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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Dänische Zustände.

Die dänische Sprache hat das zweifelhafte Unglück, über den Bereich ihrer
Inseln hinaus nicht verstanden zu werden; nnr in unvollkommener Weise kann
daher in der Regel die deutsche Presse die dänischen Verhältnisse porträtiren.
Für Dänemark ist Kopenhagen, was Paris für Frankreich war; alles concentrirt
sich dort: Regierung, Militär, Kunst, Wissenschaft, Patriotismus, Fanatismus.
Auf seinen Reisen, in seinen politischen Betrachtungen, seinen poetischen Ergüssen
ist Kopenhagen dem Dänen der Maßstab, mit dem alles gemessen wird; er liebt
sein Vaterland, vergöttert seine Residenzstadt. Diese engbegrenzte aber kräftige
Sympathie hat ihre Vorzüge und ist für jeden begreiflich, der das frische, be¬
wegte Leben der Hauptstadt kennt, die schone Naturumgebung, den Völkerverkehr,
welchen die See heranführt, das oft leichtfertige, ungebundene, der ganzen Be¬
iladung, vermischt mit einem derben Seemanushumor. Von Kopenhagen geht die
Stimmung über die dänischen Inseln in einflußreicher Wirkung und Anerkennung
vornämlich der Kundgebungen der Presse. Vor dem letzten Kriege war alles
dies im Volke gesteigert durch skandinavische Auhäugigkeiteu des jungen Däne¬
mark, Hohn über Deutschlands, "des großen Vaterlandes" Zerrissenheit, und
Abneigung gegen das Deutschthum, dessen Fehler schon Holberg in seinen
Komödien travestirte. Unmittelbar nach dem Kriege belebte ein Grundton alle
Gemüther: Stolz, daß das kleine Dänemark das große Deutschland besiegt
habe! In neuester Zeit tritt hierin ein Mißlaut hervor. Der Däne haßt den
Deutschen, aber er fürchtet ihn zugleich. Lange haben Deutsche in Dänemark
die Staatsgeschäfte beherrscht. Es gab Zeiten, in denen die deutsche Sprache
im Geschäft wie bei Hofe die alleinherrschende war. Kunst, Wissenschaft, all¬
gemeine Bildung trat, seitdem die isländische graue Gans nicht mehr schmackhaft,
von Deutschland hinein; Dänemark hat keinen Dichter, keinen Gelehrten, der
nicht auf deutscher Grundlage sich entwickelt hätte. Während unter König
Friedrich VI. alle Politik der Gegensätze zwischen dem Königreich und den Herzog-
thümern im tiefen Schlafe lag und erst -1834 mit den Provinzialständen leise zu
erwachen begann, bildete in dem kurzen Verlaufe der Regierung Christian VIII.
im schroffsten Gegensatze in denselben Provinzialständen und in beiden Nationa¬
litäten die Eidcrmanie sich aus und der Schleswig-Holsteinismus; indessen noch
unter dem jetzigen Könige Friedrich VII. ragten deutsche Personen und Ideen
hervor, im Staatsrecht wie in der Diplomatie. Sie mußten der Märzrevolution
das Feld räumen, die für die Incorporation Schleswigs das deutsche Bundesland
Holstein preisgab, um radical alles und jeden deutschen Einflusses sich zu ent-


Grenzboten. IV. 48ö3. v
Dänische Zustände.

Die dänische Sprache hat das zweifelhafte Unglück, über den Bereich ihrer
Inseln hinaus nicht verstanden zu werden; nnr in unvollkommener Weise kann
daher in der Regel die deutsche Presse die dänischen Verhältnisse porträtiren.
Für Dänemark ist Kopenhagen, was Paris für Frankreich war; alles concentrirt
sich dort: Regierung, Militär, Kunst, Wissenschaft, Patriotismus, Fanatismus.
Auf seinen Reisen, in seinen politischen Betrachtungen, seinen poetischen Ergüssen
ist Kopenhagen dem Dänen der Maßstab, mit dem alles gemessen wird; er liebt
sein Vaterland, vergöttert seine Residenzstadt. Diese engbegrenzte aber kräftige
Sympathie hat ihre Vorzüge und ist für jeden begreiflich, der das frische, be¬
wegte Leben der Hauptstadt kennt, die schone Naturumgebung, den Völkerverkehr,
welchen die See heranführt, das oft leichtfertige, ungebundene, der ganzen Be¬
iladung, vermischt mit einem derben Seemanushumor. Von Kopenhagen geht die
Stimmung über die dänischen Inseln in einflußreicher Wirkung und Anerkennung
vornämlich der Kundgebungen der Presse. Vor dem letzten Kriege war alles
dies im Volke gesteigert durch skandinavische Auhäugigkeiteu des jungen Däne¬
mark, Hohn über Deutschlands, „des großen Vaterlandes" Zerrissenheit, und
Abneigung gegen das Deutschthum, dessen Fehler schon Holberg in seinen
Komödien travestirte. Unmittelbar nach dem Kriege belebte ein Grundton alle
Gemüther: Stolz, daß das kleine Dänemark das große Deutschland besiegt
habe! In neuester Zeit tritt hierin ein Mißlaut hervor. Der Däne haßt den
Deutschen, aber er fürchtet ihn zugleich. Lange haben Deutsche in Dänemark
die Staatsgeschäfte beherrscht. Es gab Zeiten, in denen die deutsche Sprache
im Geschäft wie bei Hofe die alleinherrschende war. Kunst, Wissenschaft, all¬
gemeine Bildung trat, seitdem die isländische graue Gans nicht mehr schmackhaft,
von Deutschland hinein; Dänemark hat keinen Dichter, keinen Gelehrten, der
nicht auf deutscher Grundlage sich entwickelt hätte. Während unter König
Friedrich VI. alle Politik der Gegensätze zwischen dem Königreich und den Herzog-
thümern im tiefen Schlafe lag und erst -1834 mit den Provinzialständen leise zu
erwachen begann, bildete in dem kurzen Verlaufe der Regierung Christian VIII.
im schroffsten Gegensatze in denselben Provinzialständen und in beiden Nationa¬
litäten die Eidcrmanie sich aus und der Schleswig-Holsteinismus; indessen noch
unter dem jetzigen Könige Friedrich VII. ragten deutsche Personen und Ideen
hervor, im Staatsrecht wie in der Diplomatie. Sie mußten der Märzrevolution
das Feld räumen, die für die Incorporation Schleswigs das deutsche Bundesland
Holstein preisgab, um radical alles und jeden deutschen Einflusses sich zu ent-


Grenzboten. IV. 48ö3. v
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[0049] Dänische Zustände. Die dänische Sprache hat das zweifelhafte Unglück, über den Bereich ihrer Inseln hinaus nicht verstanden zu werden; nnr in unvollkommener Weise kann daher in der Regel die deutsche Presse die dänischen Verhältnisse porträtiren. Für Dänemark ist Kopenhagen, was Paris für Frankreich war; alles concentrirt sich dort: Regierung, Militär, Kunst, Wissenschaft, Patriotismus, Fanatismus. Auf seinen Reisen, in seinen politischen Betrachtungen, seinen poetischen Ergüssen ist Kopenhagen dem Dänen der Maßstab, mit dem alles gemessen wird; er liebt sein Vaterland, vergöttert seine Residenzstadt. Diese engbegrenzte aber kräftige Sympathie hat ihre Vorzüge und ist für jeden begreiflich, der das frische, be¬ wegte Leben der Hauptstadt kennt, die schone Naturumgebung, den Völkerverkehr, welchen die See heranführt, das oft leichtfertige, ungebundene, der ganzen Be¬ iladung, vermischt mit einem derben Seemanushumor. Von Kopenhagen geht die Stimmung über die dänischen Inseln in einflußreicher Wirkung und Anerkennung vornämlich der Kundgebungen der Presse. Vor dem letzten Kriege war alles dies im Volke gesteigert durch skandinavische Auhäugigkeiteu des jungen Däne¬ mark, Hohn über Deutschlands, „des großen Vaterlandes" Zerrissenheit, und Abneigung gegen das Deutschthum, dessen Fehler schon Holberg in seinen Komödien travestirte. Unmittelbar nach dem Kriege belebte ein Grundton alle Gemüther: Stolz, daß das kleine Dänemark das große Deutschland besiegt habe! In neuester Zeit tritt hierin ein Mißlaut hervor. Der Däne haßt den Deutschen, aber er fürchtet ihn zugleich. Lange haben Deutsche in Dänemark die Staatsgeschäfte beherrscht. Es gab Zeiten, in denen die deutsche Sprache im Geschäft wie bei Hofe die alleinherrschende war. Kunst, Wissenschaft, all¬ gemeine Bildung trat, seitdem die isländische graue Gans nicht mehr schmackhaft, von Deutschland hinein; Dänemark hat keinen Dichter, keinen Gelehrten, der nicht auf deutscher Grundlage sich entwickelt hätte. Während unter König Friedrich VI. alle Politik der Gegensätze zwischen dem Königreich und den Herzog- thümern im tiefen Schlafe lag und erst -1834 mit den Provinzialständen leise zu erwachen begann, bildete in dem kurzen Verlaufe der Regierung Christian VIII. im schroffsten Gegensatze in denselben Provinzialständen und in beiden Nationa¬ litäten die Eidcrmanie sich aus und der Schleswig-Holsteinismus; indessen noch unter dem jetzigen Könige Friedrich VII. ragten deutsche Personen und Ideen hervor, im Staatsrecht wie in der Diplomatie. Sie mußten der Märzrevolution das Feld räumen, die für die Incorporation Schleswigs das deutsche Bundesland Holstein preisgab, um radical alles und jeden deutschen Einflusses sich zu ent- Grenzboten. IV. 48ö3. v

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/49>, abgerufen am 19.05.2024.