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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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auf die Rednerbühne, und anch einige nit minorum KsnUum. Unter letzteren
heben wir Herrn von Zedlitz-Neukirch hervor, ein erikant psräu der rechten Seite,
der mit wahrhaft treuherziger Naivetät die Unmöglichkeit der Verfassung und des¬
halb die Verpflichtung und Berechtigung Jedermanns, mit allen möglichen
Mitteln auf das Zustandekommen "guter" Wahlen zu wirken, proclamirte.
Er wurde von den Herren von Vincke und Reichensperger eben nicht glimpflich
abgeführt. Letzterer erklärte, ihm nnr mit dem Strafgesetzbuch in der Hand ant¬
worte" zu können. Erbaulich ist es aber zu wissen, daß Herr von Zedlitz mit
seinen Ansichten über die Verfassung und die Anwendung aller möglichen Mittel
bei deu Wahlen Landrath ist. Bei der Verlesung des Briefes durch Herrn
von Saukett riefen Stimmen auf der rechten Seite "sehr gut". Als aber
dieser Abgevrdue^te hinzufügte, wie man Landwehroffiziere, weil sie für constitu-
tionelle Candidaten gestimmt, in ehrengerichtliche Untersuchung gezogen, wie man
sogar gegen seinen Schwiegersohn, weil er ihm, seinem Schwiegervater, seine
Stimme gegeben, so verfahren, verstummten selbst jene Herren, deren Köpfe we¬
niger bewnndeningswürdig sind, als ihre Stirnen. Schließlich wurde Lüderitz
Wahl mit 143 gegen 128 Stimmen für giltig erklärt. Herr von Bethmann-
Hollweg, der sich sehr bestimmt gegen die stattgehabten Wahlnmtriebc aussprach,
stimmte für die Bestätigung der Wahl, weil die Zahl der dadurch möglicherweise
inflnenzirten Wahlmänner zu gering sei, um bei der großen Mehrheit, die Herrn
von Lüderitz gewählt, in Betracht zu kommen. Selbst einige Abgeordnete der'
Rechten, wie z. B. der Graf von Ziethen, stimmten für die nochmalige Ver¬
weisung an die Abtheilung. Sie werden gelesen haben, daß Camphausen aber¬
mals die Wahl in Köln zur zweiten Kammer abgelehnt hat. Hoffentlich sind
seine Gründe dafür gebieterisch, sonst müßte das Urtheil darüber strenge ausfalle".




-- Die Tagespresse der La"der, in welchen die Presse überhaupt einen
Theil der öffentlichen Meinung ausdrückt, hat die Annäherung der. beiden könig¬
lichen Linien von Frankreich vielfach besprochen und in der Majorität die Ansicht
ausgedrückt, daß diese Vereinigung uicht als ein Ereigniß von großer politischer
Wichtigkeit zu betrachte" sei, und daß die größte Wirkuug, welche durch dasselbe
hervorgebracht wird, in dem Aerger liege, den dasselbe der Bvnapartistischen
Partei macht. Sicher hat man auch in Deutschland recht, wenn man diese Ver¬
söhnung als unfruchtbar, ja als schädlich für die politische Zukunft der Orleans
beurtheilt. Wenn einzelne Prinzen dieser Familie es in ihrer gegenwärtigen Ver¬
bannung schwer ertrugen, gegenüber den legitimistischen Mächten Europas in


Grenzboten, IV. -I8SZ, 59

auf die Rednerbühne, und anch einige nit minorum KsnUum. Unter letzteren
heben wir Herrn von Zedlitz-Neukirch hervor, ein erikant psräu der rechten Seite,
der mit wahrhaft treuherziger Naivetät die Unmöglichkeit der Verfassung und des¬
halb die Verpflichtung und Berechtigung Jedermanns, mit allen möglichen
Mitteln auf das Zustandekommen „guter" Wahlen zu wirken, proclamirte.
Er wurde von den Herren von Vincke und Reichensperger eben nicht glimpflich
abgeführt. Letzterer erklärte, ihm nnr mit dem Strafgesetzbuch in der Hand ant¬
worte» zu können. Erbaulich ist es aber zu wissen, daß Herr von Zedlitz mit
seinen Ansichten über die Verfassung und die Anwendung aller möglichen Mittel
bei deu Wahlen Landrath ist. Bei der Verlesung des Briefes durch Herrn
von Saukett riefen Stimmen auf der rechten Seite „sehr gut". Als aber
dieser Abgevrdue^te hinzufügte, wie man Landwehroffiziere, weil sie für constitu-
tionelle Candidaten gestimmt, in ehrengerichtliche Untersuchung gezogen, wie man
sogar gegen seinen Schwiegersohn, weil er ihm, seinem Schwiegervater, seine
Stimme gegeben, so verfahren, verstummten selbst jene Herren, deren Köpfe we¬
niger bewnndeningswürdig sind, als ihre Stirnen. Schließlich wurde Lüderitz
Wahl mit 143 gegen 128 Stimmen für giltig erklärt. Herr von Bethmann-
Hollweg, der sich sehr bestimmt gegen die stattgehabten Wahlnmtriebc aussprach,
stimmte für die Bestätigung der Wahl, weil die Zahl der dadurch möglicherweise
inflnenzirten Wahlmänner zu gering sei, um bei der großen Mehrheit, die Herrn
von Lüderitz gewählt, in Betracht zu kommen. Selbst einige Abgeordnete der'
Rechten, wie z. B. der Graf von Ziethen, stimmten für die nochmalige Ver¬
weisung an die Abtheilung. Sie werden gelesen haben, daß Camphausen aber¬
mals die Wahl in Köln zur zweiten Kammer abgelehnt hat. Hoffentlich sind
seine Gründe dafür gebieterisch, sonst müßte das Urtheil darüber strenge ausfalle».




— Die Tagespresse der La»der, in welchen die Presse überhaupt einen
Theil der öffentlichen Meinung ausdrückt, hat die Annäherung der. beiden könig¬
lichen Linien von Frankreich vielfach besprochen und in der Majorität die Ansicht
ausgedrückt, daß diese Vereinigung uicht als ein Ereigniß von großer politischer
Wichtigkeit zu betrachte« sei, und daß die größte Wirkuug, welche durch dasselbe
hervorgebracht wird, in dem Aerger liege, den dasselbe der Bvnapartistischen
Partei macht. Sicher hat man auch in Deutschland recht, wenn man diese Ver¬
söhnung als unfruchtbar, ja als schädlich für die politische Zukunft der Orleans
beurtheilt. Wenn einzelne Prinzen dieser Familie es in ihrer gegenwärtigen Ver¬
bannung schwer ertrugen, gegenüber den legitimistischen Mächten Europas in


Grenzboten, IV. -I8SZ, 59
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[0473] auf die Rednerbühne, und anch einige nit minorum KsnUum. Unter letzteren heben wir Herrn von Zedlitz-Neukirch hervor, ein erikant psräu der rechten Seite, der mit wahrhaft treuherziger Naivetät die Unmöglichkeit der Verfassung und des¬ halb die Verpflichtung und Berechtigung Jedermanns, mit allen möglichen Mitteln auf das Zustandekommen „guter" Wahlen zu wirken, proclamirte. Er wurde von den Herren von Vincke und Reichensperger eben nicht glimpflich abgeführt. Letzterer erklärte, ihm nnr mit dem Strafgesetzbuch in der Hand ant¬ worte» zu können. Erbaulich ist es aber zu wissen, daß Herr von Zedlitz mit seinen Ansichten über die Verfassung und die Anwendung aller möglichen Mittel bei deu Wahlen Landrath ist. Bei der Verlesung des Briefes durch Herrn von Saukett riefen Stimmen auf der rechten Seite „sehr gut". Als aber dieser Abgevrdue^te hinzufügte, wie man Landwehroffiziere, weil sie für constitu- tionelle Candidaten gestimmt, in ehrengerichtliche Untersuchung gezogen, wie man sogar gegen seinen Schwiegersohn, weil er ihm, seinem Schwiegervater, seine Stimme gegeben, so verfahren, verstummten selbst jene Herren, deren Köpfe we¬ niger bewnndeningswürdig sind, als ihre Stirnen. Schließlich wurde Lüderitz Wahl mit 143 gegen 128 Stimmen für giltig erklärt. Herr von Bethmann- Hollweg, der sich sehr bestimmt gegen die stattgehabten Wahlnmtriebc aussprach, stimmte für die Bestätigung der Wahl, weil die Zahl der dadurch möglicherweise inflnenzirten Wahlmänner zu gering sei, um bei der großen Mehrheit, die Herrn von Lüderitz gewählt, in Betracht zu kommen. Selbst einige Abgeordnete der' Rechten, wie z. B. der Graf von Ziethen, stimmten für die nochmalige Ver¬ weisung an die Abtheilung. Sie werden gelesen haben, daß Camphausen aber¬ mals die Wahl in Köln zur zweiten Kammer abgelehnt hat. Hoffentlich sind seine Gründe dafür gebieterisch, sonst müßte das Urtheil darüber strenge ausfalle». — Die Tagespresse der La»der, in welchen die Presse überhaupt einen Theil der öffentlichen Meinung ausdrückt, hat die Annäherung der. beiden könig¬ lichen Linien von Frankreich vielfach besprochen und in der Majorität die Ansicht ausgedrückt, daß diese Vereinigung uicht als ein Ereigniß von großer politischer Wichtigkeit zu betrachte« sei, und daß die größte Wirkuug, welche durch dasselbe hervorgebracht wird, in dem Aerger liege, den dasselbe der Bvnapartistischen Partei macht. Sicher hat man auch in Deutschland recht, wenn man diese Ver¬ söhnung als unfruchtbar, ja als schädlich für die politische Zukunft der Orleans beurtheilt. Wenn einzelne Prinzen dieser Familie es in ihrer gegenwärtigen Ver¬ bannung schwer ertrugen, gegenüber den legitimistischen Mächten Europas in Grenzboten, IV. -I8SZ, 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/473>, abgerufen am 19.05.2024.