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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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die Vertheidigung ist die reine und unbedeckte Ebene. Wäre dies der Cha¬
rakter Bulgariens, dann würden die Russen im Mai leicht möglich bis vor
Schumla gelangt sein. Selten stellt die Natur zwei Gegensätze so dicht neben
einander hin, wie es in dieser Hinsicht die Walachei und Bulgarei sind. Die
erstere Provinz konnte von den Osmanen nie auf die Dauer behauptet wer¬
den, aber aus dem rechten Ufer der Donau hielten sie Stand, und es währte
jedesmal geraume Zeit, bevor die Russen die Vorhöhen des Balkan erreich¬
ten, nachdem sie den Ister passirt hatten.

Rustschuck gehört nicht zu den Städten, welche sich von allen Seiten her
schon weit aus der Ferne Präsentiren. Es ist auf dem der Donau zugewen¬
deten AbHange des hohen bulgarischen Thalrandes erbaut, und man wird seiner
erst ansichtig, wenn man den Gipfel der unmittelbar vorgelegenen Höhen er¬
reicht hat. Dagegen sahen wir schon eine halbe Stunde, bevor wir ins Thor
einfuhren, den breiten Strom selbst. Er war aber über seine Ufer getreten,
wie dies regelmäßig im Juni und Juli geschieht, und flutete in der Breite
deö Bosporus daher. Neugierig warf ich meinen Blick aus das walachische
Ufer hinüber, welches, wie wir schon erfahren hatten, damals bereits von den
Russen besetzt war. Indeß ließ sich außer dem Wachtposten der Quarantäne¬
wache nichts entdecken, was einem Soldaten ähnlich gesehen hätte. Endlich
machte der Weg eine Biegung und ich konnte die südwärtige Stadtbefestigung
überschauen. Einige Minuten danach rollte der Wagen über das schlechte
Stadtpflaster dem Konak zu, in welchem unser Absteigequartier genommen
werden sollte.




Wochenbericht.
Konstantinopel,

-- Ich kann mich diesmal bei meinem
Wochenbericht kurz fassen. Was die Lage charakterisirt, das ist der Mangel aller
Nachrichten von irgendwelcher Bedeutung. Wie ungewiß man übrigens auch immer¬
hin über die augenblickliche Stellung der Russen sein mag, und wie wenig genaues
sich darüber aufstellen läßt, wieweit die Rücknahme ihrer Streitkräfte auf das linke
Donauuser vollzogen ist: die Thatsache steht für uns fest und sicher, daß sie über¬
haupt aus dem Rückzug begriffen sind. Die Türken jubeln und betrachten schon
die ganze Donau als frei.

Von Seiten der Franzosen und Engländer wird inzwischen eine Thätigkeit
entwickelt, die weit die Erwartungen übertrifft, welche das erste Debüt ihrer Truppen
erregen mochte. Man ist mit der Concentrirung der Streitkräfte und des Materials
einer großen Armee zwischen Varna und Schumla beschäftigt, wie ich Ihnen dieses
vor länger als vier Wochen schon meldete. In diesem Augenblick befinden sich dort ver-


Grenzbote". III. 18!>i. . 20

die Vertheidigung ist die reine und unbedeckte Ebene. Wäre dies der Cha¬
rakter Bulgariens, dann würden die Russen im Mai leicht möglich bis vor
Schumla gelangt sein. Selten stellt die Natur zwei Gegensätze so dicht neben
einander hin, wie es in dieser Hinsicht die Walachei und Bulgarei sind. Die
erstere Provinz konnte von den Osmanen nie auf die Dauer behauptet wer¬
den, aber aus dem rechten Ufer der Donau hielten sie Stand, und es währte
jedesmal geraume Zeit, bevor die Russen die Vorhöhen des Balkan erreich¬
ten, nachdem sie den Ister passirt hatten.

Rustschuck gehört nicht zu den Städten, welche sich von allen Seiten her
schon weit aus der Ferne Präsentiren. Es ist auf dem der Donau zugewen¬
deten AbHange des hohen bulgarischen Thalrandes erbaut, und man wird seiner
erst ansichtig, wenn man den Gipfel der unmittelbar vorgelegenen Höhen er¬
reicht hat. Dagegen sahen wir schon eine halbe Stunde, bevor wir ins Thor
einfuhren, den breiten Strom selbst. Er war aber über seine Ufer getreten,
wie dies regelmäßig im Juni und Juli geschieht, und flutete in der Breite
deö Bosporus daher. Neugierig warf ich meinen Blick aus das walachische
Ufer hinüber, welches, wie wir schon erfahren hatten, damals bereits von den
Russen besetzt war. Indeß ließ sich außer dem Wachtposten der Quarantäne¬
wache nichts entdecken, was einem Soldaten ähnlich gesehen hätte. Endlich
machte der Weg eine Biegung und ich konnte die südwärtige Stadtbefestigung
überschauen. Einige Minuten danach rollte der Wagen über das schlechte
Stadtpflaster dem Konak zu, in welchem unser Absteigequartier genommen
werden sollte.




Wochenbericht.
Konstantinopel,

— Ich kann mich diesmal bei meinem
Wochenbericht kurz fassen. Was die Lage charakterisirt, das ist der Mangel aller
Nachrichten von irgendwelcher Bedeutung. Wie ungewiß man übrigens auch immer¬
hin über die augenblickliche Stellung der Russen sein mag, und wie wenig genaues
sich darüber aufstellen läßt, wieweit die Rücknahme ihrer Streitkräfte auf das linke
Donauuser vollzogen ist: die Thatsache steht für uns fest und sicher, daß sie über¬
haupt aus dem Rückzug begriffen sind. Die Türken jubeln und betrachten schon
die ganze Donau als frei.

Von Seiten der Franzosen und Engländer wird inzwischen eine Thätigkeit
entwickelt, die weit die Erwartungen übertrifft, welche das erste Debüt ihrer Truppen
erregen mochte. Man ist mit der Concentrirung der Streitkräfte und des Materials
einer großen Armee zwischen Varna und Schumla beschäftigt, wie ich Ihnen dieses
vor länger als vier Wochen schon meldete. In diesem Augenblick befinden sich dort ver-


Grenzbote». III. 18!>i. . 20
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[0161] die Vertheidigung ist die reine und unbedeckte Ebene. Wäre dies der Cha¬ rakter Bulgariens, dann würden die Russen im Mai leicht möglich bis vor Schumla gelangt sein. Selten stellt die Natur zwei Gegensätze so dicht neben einander hin, wie es in dieser Hinsicht die Walachei und Bulgarei sind. Die erstere Provinz konnte von den Osmanen nie auf die Dauer behauptet wer¬ den, aber aus dem rechten Ufer der Donau hielten sie Stand, und es währte jedesmal geraume Zeit, bevor die Russen die Vorhöhen des Balkan erreich¬ ten, nachdem sie den Ister passirt hatten. Rustschuck gehört nicht zu den Städten, welche sich von allen Seiten her schon weit aus der Ferne Präsentiren. Es ist auf dem der Donau zugewen¬ deten AbHange des hohen bulgarischen Thalrandes erbaut, und man wird seiner erst ansichtig, wenn man den Gipfel der unmittelbar vorgelegenen Höhen er¬ reicht hat. Dagegen sahen wir schon eine halbe Stunde, bevor wir ins Thor einfuhren, den breiten Strom selbst. Er war aber über seine Ufer getreten, wie dies regelmäßig im Juni und Juli geschieht, und flutete in der Breite deö Bosporus daher. Neugierig warf ich meinen Blick aus das walachische Ufer hinüber, welches, wie wir schon erfahren hatten, damals bereits von den Russen besetzt war. Indeß ließ sich außer dem Wachtposten der Quarantäne¬ wache nichts entdecken, was einem Soldaten ähnlich gesehen hätte. Endlich machte der Weg eine Biegung und ich konnte die südwärtige Stadtbefestigung überschauen. Einige Minuten danach rollte der Wagen über das schlechte Stadtpflaster dem Konak zu, in welchem unser Absteigequartier genommen werden sollte. Wochenbericht. Konstantinopel, — Ich kann mich diesmal bei meinem Wochenbericht kurz fassen. Was die Lage charakterisirt, das ist der Mangel aller Nachrichten von irgendwelcher Bedeutung. Wie ungewiß man übrigens auch immer¬ hin über die augenblickliche Stellung der Russen sein mag, und wie wenig genaues sich darüber aufstellen läßt, wieweit die Rücknahme ihrer Streitkräfte auf das linke Donauuser vollzogen ist: die Thatsache steht für uns fest und sicher, daß sie über¬ haupt aus dem Rückzug begriffen sind. Die Türken jubeln und betrachten schon die ganze Donau als frei. Von Seiten der Franzosen und Engländer wird inzwischen eine Thätigkeit entwickelt, die weit die Erwartungen übertrifft, welche das erste Debüt ihrer Truppen erregen mochte. Man ist mit der Concentrirung der Streitkräfte und des Materials einer großen Armee zwischen Varna und Schumla beschäftigt, wie ich Ihnen dieses vor länger als vier Wochen schon meldete. In diesem Augenblick befinden sich dort ver- Grenzbote». III. 18!>i. . 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/161>, abgerufen am 06.05.2024.