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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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höchst zweifelhafte Haltung bewahrt, so daß möglicherweise eine Abtheilung der
osmanischen Heeresmacht gegen dasselbe aufgestellt werden muß. Wäre man zu
.wirklichen Gewaltmaßregeln gegen Serbien genöthigt, so würde es ein höchst ge¬
fährliches Hinterland werden.

Vom asiatischen Kriegsschauplatz sind bis jetzt alle Nachrichten so verworren,
ungenau, einander gradezu widersprechend, daß wir besser zu thun glauben, die
Uebersicht vom dortigen Gange der Dinge -- soweit sie überhaupt zu gewinnen
sein wird, -- einer spätern Darstellung vorzubehalten.




Wochenbericht.

-- Jeder, der aus der Ferne die preußischen Verhältnisse ins
Auge faßt, wird sich kaum eine Vorstellung machen können von der tiefen Gleichgiltig-
keit gegen alle Fragen der innern Politik, die hier vorherrscht. Eine Woche nur noch
trennt uns von der Eröffnung der Kammern. Das Publicum -- die Hotelgarni-
wirthe und Zimmcrvermicther ausgenommen -- kümmert sich nicht mehr darum, als
ob das Parlament der Sandwichinseln am 28. November zusammentreten sollte. Und
doch erwarten eine Reihe von Vorlagen in der nächsten Session ihre Lösung, die tief
bedeutungsvoll für das Geschick und die Zukunft der preußischen Verfassung sind und
die dem preußischen Volk für sein eignes Geschick und seine eigne Zukunft ebenso be¬
deutungsvoll erscheinen müßten, könnte man ihm irgend welches Interesse an dieser
Verfassung einflößen, könnte man ihm die Einsicht beibringen, daß trotz aller Lücken,
trotz aller Zweideutigkeiten und Hinterthüren das Grundgesetz dem Lande noch immer
genug Rechte gibt, um dir Ausgangspunkt einer großen politischen Entwickelung zu
werden, falls das Laud davon Gebrauch machen will.

Die hiesige Presse ist ein ziemlich treues Spiegelbild der öffentlichen Stimmung.
Zwei große Blätter, deren charakterlose Trivialität alle Phasen der Revolution, und
Reaction glücklich überwunden hat und bereu Standpunkt umfangreich genug ist, um das
Ministerium und die Opposition mit gleichem, großem Wohlwollen zu umfassen, bilden
in" tägliche Nahrung der spießbürgerlichen Masse der Zeitungsleser. Ihnen zunächst
steht die Nationalzeitung, deren vornehme Doctrin in der Kritik' der bestehenden Ver¬
hältnisse aus dasselbe Ziel hinauskommt: auf constitutionelle Bcthmau-Hollwegianer,
Ministerien und Junker aus dem grauen Nebel ihres Mißvergnügens mit grämlicher
Weisheit herabzuorakelu. Indifferentes Wohlwollen und indifferente Rancüne, das ist
die Farbe der verbreitetsten Zeitungen, sowie es die Farbe der überwiegenden Mehrheit
der gebildeten Bevölkerung ist. Unter den Parteiorganen vertritt die Kreuzzeitung die
hinterlistige Ausbeutung der Verfassung, das preußische Wochenblatt ihre ehrliche
Durchführung. Aber das Publicum des letztern ist klein, und die Partei, welche die
eigentliche Garde der Verfassung, sein sollte, die constitutionelle, ist ohne Organ.
Eine Thatsache^ auffallend, unerhört, eine Schande für die Partei. Die Bedeu¬
tungslosigkeit der ministeriellen Presse entspricht diesem Zustande der Dinge. Die


höchst zweifelhafte Haltung bewahrt, so daß möglicherweise eine Abtheilung der
osmanischen Heeresmacht gegen dasselbe aufgestellt werden muß. Wäre man zu
.wirklichen Gewaltmaßregeln gegen Serbien genöthigt, so würde es ein höchst ge¬
fährliches Hinterland werden.

Vom asiatischen Kriegsschauplatz sind bis jetzt alle Nachrichten so verworren,
ungenau, einander gradezu widersprechend, daß wir besser zu thun glauben, die
Uebersicht vom dortigen Gange der Dinge — soweit sie überhaupt zu gewinnen
sein wird, — einer spätern Darstellung vorzubehalten.




Wochenbericht.

— Jeder, der aus der Ferne die preußischen Verhältnisse ins
Auge faßt, wird sich kaum eine Vorstellung machen können von der tiefen Gleichgiltig-
keit gegen alle Fragen der innern Politik, die hier vorherrscht. Eine Woche nur noch
trennt uns von der Eröffnung der Kammern. Das Publicum — die Hotelgarni-
wirthe und Zimmcrvermicther ausgenommen — kümmert sich nicht mehr darum, als
ob das Parlament der Sandwichinseln am 28. November zusammentreten sollte. Und
doch erwarten eine Reihe von Vorlagen in der nächsten Session ihre Lösung, die tief
bedeutungsvoll für das Geschick und die Zukunft der preußischen Verfassung sind und
die dem preußischen Volk für sein eignes Geschick und seine eigne Zukunft ebenso be¬
deutungsvoll erscheinen müßten, könnte man ihm irgend welches Interesse an dieser
Verfassung einflößen, könnte man ihm die Einsicht beibringen, daß trotz aller Lücken,
trotz aller Zweideutigkeiten und Hinterthüren das Grundgesetz dem Lande noch immer
genug Rechte gibt, um dir Ausgangspunkt einer großen politischen Entwickelung zu
werden, falls das Laud davon Gebrauch machen will.

Die hiesige Presse ist ein ziemlich treues Spiegelbild der öffentlichen Stimmung.
Zwei große Blätter, deren charakterlose Trivialität alle Phasen der Revolution, und
Reaction glücklich überwunden hat und bereu Standpunkt umfangreich genug ist, um das
Ministerium und die Opposition mit gleichem, großem Wohlwollen zu umfassen, bilden
in« tägliche Nahrung der spießbürgerlichen Masse der Zeitungsleser. Ihnen zunächst
steht die Nationalzeitung, deren vornehme Doctrin in der Kritik' der bestehenden Ver¬
hältnisse aus dasselbe Ziel hinauskommt: auf constitutionelle Bcthmau-Hollwegianer,
Ministerien und Junker aus dem grauen Nebel ihres Mißvergnügens mit grämlicher
Weisheit herabzuorakelu. Indifferentes Wohlwollen und indifferente Rancüne, das ist
die Farbe der verbreitetsten Zeitungen, sowie es die Farbe der überwiegenden Mehrheit
der gebildeten Bevölkerung ist. Unter den Parteiorganen vertritt die Kreuzzeitung die
hinterlistige Ausbeutung der Verfassung, das preußische Wochenblatt ihre ehrliche
Durchführung. Aber das Publicum des letztern ist klein, und die Partei, welche die
eigentliche Garde der Verfassung, sein sollte, die constitutionelle, ist ohne Organ.
Eine Thatsache^ auffallend, unerhört, eine Schande für die Partei. Die Bedeu¬
tungslosigkeit der ministeriellen Presse entspricht diesem Zustande der Dinge. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/405>, abgerufen am 19.05.2024.