auch die Türken hatten ihr Heer
in der Bulgarei mit ncuausgehvbenen, nach europäischem System organisirten
Truppen vermehrt.

Aber statt 100,000 Mann in nud bei Schumla aufzuhäufen, hätten sie den
Südabhang des KamtckMhales, welches im Norden die Ostseite des Balkan
schützt, hätten sie alle Küstenplätze des schwarzen Meeres besetzen müssen. Sie
hätten die Gebirgspässe und die Städte, welche vor und nach dem Uebergang
über den Balkan ans dem Wege des Feindes lagen, befestigen müssen. Der Sul-
tan hatte allerdings seinen Generalen befohlen, ein wachsames Auge ans die Städte
der Seelüfte zu haben und sie stark zu besetzen: aber die Paschas glaubten nicht,
daß die Russen ihr früheres System aufgeben und von der Seite des schwarzen
Meeres in Thracien eindringen würden. Ihre Nachlässigkeit war so groß, daß
eine russische Flotte unter Admiral Kumauy am 4. Februar 1829 die Festung
Sizeboli und das kleine Fort Aya-Oglou einnahm, welche am Eingange der
weiten Bucht von Burgas einander sich gegenüberliegen. Husseyu-Pascha versuchte
zwar mit S000 Maun Infanterie und 1ö00 Mann Cavalerie diese Position wieder


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[0338] Der russisch - türkische Feldzug von R8SS. Im Jahre 1828 haben die Russen den Krieg gegen die Türken in Europa und in Asien geführt. In Asien waren ihre Erfolge glänzend, aber wenig ent¬ scheidend. Ju Europa hatten sie zwar die Festung Jbrail am linken Donannfer und den starken Hafenplatz Warna am schwarzen Meer erobert, aber die Einnahme des Lagers in Schumla nud der Donaufestung Silistria war ihnen mißlungen. Die Tapferkeit der Türken in fast allen Gefechten, ihre Hartnäckigkeit in der Vertheidigung der festen Plätze hatte die Ausführung des russischen Jnvasions- pla.us verhindert. Der Widerstand der Türken grenzte ans Wunderbare nud setzte um so mehr u Erstaunen, als man ihn nicht erwartete. Es regten sich wieder zu ihren Gun¬ sten Sympathien in Europa. England, welches die Angelegenheit von Navarino getadelt hatte, ergriff Maßregeln zur Rettung der Türkei. Frankreich, welches ein Beobachtungscorps uach Morea geschickt hatte, um diese Halbinsel vollends von den Türken zu säubern, ließ daselbst seine Truppen, ebensowol um die Lan¬ desregierung zu schützen und die Ordnung aufrecht zu erhalten, als um die mili¬ tärischen Operationen im Donaubassin z» beobachten und nach Umständen zu handeln. Oestreich verstärkte seine Armee an der Grenze Ungarns auf 80,000 Mann und nahm eine Anleihe von 100 Millionen Gulden auf, um zur Rettung des türki¬ schen Reiches, wenn die Umstände es forderten, mitzuwirken. Der Kaiser Nikolaus hatte den Winter von 1828 auf 1829 dazu benutzt, seine Truppen zu verstärke» und nen zu organisiren. Er brachte den Essectivbe- stand der Armee auf 160,000 Kombattanten. Auch die Türken hatten ihr Heer in der Bulgarei mit ncuausgehvbenen, nach europäischem System organisirten Truppen vermehrt. Aber statt 100,000 Mann in nud bei Schumla aufzuhäufen, hätten sie den Südabhang des KamtckMhales, welches im Norden die Ostseite des Balkan schützt, hätten sie alle Küstenplätze des schwarzen Meeres besetzen müssen. Sie hätten die Gebirgspässe und die Städte, welche vor und nach dem Uebergang über den Balkan ans dem Wege des Feindes lagen, befestigen müssen. Der Sul- tan hatte allerdings seinen Generalen befohlen, ein wachsames Auge ans die Städte der Seelüfte zu haben und sie stark zu besetzen: aber die Paschas glaubten nicht, daß die Russen ihr früheres System aufgeben und von der Seite des schwarzen Meeres in Thracien eindringen würden. Ihre Nachlässigkeit war so groß, daß eine russische Flotte unter Admiral Kumauy am 4. Februar 1829 die Festung Sizeboli und das kleine Fort Aya-Oglou einnahm, welche am Eingange der weiten Bucht von Burgas einander sich gegenüberliegen. Husseyu-Pascha versuchte zwar mit S000 Maun Infanterie und 1ö00 Mann Cavalerie diese Position wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/338>, abgerufen am 19.05.2024.