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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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weise, als den Grundsätzen entsprechend sei. -- Das Verdienst, ihm in allen
Wendungen seines Gedankenganges gefolgt, sie alle bloßgelegt zu haben, kommt
dem Verfasser dieser Broschüre in hohem Grade zu und in diesem Sinne ver¬
dient sie die Aufmerksamkeit aller Politiker, umsomehr, da sie mit der edelsten
Patriotischen Wärme geschrieben ist. Aber wir glauben, daß mehr als alle
Deductionen ein äußerer Umstand dazu beitragen wird, dies Gewebe von So¬
phismen zu zerreißen. Die Voraussetzung nämlich, von welcher Herr Stahl
ausgeht, erweist sich als irrig. Preußen befindet sich nicht in der Lage, mit
Oestreich eine imposante Neutralität zu behaupten, sondern Oestreich schließt
sich den Wcstmächten an; wenigstens scheint es so im gegenwärtigen Augen¬
blick. Jetzt dürste es doch Herrn Stahl so gehen, wie dem Zauberlehrling,
der die Geister wol zu beschwören, aber nicht zu bannen verstand und den sie
daher mit Wasser überschütteten. Werden die preußischen Staatsmänner glau¬
ben, auch gegen Oestreich ihre imposante Neutralität zu behaupten? Werden
sie glauben, auch gegen Oestreich die übrigen deutschen Staaten vereinigen zu
können? Wenigstens Herr Stahl wird es wol selbst nicht glauben. Wenn es
wirklich dahin kommt, daß der Kampf sich über alle europäische Staaten aus¬
dehnt, daß also Preußen Partei nehmen muß, da fragt es sich denn doch noch
immer, ob das angeblich conservcttive Princip stark genug sein wird, um alle
realen Interessen zum Schweigen zu bringen. -- Aber doch müssen wir Oestreich
beneiden, daß es nicht erst nöthig gehabt hat, diese Probe zu bestehen, daß
sich in ihm keine Partei gefunden hat, die das principielle, d. h. das Standes-
intcrefse, über das Staatsinteresse setzte, daß die östreichische Regierung, die
viel mehr Ursache hatte, mit England unzufrieden und gegen Rußland dankbar
in sein, als Preußen, dennoch im entscheidenden Augenblick sogleich die Ent¬
schlossenheit besaß, die einzige Fahne aufzupflanzen, die entscheidend sein darf,
die Fahne der nationalen Ehre und Unabhängigkeit.




Wochenbericht.
Aus Varna.

Nach allem zu urtheilen, was ich hier sehe,
^'"r es keine bloße Phrase, wenn jüngst die englischen Journale sagten: Rußland
^erve noch im Laufe des Sommers ein Schlag treffe", von dem es die Folgen ein
Jahrhundert lang fühlen dürfte. Die Vorbereitungen zur Landung in der Krim
Werden in einem riesigen Maßstabe betrieben, und man darf dreist behaupten, day
dieses, in Hinsicht aus die Menge der überzuführenden Truppen, die größte Lan-
dungScxpedition sein wird, welche jemals unternommen wurde. Auf der Rhede, die
^ von meinem Fenster aus uoch kaum ganz übersehen kann, zähle ich, außer den
hier ankernden KricgSsahrzcugeu über hundertundzwanzig Transportschiffe. Am


weise, als den Grundsätzen entsprechend sei. — Das Verdienst, ihm in allen
Wendungen seines Gedankenganges gefolgt, sie alle bloßgelegt zu haben, kommt
dem Verfasser dieser Broschüre in hohem Grade zu und in diesem Sinne ver¬
dient sie die Aufmerksamkeit aller Politiker, umsomehr, da sie mit der edelsten
Patriotischen Wärme geschrieben ist. Aber wir glauben, daß mehr als alle
Deductionen ein äußerer Umstand dazu beitragen wird, dies Gewebe von So¬
phismen zu zerreißen. Die Voraussetzung nämlich, von welcher Herr Stahl
ausgeht, erweist sich als irrig. Preußen befindet sich nicht in der Lage, mit
Oestreich eine imposante Neutralität zu behaupten, sondern Oestreich schließt
sich den Wcstmächten an; wenigstens scheint es so im gegenwärtigen Augen¬
blick. Jetzt dürste es doch Herrn Stahl so gehen, wie dem Zauberlehrling,
der die Geister wol zu beschwören, aber nicht zu bannen verstand und den sie
daher mit Wasser überschütteten. Werden die preußischen Staatsmänner glau¬
ben, auch gegen Oestreich ihre imposante Neutralität zu behaupten? Werden
sie glauben, auch gegen Oestreich die übrigen deutschen Staaten vereinigen zu
können? Wenigstens Herr Stahl wird es wol selbst nicht glauben. Wenn es
wirklich dahin kommt, daß der Kampf sich über alle europäische Staaten aus¬
dehnt, daß also Preußen Partei nehmen muß, da fragt es sich denn doch noch
immer, ob das angeblich conservcttive Princip stark genug sein wird, um alle
realen Interessen zum Schweigen zu bringen. — Aber doch müssen wir Oestreich
beneiden, daß es nicht erst nöthig gehabt hat, diese Probe zu bestehen, daß
sich in ihm keine Partei gefunden hat, die das principielle, d. h. das Standes-
intcrefse, über das Staatsinteresse setzte, daß die östreichische Regierung, die
viel mehr Ursache hatte, mit England unzufrieden und gegen Rußland dankbar
in sein, als Preußen, dennoch im entscheidenden Augenblick sogleich die Ent¬
schlossenheit besaß, die einzige Fahne aufzupflanzen, die entscheidend sein darf,
die Fahne der nationalen Ehre und Unabhängigkeit.




Wochenbericht.
Aus Varna.

Nach allem zu urtheilen, was ich hier sehe,
^'«r es keine bloße Phrase, wenn jüngst die englischen Journale sagten: Rußland
^erve noch im Laufe des Sommers ein Schlag treffe», von dem es die Folgen ein
Jahrhundert lang fühlen dürfte. Die Vorbereitungen zur Landung in der Krim
Werden in einem riesigen Maßstabe betrieben, und man darf dreist behaupten, day
dieses, in Hinsicht aus die Menge der überzuführenden Truppen, die größte Lan-
dungScxpedition sein wird, welche jemals unternommen wurde. Auf der Rhede, die
^ von meinem Fenster aus uoch kaum ganz übersehen kann, zähle ich, außer den
hier ankernden KricgSsahrzcugeu über hundertundzwanzig Transportschiffe. Am


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[0359] weise, als den Grundsätzen entsprechend sei. — Das Verdienst, ihm in allen Wendungen seines Gedankenganges gefolgt, sie alle bloßgelegt zu haben, kommt dem Verfasser dieser Broschüre in hohem Grade zu und in diesem Sinne ver¬ dient sie die Aufmerksamkeit aller Politiker, umsomehr, da sie mit der edelsten Patriotischen Wärme geschrieben ist. Aber wir glauben, daß mehr als alle Deductionen ein äußerer Umstand dazu beitragen wird, dies Gewebe von So¬ phismen zu zerreißen. Die Voraussetzung nämlich, von welcher Herr Stahl ausgeht, erweist sich als irrig. Preußen befindet sich nicht in der Lage, mit Oestreich eine imposante Neutralität zu behaupten, sondern Oestreich schließt sich den Wcstmächten an; wenigstens scheint es so im gegenwärtigen Augen¬ blick. Jetzt dürste es doch Herrn Stahl so gehen, wie dem Zauberlehrling, der die Geister wol zu beschwören, aber nicht zu bannen verstand und den sie daher mit Wasser überschütteten. Werden die preußischen Staatsmänner glau¬ ben, auch gegen Oestreich ihre imposante Neutralität zu behaupten? Werden sie glauben, auch gegen Oestreich die übrigen deutschen Staaten vereinigen zu können? Wenigstens Herr Stahl wird es wol selbst nicht glauben. Wenn es wirklich dahin kommt, daß der Kampf sich über alle europäische Staaten aus¬ dehnt, daß also Preußen Partei nehmen muß, da fragt es sich denn doch noch immer, ob das angeblich conservcttive Princip stark genug sein wird, um alle realen Interessen zum Schweigen zu bringen. — Aber doch müssen wir Oestreich beneiden, daß es nicht erst nöthig gehabt hat, diese Probe zu bestehen, daß sich in ihm keine Partei gefunden hat, die das principielle, d. h. das Standes- intcrefse, über das Staatsinteresse setzte, daß die östreichische Regierung, die viel mehr Ursache hatte, mit England unzufrieden und gegen Rußland dankbar in sein, als Preußen, dennoch im entscheidenden Augenblick sogleich die Ent¬ schlossenheit besaß, die einzige Fahne aufzupflanzen, die entscheidend sein darf, die Fahne der nationalen Ehre und Unabhängigkeit. Wochenbericht. Aus Varna. Nach allem zu urtheilen, was ich hier sehe, ^'«r es keine bloße Phrase, wenn jüngst die englischen Journale sagten: Rußland ^erve noch im Laufe des Sommers ein Schlag treffe», von dem es die Folgen ein Jahrhundert lang fühlen dürfte. Die Vorbereitungen zur Landung in der Krim Werden in einem riesigen Maßstabe betrieben, und man darf dreist behaupten, day dieses, in Hinsicht aus die Menge der überzuführenden Truppen, die größte Lan- dungScxpedition sein wird, welche jemals unternommen wurde. Auf der Rhede, die ^ von meinem Fenster aus uoch kaum ganz übersehen kann, zähle ich, außer den hier ankernden KricgSsahrzcugeu über hundertundzwanzig Transportschiffe. Am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/359>, abgerufen am 06.05.2024.