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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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befriedigender sein dürste als für uns, wenn gleich das musikalische Glaubens-
bekenntniß in Leipzig "och nicht lautet: Es gibt keinen andern Gott als Berlioz,
und Liszt ist sein Prophet!




Diane de Lys, Drama von Alexander Dumas, Sohn.
Pariser Brief.

Wir sind nun einmal verurtheilt, wie der Vicar von Wakefield from ete
blue be6 w tke Are finis von der Camelieudame in die künstlerische Boheme zu
wandern. Das Theater weiß seine Dramenstoffe nirgend mehr zu finden, voraus¬
gesetzt, daß es sie auch anderweitig sucht. Auch wenn die dramatischen Autoren
es wagen, die Schwelle der Salons zu übertreten und ihre Helden in der großen
Welt zu recrutiren, ohne Episode aus dem Grisetteuleben, ohne Hilfstruppen aus
der Boheme können sie nicht mehr fertig, werden. Die viel bewunderte und mit
steigender Neugierde besuchte Gräfin Diane de Lys ist anch wieder eine neue
Behandlung des modern gewordenen Themas. Das fängt an monoton zu werden,
aber wie in der Gesellschaft so auch im Theater verlangt man nur Esprit oder
Geld. Alexander Dumas Sohn bat viel Geist und viel dramatische Begabung,
das heißt Verständniß des Publicums, der ihm gebotenen Schauspieler und der
dramatischen, französisch-dramatischen Effecte bekundet -- was Wunder also, wenn
der Erfolg des neuen Stückes jenen der noch immer nicht ganz vergessenen Dame
aux Camelies uoch zu überbieten verspricht. Die Salondame, die Gräfin de
Lys, hat den Platz von Fräulein Marguerite Gauthicr seligen Andenkens einge¬
nommen -- die Scene ist eine andere geworden, die Verwickelungen sind neu, die
Moral ist dieselbe. Die beredte Heuchelei des Advocate", der einen Ganner ver¬
theidigt, hat wieder über den gefunden Menschenverstand gesiegt. Es ist wirk¬
lich merkwürdig, wie die französischen Schriftsteller die Gesellschaft und die Gesetze
anschauen, aus denen sie beruht. Ihre Gefühle, ihre Ideen sträuben sich da¬
gegen, aber weil sie sich jeder officiellen Strömung fügen wollen, opfern sie den
Schluß, die logische Consequenz ihrer Dramen und Romane, ohne den Gehalt
'zu ändern. Sie sympathisiren mit der Sünde, aber sie bestrafen den armen
Sündigen. Sie glauben der Moral genng gethan zu haben, wenn sie sich an
die Stelle der beleidigten Ehemänner setzen, aber es fällt ihnen nicht ein, ihre
Voraussetzungen so zu stellen, daß im Gefühle des unbefangenen Beschauers der
Mann auch Recht behalte. Der Ehemann hat immer unrecht im Vaudeville wie
im Drama und er hat nichts für sich als den Code civil. Wir begreisen, daß
man gegen die Ehe, wie sie namentlich in Frankreich verstanden wird, Einwen-


befriedigender sein dürste als für uns, wenn gleich das musikalische Glaubens-
bekenntniß in Leipzig »och nicht lautet: Es gibt keinen andern Gott als Berlioz,
und Liszt ist sein Prophet!




Diane de Lys, Drama von Alexander Dumas, Sohn.
Pariser Brief.

Wir sind nun einmal verurtheilt, wie der Vicar von Wakefield from ete
blue be6 w tke Are finis von der Camelieudame in die künstlerische Boheme zu
wandern. Das Theater weiß seine Dramenstoffe nirgend mehr zu finden, voraus¬
gesetzt, daß es sie auch anderweitig sucht. Auch wenn die dramatischen Autoren
es wagen, die Schwelle der Salons zu übertreten und ihre Helden in der großen
Welt zu recrutiren, ohne Episode aus dem Grisetteuleben, ohne Hilfstruppen aus
der Boheme können sie nicht mehr fertig, werden. Die viel bewunderte und mit
steigender Neugierde besuchte Gräfin Diane de Lys ist anch wieder eine neue
Behandlung des modern gewordenen Themas. Das fängt an monoton zu werden,
aber wie in der Gesellschaft so auch im Theater verlangt man nur Esprit oder
Geld. Alexander Dumas Sohn bat viel Geist und viel dramatische Begabung,
das heißt Verständniß des Publicums, der ihm gebotenen Schauspieler und der
dramatischen, französisch-dramatischen Effecte bekundet — was Wunder also, wenn
der Erfolg des neuen Stückes jenen der noch immer nicht ganz vergessenen Dame
aux Camelies uoch zu überbieten verspricht. Die Salondame, die Gräfin de
Lys, hat den Platz von Fräulein Marguerite Gauthicr seligen Andenkens einge¬
nommen — die Scene ist eine andere geworden, die Verwickelungen sind neu, die
Moral ist dieselbe. Die beredte Heuchelei des Advocate», der einen Ganner ver¬
theidigt, hat wieder über den gefunden Menschenverstand gesiegt. Es ist wirk¬
lich merkwürdig, wie die französischen Schriftsteller die Gesellschaft und die Gesetze
anschauen, aus denen sie beruht. Ihre Gefühle, ihre Ideen sträuben sich da¬
gegen, aber weil sie sich jeder officiellen Strömung fügen wollen, opfern sie den
Schluß, die logische Consequenz ihrer Dramen und Romane, ohne den Gehalt
'zu ändern. Sie sympathisiren mit der Sünde, aber sie bestrafen den armen
Sündigen. Sie glauben der Moral genng gethan zu haben, wenn sie sich an
die Stelle der beleidigten Ehemänner setzen, aber es fällt ihnen nicht ein, ihre
Voraussetzungen so zu stellen, daß im Gefühle des unbefangenen Beschauers der
Mann auch Recht behalte. Der Ehemann hat immer unrecht im Vaudeville wie
im Drama und er hat nichts für sich als den Code civil. Wir begreisen, daß
man gegen die Ehe, wie sie namentlich in Frankreich verstanden wird, Einwen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/500>, abgerufen am 19.05.2024.