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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Der Nest der wendischen Nationalität in der
Idiederlausitz.

Wenn man auf der alten Fahrstraße von Berlin nach Dresden vierzehn
Stunden hindurch das Stoßen und Knarren des Postwagens ertragen hat,
gelangt man in eine Gegend, die sich Äußerlich wenig von der bisherigen
unterscheidet, nur erscheint der Sand noch weißer und flüchtiger, die Kiefer
noch knorriger als bisher in des römischen Reiches Sandbüchse. Es gibt des¬
halb auch wol wenige Reisende, welche das Vergnügen hierher lockt, und höch¬
stens trifft man einmal einige Berliner Gymnasiasten im Gefolge ihres Leh¬
rers, welche die Ferien zu einer Turnfahrt hierher benutzen, denn wohin in
der Mark gehen nicht diese fröhlichen Züge, deren Vergnügen eben das bloße
Wandern ist? Diese, sowie die übrigen Touristen, welche der Zufall hier in
eine Dorfschenke einkehren läßt, sind dann in der Regel nicht'wenig erstaunt,
einen Menschenstamm zu finden, der eine ihnen vollständig unverständliche
Sprache spricht und von dessen Existenz sie vorher nicht einmal etwas gehört
hatten. Es lebt hier nämlich auf dem platten Lande, rings von Deutschen
umgeben, ein kleiner Rest der alten Wenden, welchen die dichten Wälder, der
tiefe Sand und der Mangel aller sonstigen Schätze, welche die Habgier reizen
könnten, vor dem Eindringen der deutschen Cultur und dem gänzlichen Verlust
ihrer Nationalität bewahrt hat. Die Städte dagegen sind auch hier deutsch,
und in Lübben, Cottbus, Penz, Luckau, Spremberg, Muskau spricht außer
einigen Dienstboten vom Lande niemand wendisch. Auch verschafft sich das
Deutsche auf den Dörfern jetzt immer mehr und mehr Eingang; so wird der
Unterricht in Schulen hauptsächlich in deutscher Sprache ertheilt und die jungen
Männer lernen, während sie ihrer Militärpflicht genügen, das Deutsche, allein
bis jetzt ist es immer noch fremde Sprache, gelernte Sprache für einzelne,
Wendisch dagegen eigentliche Muttersprache; und es ist hier wieder deutlich
zu sehen, wie schwer sich ein Volk derselben entwöhnt, selbst wenn die fremde
Sprache der siegreichen Nation in Begleitung höherer Cultur eindringt. Die


Grenzboten. III. ->8si>. 21
Der Nest der wendischen Nationalität in der
Idiederlausitz.

Wenn man auf der alten Fahrstraße von Berlin nach Dresden vierzehn
Stunden hindurch das Stoßen und Knarren des Postwagens ertragen hat,
gelangt man in eine Gegend, die sich Äußerlich wenig von der bisherigen
unterscheidet, nur erscheint der Sand noch weißer und flüchtiger, die Kiefer
noch knorriger als bisher in des römischen Reiches Sandbüchse. Es gibt des¬
halb auch wol wenige Reisende, welche das Vergnügen hierher lockt, und höch¬
stens trifft man einmal einige Berliner Gymnasiasten im Gefolge ihres Leh¬
rers, welche die Ferien zu einer Turnfahrt hierher benutzen, denn wohin in
der Mark gehen nicht diese fröhlichen Züge, deren Vergnügen eben das bloße
Wandern ist? Diese, sowie die übrigen Touristen, welche der Zufall hier in
eine Dorfschenke einkehren läßt, sind dann in der Regel nicht'wenig erstaunt,
einen Menschenstamm zu finden, der eine ihnen vollständig unverständliche
Sprache spricht und von dessen Existenz sie vorher nicht einmal etwas gehört
hatten. Es lebt hier nämlich auf dem platten Lande, rings von Deutschen
umgeben, ein kleiner Rest der alten Wenden, welchen die dichten Wälder, der
tiefe Sand und der Mangel aller sonstigen Schätze, welche die Habgier reizen
könnten, vor dem Eindringen der deutschen Cultur und dem gänzlichen Verlust
ihrer Nationalität bewahrt hat. Die Städte dagegen sind auch hier deutsch,
und in Lübben, Cottbus, Penz, Luckau, Spremberg, Muskau spricht außer
einigen Dienstboten vom Lande niemand wendisch. Auch verschafft sich das
Deutsche auf den Dörfern jetzt immer mehr und mehr Eingang; so wird der
Unterricht in Schulen hauptsächlich in deutscher Sprache ertheilt und die jungen
Männer lernen, während sie ihrer Militärpflicht genügen, das Deutsche, allein
bis jetzt ist es immer noch fremde Sprache, gelernte Sprache für einzelne,
Wendisch dagegen eigentliche Muttersprache; und es ist hier wieder deutlich
zu sehen, wie schwer sich ein Volk derselben entwöhnt, selbst wenn die fremde
Sprache der siegreichen Nation in Begleitung höherer Cultur eindringt. Die


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[0169] Der Nest der wendischen Nationalität in der Idiederlausitz. Wenn man auf der alten Fahrstraße von Berlin nach Dresden vierzehn Stunden hindurch das Stoßen und Knarren des Postwagens ertragen hat, gelangt man in eine Gegend, die sich Äußerlich wenig von der bisherigen unterscheidet, nur erscheint der Sand noch weißer und flüchtiger, die Kiefer noch knorriger als bisher in des römischen Reiches Sandbüchse. Es gibt des¬ halb auch wol wenige Reisende, welche das Vergnügen hierher lockt, und höch¬ stens trifft man einmal einige Berliner Gymnasiasten im Gefolge ihres Leh¬ rers, welche die Ferien zu einer Turnfahrt hierher benutzen, denn wohin in der Mark gehen nicht diese fröhlichen Züge, deren Vergnügen eben das bloße Wandern ist? Diese, sowie die übrigen Touristen, welche der Zufall hier in eine Dorfschenke einkehren läßt, sind dann in der Regel nicht'wenig erstaunt, einen Menschenstamm zu finden, der eine ihnen vollständig unverständliche Sprache spricht und von dessen Existenz sie vorher nicht einmal etwas gehört hatten. Es lebt hier nämlich auf dem platten Lande, rings von Deutschen umgeben, ein kleiner Rest der alten Wenden, welchen die dichten Wälder, der tiefe Sand und der Mangel aller sonstigen Schätze, welche die Habgier reizen könnten, vor dem Eindringen der deutschen Cultur und dem gänzlichen Verlust ihrer Nationalität bewahrt hat. Die Städte dagegen sind auch hier deutsch, und in Lübben, Cottbus, Penz, Luckau, Spremberg, Muskau spricht außer einigen Dienstboten vom Lande niemand wendisch. Auch verschafft sich das Deutsche auf den Dörfern jetzt immer mehr und mehr Eingang; so wird der Unterricht in Schulen hauptsächlich in deutscher Sprache ertheilt und die jungen Männer lernen, während sie ihrer Militärpflicht genügen, das Deutsche, allein bis jetzt ist es immer noch fremde Sprache, gelernte Sprache für einzelne, Wendisch dagegen eigentliche Muttersprache; und es ist hier wieder deutlich zu sehen, wie schwer sich ein Volk derselben entwöhnt, selbst wenn die fremde Sprache der siegreichen Nation in Begleitung höherer Cultur eindringt. Die Grenzboten. III. ->8si>. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/169>, abgerufen am 07.05.2024.