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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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derspruch. Schlank und von schwächlichem Körperbau, scheint er außer Stande zu sein,
die mühsame und Nerven und Mark erschöpfende Rolle eines englischen Staatsmannes
zu übernehmen. Als Redner fehlt es Lord Clarendon an Uebung und an phy¬
sischer Kraft. Seine im Privatgespräche angenehm modnlirte Stimme hat für
die stürmischen Kämpfe des Senats nicht Metall genug. Er stockt oft; und
sein reizbares Temperament gibt ihm etwas Befangenes, was dem Eindruck sei¬
ner Argumentation schadet. Dennoch weiß er einzunehmen und seine Zuhörer
mit Gewandtheit zu behandeln. Aber so ausgezeichnet sein Talent, und so'
glänzend viele seiner Gaben sind, so fehlt ihm doch das innere Feuer, das Lord
Russell und Palmerston belebt. Seinem Geiste wäre mehr Muskel und Sehne
zu wünschen; er ersetzt diesen Mangel durch seine Lebhaftigkeit. Seine genaue
Kenntniß der Eruährungsquellen des englischen Handels ist nicht sein geringster
Vorzug als thätig eingreifender Staatsmann.




Wochenbericht.

Wer mit den parlamentarischen Kreisen in näheren Beziehungen
steht, wird seit einigen Tagen gewisse Anzeichen der bevorstehenden Kammereroffuung
wahrgenommen haben, die dem Publicum ferner liegen. Die Abgeordneten treffen ein
und reihen sich unter ihre respectiven Fraktionen. Die erste Frage, die ausgeworfen und
besprochen wird, ist die Wahl des Präsidenten der zweiten Kammer. Bekanntlich errang
im Beginn der vorigen Session die rechte Seite in der Person des Herrn Uhden einen
Sieg, dessen Dauer die glänzende Unfähigkeit des Gewählten aus nur vier Wochen be¬
schränkte. Nach Ablauf dieser Probezeit zog sich Herr Uhden unter dem Verwände
angegriffener Gesundheit von der Candidatur zurück und die Rechte ersetzte ihn durch
Herrn v. Kleist-Retzvw, der es nur auf Stimmengleichheit -- 4 64 gegen loi ^-- mit
dem Grafen Schwerin brachte und bei der Entscheidung durch das Loos unterlag.
Die Linke stellt jetzt natürlich wiederum den Grafen Schwerin auf, der die Stimmen
der Constitutionellen, der Bethmann-Hvllwegiancr und eines Theils der katholischen
Fraction zum mindesten auf sich vereinigen wird. Da die seit vier Jahren bewährte
Leitung des Grafen Schwerin selbst unter seinen politischen Gegnern Anerkennung findet,
so ist anzunehmen", daß ihm selbst verschiedene Stimmen der rechten Seite zufallen
werden und sein Sieg ist überwiegend wahrscheinlich. Es heißt sogar, die Rechte
wolle gar keinen Präsidentschaftskandidaten aufstellen, sondern ihre Stimmen Schwe¬
rin geben, davon abstehend, aus der Wahl des Vorsitzenden eine Parteifrage zu
macheu. Diese Resignation wird in der neuesten Nummer der Kreuzzeitung aufs heftigste
angegriffen. Selbst ohne Aussicht auf Erfolg müsse die Rechte zur Ehre ihrer Fah.
neu für ihre eigenen Kandidaten stimmen. Vu:l.rix "nus-, aliis pliiouii., so<> viel,"
<>!>will! Cato ist diesmal allerdings etwas deplacirt. Die Kreuzzeitung bedroht zu¬
letzt diejenigen ihrer Anhänger, die für den Grafen Schwerin stimmen würden, mit der
schrecklichen Strafe, fortan nur noch mit Beifügung von Gänsefüßchen als Konservative


derspruch. Schlank und von schwächlichem Körperbau, scheint er außer Stande zu sein,
die mühsame und Nerven und Mark erschöpfende Rolle eines englischen Staatsmannes
zu übernehmen. Als Redner fehlt es Lord Clarendon an Uebung und an phy¬
sischer Kraft. Seine im Privatgespräche angenehm modnlirte Stimme hat für
die stürmischen Kämpfe des Senats nicht Metall genug. Er stockt oft; und
sein reizbares Temperament gibt ihm etwas Befangenes, was dem Eindruck sei¬
ner Argumentation schadet. Dennoch weiß er einzunehmen und seine Zuhörer
mit Gewandtheit zu behandeln. Aber so ausgezeichnet sein Talent, und so'
glänzend viele seiner Gaben sind, so fehlt ihm doch das innere Feuer, das Lord
Russell und Palmerston belebt. Seinem Geiste wäre mehr Muskel und Sehne
zu wünschen; er ersetzt diesen Mangel durch seine Lebhaftigkeit. Seine genaue
Kenntniß der Eruährungsquellen des englischen Handels ist nicht sein geringster
Vorzug als thätig eingreifender Staatsmann.




Wochenbericht.

Wer mit den parlamentarischen Kreisen in näheren Beziehungen
steht, wird seit einigen Tagen gewisse Anzeichen der bevorstehenden Kammereroffuung
wahrgenommen haben, die dem Publicum ferner liegen. Die Abgeordneten treffen ein
und reihen sich unter ihre respectiven Fraktionen. Die erste Frage, die ausgeworfen und
besprochen wird, ist die Wahl des Präsidenten der zweiten Kammer. Bekanntlich errang
im Beginn der vorigen Session die rechte Seite in der Person des Herrn Uhden einen
Sieg, dessen Dauer die glänzende Unfähigkeit des Gewählten aus nur vier Wochen be¬
schränkte. Nach Ablauf dieser Probezeit zog sich Herr Uhden unter dem Verwände
angegriffener Gesundheit von der Candidatur zurück und die Rechte ersetzte ihn durch
Herrn v. Kleist-Retzvw, der es nur auf Stimmengleichheit — 4 64 gegen loi ^— mit
dem Grafen Schwerin brachte und bei der Entscheidung durch das Loos unterlag.
Die Linke stellt jetzt natürlich wiederum den Grafen Schwerin auf, der die Stimmen
der Constitutionellen, der Bethmann-Hvllwegiancr und eines Theils der katholischen
Fraction zum mindesten auf sich vereinigen wird. Da die seit vier Jahren bewährte
Leitung des Grafen Schwerin selbst unter seinen politischen Gegnern Anerkennung findet,
so ist anzunehmen", daß ihm selbst verschiedene Stimmen der rechten Seite zufallen
werden und sein Sieg ist überwiegend wahrscheinlich. Es heißt sogar, die Rechte
wolle gar keinen Präsidentschaftskandidaten aufstellen, sondern ihre Stimmen Schwe¬
rin geben, davon abstehend, aus der Wahl des Vorsitzenden eine Parteifrage zu
macheu. Diese Resignation wird in der neuesten Nummer der Kreuzzeitung aufs heftigste
angegriffen. Selbst ohne Aussicht auf Erfolg müsse die Rechte zur Ehre ihrer Fah.
neu für ihre eigenen Kandidaten stimmen. Vu:l.rix «nus-, aliis pliiouii., so<> viel,»
<>!>will! Cato ist diesmal allerdings etwas deplacirt. Die Kreuzzeitung bedroht zu¬
letzt diejenigen ihrer Anhänger, die für den Grafen Schwerin stimmen würden, mit der
schrecklichen Strafe, fortan nur noch mit Beifügung von Gänsefüßchen als Konservative


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/446>, abgerufen am 19.05.2024.