Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mißbilligt. Preußen ist einer der Punkte, wo er sterblich ist. Seine Schilde¬
rung Friedrich II. (Friedrich der Große wird er nie genannt) ist ein wahrhaft
eqnilibristisches Kunststück, sich zu drehen und zu wenden, ohne die Sache zu
berühren. Wenn er consequent in seinem Denken wäre, so würde die Existenz
Preußens in sein System ebensowenig passen, als die Reformation. Aber wo
der Geist nicht mehr ausreicht, versetzt er sich in eine erhöhte erbauliche Stim¬
mung und so endet den" auch seine Universalgeschichte mit einem brünstigen Ge¬
bete, d. h. mit einem Act des Glaubens, der alle Widersprüche aufhebt.




Napoleon auf Se. Helena.

(Iliklor^ ot it>o l'uplivil.^ ot I^apolonn ">. 8l. Ildon"; kron ille lotters "ut Mimi"!,?
ot Illo Il>l,v l^iizut.-Kön. 8ir Hudson I^o^vo incl otlieiul doeumvnls not doloro
">,ille >in>>Ile, bx >V. I^ol-s^b. Geschichte der Gefangenschaft Napoleons auf
Se. Helena. Aus den Briefen und Tagebüchern des Generallieutnants Sir
H. Löwe und andern officiellen bisher ungedruckten Urkunden. Nach dem Eng¬
lischen des W. Fvrsyth von I. Scybt. Leipzig, Amclcmgs Verlag.)

Die Ueberzeugung, daß Napoleon während seiner Gefangenschaft auf Se.
Helena mit Ungerechtigkeit und Grausamkeit behandelt worden, ist bei dem größten
Theil des Publicums so fest eingewurzelt und der Name Hudson Löwe ist so sehr
zum Typus jeglicher Niedrigkeit, Tyrannei und Grausamkeit geworden, daß bei
weitem die meisten Leser das Buch, dessen Titel an der Spitze dieses Artikels
steht, mit Mißtrauen in die Hand nehmen und darunter nur einen Versuch,
durch eine sophistische Darstellung eine schlechte Sache zu vertheidigen, argwöhnen
werden. Dies ist um so mehr zu fürchte", als sich uoch viele finden, die sich vo"
dem Glänze des unvergleichlichen Genies Napoleons so sehr verblenden lassen, daß
sie seine zahlreichen Verbrechen gegen Nationen nud gegen einzelne übersehen und
über der Große des Feldherrn die Kleinheit des Menschen vergessen. Nur wer
sich davon frei zu halten weiß, kann die Unbefangenheit erlangen, die zur Wür¬
digung dieses viele lauggeuährte Vorurtheile vernichtenden Buches nothwendig ist.

Die Quellen, ans denen bis jetzt unsere Kenntniß der Geschichte der Ge¬
fangenschaft Napoleons geflossen ist, sind im höchsten Grade unrein und trübe.
Abgesehen von der Parteileidenschaft, von der sich so fanatische Anhänger Napo¬
leons, wie Montholon, Las Cases und Antommarchi, zu den gröblichsten Ent¬
stellungen verleiten ließen, war auch der persönliche Charakter dieser Männer nicht
dazu geeignet, sie zu getreuen Berichterstattern zu machen. Diese Behauptung
beruht nicht auf dem parteiischen Urtheil eines Betheiligten, sondern auf dem
übereinstimmenden Zeugniß Napoleons, O'Mearas und andrer, die mit den


Grenzboten. IV. 18öZ. S3

mißbilligt. Preußen ist einer der Punkte, wo er sterblich ist. Seine Schilde¬
rung Friedrich II. (Friedrich der Große wird er nie genannt) ist ein wahrhaft
eqnilibristisches Kunststück, sich zu drehen und zu wenden, ohne die Sache zu
berühren. Wenn er consequent in seinem Denken wäre, so würde die Existenz
Preußens in sein System ebensowenig passen, als die Reformation. Aber wo
der Geist nicht mehr ausreicht, versetzt er sich in eine erhöhte erbauliche Stim¬
mung und so endet den» auch seine Universalgeschichte mit einem brünstigen Ge¬
bete, d. h. mit einem Act des Glaubens, der alle Widersprüche aufhebt.




Napoleon auf Se. Helena.

(Iliklor^ ot it>o l'uplivil.^ ot I^apolonn »>. 8l. Ildon»; kron ille lotters »ut Mimi»!,?
ot Illo Il>l,v l^iizut.-Kön. 8ir Hudson I^o^vo incl otlieiul doeumvnls not doloro
»>,ille >in>>Ile, bx >V. I^ol-s^b. Geschichte der Gefangenschaft Napoleons auf
Se. Helena. Aus den Briefen und Tagebüchern des Generallieutnants Sir
H. Löwe und andern officiellen bisher ungedruckten Urkunden. Nach dem Eng¬
lischen des W. Fvrsyth von I. Scybt. Leipzig, Amclcmgs Verlag.)

Die Ueberzeugung, daß Napoleon während seiner Gefangenschaft auf Se.
Helena mit Ungerechtigkeit und Grausamkeit behandelt worden, ist bei dem größten
Theil des Publicums so fest eingewurzelt und der Name Hudson Löwe ist so sehr
zum Typus jeglicher Niedrigkeit, Tyrannei und Grausamkeit geworden, daß bei
weitem die meisten Leser das Buch, dessen Titel an der Spitze dieses Artikels
steht, mit Mißtrauen in die Hand nehmen und darunter nur einen Versuch,
durch eine sophistische Darstellung eine schlechte Sache zu vertheidigen, argwöhnen
werden. Dies ist um so mehr zu fürchte», als sich uoch viele finden, die sich vo»
dem Glänze des unvergleichlichen Genies Napoleons so sehr verblenden lassen, daß
sie seine zahlreichen Verbrechen gegen Nationen nud gegen einzelne übersehen und
über der Große des Feldherrn die Kleinheit des Menschen vergessen. Nur wer
sich davon frei zu halten weiß, kann die Unbefangenheit erlangen, die zur Wür¬
digung dieses viele lauggeuährte Vorurtheile vernichtenden Buches nothwendig ist.

Die Quellen, ans denen bis jetzt unsere Kenntniß der Geschichte der Ge¬
fangenschaft Napoleons geflossen ist, sind im höchsten Grade unrein und trübe.
Abgesehen von der Parteileidenschaft, von der sich so fanatische Anhänger Napo¬
leons, wie Montholon, Las Cases und Antommarchi, zu den gröblichsten Ent¬
stellungen verleiten ließen, war auch der persönliche Charakter dieser Männer nicht
dazu geeignet, sie zu getreuen Berichterstattern zu machen. Diese Behauptung
beruht nicht auf dem parteiischen Urtheil eines Betheiligten, sondern auf dem
übereinstimmenden Zeugniß Napoleons, O'Mearas und andrer, die mit den


Grenzboten. IV. 18öZ. S3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97130"/>
            <p xml:id="ID_1275" prev="#ID_1274"> mißbilligt. Preußen ist einer der Punkte, wo er sterblich ist. Seine Schilde¬<lb/>
rung Friedrich II. (Friedrich der Große wird er nie genannt) ist ein wahrhaft<lb/>
eqnilibristisches Kunststück, sich zu drehen und zu wenden, ohne die Sache zu<lb/>
berühren. Wenn er consequent in seinem Denken wäre, so würde die Existenz<lb/>
Preußens in sein System ebensowenig passen, als die Reformation. Aber wo<lb/>
der Geist nicht mehr ausreicht, versetzt er sich in eine erhöhte erbauliche Stim¬<lb/>
mung und so endet den» auch seine Universalgeschichte mit einem brünstigen Ge¬<lb/>
bete, d. h. mit einem Act des Glaubens, der alle Widersprüche aufhebt.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Napoleon auf Se. Helena.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1276"> (Iliklor^ ot it&gt;o l'uplivil.^ ot I^apolonn »&gt;. 8l. Ildon»; kron ille lotters »ut Mimi»!,?<lb/>
ot Illo Il&gt;l,v l^iizut.-Kön. 8ir Hudson I^o^vo incl otlieiul doeumvnls not doloro<lb/>
»&gt;,ille &gt;in&gt;&gt;Ile, bx &gt;V. I^ol-s^b. Geschichte der Gefangenschaft Napoleons auf<lb/>
Se. Helena. Aus den Briefen und Tagebüchern des Generallieutnants Sir<lb/>
H. Löwe und andern officiellen bisher ungedruckten Urkunden. Nach dem Eng¬<lb/>
lischen des W. Fvrsyth von I. Scybt.  Leipzig, Amclcmgs Verlag.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1277"> Die Ueberzeugung, daß Napoleon während seiner Gefangenschaft auf Se.<lb/>
Helena mit Ungerechtigkeit und Grausamkeit behandelt worden, ist bei dem größten<lb/>
Theil des Publicums so fest eingewurzelt und der Name Hudson Löwe ist so sehr<lb/>
zum Typus jeglicher Niedrigkeit, Tyrannei und Grausamkeit geworden, daß bei<lb/>
weitem die meisten Leser das Buch, dessen Titel an der Spitze dieses Artikels<lb/>
steht, mit Mißtrauen in die Hand nehmen und darunter nur einen Versuch,<lb/>
durch eine sophistische Darstellung eine schlechte Sache zu vertheidigen, argwöhnen<lb/>
werden. Dies ist um so mehr zu fürchte», als sich uoch viele finden, die sich vo»<lb/>
dem Glänze des unvergleichlichen Genies Napoleons so sehr verblenden lassen, daß<lb/>
sie seine zahlreichen Verbrechen gegen Nationen nud gegen einzelne übersehen und<lb/>
über der Große des Feldherrn die Kleinheit des Menschen vergessen. Nur wer<lb/>
sich davon frei zu halten weiß, kann die Unbefangenheit erlangen, die zur Wür¬<lb/>
digung dieses viele lauggeuährte Vorurtheile vernichtenden Buches nothwendig ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1278" next="#ID_1279"> Die Quellen, ans denen bis jetzt unsere Kenntniß der Geschichte der Ge¬<lb/>
fangenschaft Napoleons geflossen ist, sind im höchsten Grade unrein und trübe.<lb/>
Abgesehen von der Parteileidenschaft, von der sich so fanatische Anhänger Napo¬<lb/>
leons, wie Montholon, Las Cases und Antommarchi, zu den gröblichsten Ent¬<lb/>
stellungen verleiten ließen, war auch der persönliche Charakter dieser Männer nicht<lb/>
dazu geeignet, sie zu getreuen Berichterstattern zu machen. Diese Behauptung<lb/>
beruht nicht auf dem parteiischen Urtheil eines Betheiligten, sondern auf dem<lb/>
übereinstimmenden Zeugniß Napoleons, O'Mearas und andrer, die mit den</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. IV. 18öZ. S3</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0425] mißbilligt. Preußen ist einer der Punkte, wo er sterblich ist. Seine Schilde¬ rung Friedrich II. (Friedrich der Große wird er nie genannt) ist ein wahrhaft eqnilibristisches Kunststück, sich zu drehen und zu wenden, ohne die Sache zu berühren. Wenn er consequent in seinem Denken wäre, so würde die Existenz Preußens in sein System ebensowenig passen, als die Reformation. Aber wo der Geist nicht mehr ausreicht, versetzt er sich in eine erhöhte erbauliche Stim¬ mung und so endet den» auch seine Universalgeschichte mit einem brünstigen Ge¬ bete, d. h. mit einem Act des Glaubens, der alle Widersprüche aufhebt. Napoleon auf Se. Helena. (Iliklor^ ot it>o l'uplivil.^ ot I^apolonn »>. 8l. Ildon»; kron ille lotters »ut Mimi»!,? ot Illo Il>l,v l^iizut.-Kön. 8ir Hudson I^o^vo incl otlieiul doeumvnls not doloro »>,ille >in>>Ile, bx >V. I^ol-s^b. Geschichte der Gefangenschaft Napoleons auf Se. Helena. Aus den Briefen und Tagebüchern des Generallieutnants Sir H. Löwe und andern officiellen bisher ungedruckten Urkunden. Nach dem Eng¬ lischen des W. Fvrsyth von I. Scybt. Leipzig, Amclcmgs Verlag.) Die Ueberzeugung, daß Napoleon während seiner Gefangenschaft auf Se. Helena mit Ungerechtigkeit und Grausamkeit behandelt worden, ist bei dem größten Theil des Publicums so fest eingewurzelt und der Name Hudson Löwe ist so sehr zum Typus jeglicher Niedrigkeit, Tyrannei und Grausamkeit geworden, daß bei weitem die meisten Leser das Buch, dessen Titel an der Spitze dieses Artikels steht, mit Mißtrauen in die Hand nehmen und darunter nur einen Versuch, durch eine sophistische Darstellung eine schlechte Sache zu vertheidigen, argwöhnen werden. Dies ist um so mehr zu fürchte», als sich uoch viele finden, die sich vo» dem Glänze des unvergleichlichen Genies Napoleons so sehr verblenden lassen, daß sie seine zahlreichen Verbrechen gegen Nationen nud gegen einzelne übersehen und über der Große des Feldherrn die Kleinheit des Menschen vergessen. Nur wer sich davon frei zu halten weiß, kann die Unbefangenheit erlangen, die zur Wür¬ digung dieses viele lauggeuährte Vorurtheile vernichtenden Buches nothwendig ist. Die Quellen, ans denen bis jetzt unsere Kenntniß der Geschichte der Ge¬ fangenschaft Napoleons geflossen ist, sind im höchsten Grade unrein und trübe. Abgesehen von der Parteileidenschaft, von der sich so fanatische Anhänger Napo¬ leons, wie Montholon, Las Cases und Antommarchi, zu den gröblichsten Ent¬ stellungen verleiten ließen, war auch der persönliche Charakter dieser Männer nicht dazu geeignet, sie zu getreuen Berichterstattern zu machen. Diese Behauptung beruht nicht auf dem parteiischen Urtheil eines Betheiligten, sondern auf dem übereinstimmenden Zeugniß Napoleons, O'Mearas und andrer, die mit den Grenzboten. IV. 18öZ. S3

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/425
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/425>, abgerufen am 19.05.2024.