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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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>'M Dienste dieser Idee arbeiten, desto schneller wird sie zu überwinden sein.
Wir wissen es wohl, daß Deutschland auf dem Gebiet der geistigen Bildung
und der materiellen Fortentwicklung die wichtigsten Fortschritte machen kann,
ohne daß die Politik dabei ins Spiel käme; wir wissen wohl, daß diese Fort¬
schritte durch eine starke politische Aufregung sogar auf längere Zeit beeinträch¬
tigt werden können, und doch müssen wir behaupten, daß, solange sich diese
Ideen nicht zur Geltung gebracht haben, der Deutsche des höchsten Guts ent-
behrt, das den Menschen zu Theil werden kann. Jene Idee von dem Auf¬
gehen aller Kräfte in das Leben des Staats, welche der Verfasser ganz mit
Recht als die Triebfeder der modernen Entwicklung, aber als eine verderbliche,
bezeichnet, der man entgegenarbeiten müsse, vertreten wir mit Bewußtsein und
Ueberzeugung als die unsrige. Die Idee, sich ein Vaterland zu erobern und
als berechtigtes Glied eines sittlichen Gemeinwesens eine höhere Stufe des
Erdenlebens zu ersteigen, ist die edelste und fruchtbarste der neuern Zeit, und
alle andere Ideen müssen hinter ihr zurückstehen.

Indem wir nun aus den gründlichen und geistvollen Arbeiten des Ver¬
fassers zu einem Resultat gelangen, das dem seinigen entgegengesetzt ist, glau¬
ben wir keineswegs sein Verdienst geschmälert zu haben. Oft macht grade eine
eindringende und consequente Entwicklung, die aber von einer einseitigen
Prämisse ausgeht, am lebhaftesten das Gefühl der Wahrheit in uns rege,
weil sie neben der dialektischen Vermittlung auch die lebendige Anschauung
>n uns hervorruft. So wird z. B. die glänzendste Apologetik des katholischen
Princips bei einer gesunden Natur vielleicht am lebhaftesten das Gefühl her¬
vorrufen, daß es ein Glück ist, ein Protestant zu sein. --


Beiträge zur Kritik der Staatswirthschaft. Von Oskar Reichenbach
in London. Erste Reihe. Oldenburg, Stalling. --

Die Schrift hat zwar ungefähr den nämlichen Gegenstand als die vor¬
hergehende, aber die Behandlung ist eine wesentlich verschiedene. Es ist hier
nicht die ruhige Ueberlegung des Verstandes, die uns beschäftigt, die, auch
wo sie ^xht, doch immer fruchtbare Gedankenverbindungen in uns anregen
kann, sondern die Phantasie. Der.Verfasser hat eine sehr lebhafte Gabe der
Combination, und einzelne seiner Bilder und Vergleichungen sehen glänzend
genug aus. Aber von einer natürlichen Reihenfolge und Entwicklung der
Gedanken ist keine Rede. Das Büchlein wird viele Leser unterhalten, aber
ob es irgend jemand wirklich belehren wird, ist uns mehr als zweifelhaft. --


Aus dem heutigen Paris. Von Emma Niendorf. Stuttgart, CarlMäckcn.

Wir führen dieses liebenswürdige Reisetagebuch aus einem bestimmten
Grunde in der Reihe der historischen Schriften mit an. Das gegenwärtige


si.'

>'M Dienste dieser Idee arbeiten, desto schneller wird sie zu überwinden sein.
Wir wissen es wohl, daß Deutschland auf dem Gebiet der geistigen Bildung
und der materiellen Fortentwicklung die wichtigsten Fortschritte machen kann,
ohne daß die Politik dabei ins Spiel käme; wir wissen wohl, daß diese Fort¬
schritte durch eine starke politische Aufregung sogar auf längere Zeit beeinträch¬
tigt werden können, und doch müssen wir behaupten, daß, solange sich diese
Ideen nicht zur Geltung gebracht haben, der Deutsche des höchsten Guts ent-
behrt, das den Menschen zu Theil werden kann. Jene Idee von dem Auf¬
gehen aller Kräfte in das Leben des Staats, welche der Verfasser ganz mit
Recht als die Triebfeder der modernen Entwicklung, aber als eine verderbliche,
bezeichnet, der man entgegenarbeiten müsse, vertreten wir mit Bewußtsein und
Ueberzeugung als die unsrige. Die Idee, sich ein Vaterland zu erobern und
als berechtigtes Glied eines sittlichen Gemeinwesens eine höhere Stufe des
Erdenlebens zu ersteigen, ist die edelste und fruchtbarste der neuern Zeit, und
alle andere Ideen müssen hinter ihr zurückstehen.

Indem wir nun aus den gründlichen und geistvollen Arbeiten des Ver¬
fassers zu einem Resultat gelangen, das dem seinigen entgegengesetzt ist, glau¬
ben wir keineswegs sein Verdienst geschmälert zu haben. Oft macht grade eine
eindringende und consequente Entwicklung, die aber von einer einseitigen
Prämisse ausgeht, am lebhaftesten das Gefühl der Wahrheit in uns rege,
weil sie neben der dialektischen Vermittlung auch die lebendige Anschauung
>n uns hervorruft. So wird z. B. die glänzendste Apologetik des katholischen
Princips bei einer gesunden Natur vielleicht am lebhaftesten das Gefühl her¬
vorrufen, daß es ein Glück ist, ein Protestant zu sein. —


Beiträge zur Kritik der Staatswirthschaft. Von Oskar Reichenbach
in London. Erste Reihe. Oldenburg, Stalling. —

Die Schrift hat zwar ungefähr den nämlichen Gegenstand als die vor¬
hergehende, aber die Behandlung ist eine wesentlich verschiedene. Es ist hier
nicht die ruhige Ueberlegung des Verstandes, die uns beschäftigt, die, auch
wo sie ^xht, doch immer fruchtbare Gedankenverbindungen in uns anregen
kann, sondern die Phantasie. Der.Verfasser hat eine sehr lebhafte Gabe der
Combination, und einzelne seiner Bilder und Vergleichungen sehen glänzend
genug aus. Aber von einer natürlichen Reihenfolge und Entwicklung der
Gedanken ist keine Rede. Das Büchlein wird viele Leser unterhalten, aber
ob es irgend jemand wirklich belehren wird, ist uns mehr als zweifelhaft. —


Aus dem heutigen Paris. Von Emma Niendorf. Stuttgart, CarlMäckcn.

Wir führen dieses liebenswürdige Reisetagebuch aus einem bestimmten
Grunde in der Reihe der historischen Schriften mit an. Das gegenwärtige


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[0435] >'M Dienste dieser Idee arbeiten, desto schneller wird sie zu überwinden sein. Wir wissen es wohl, daß Deutschland auf dem Gebiet der geistigen Bildung und der materiellen Fortentwicklung die wichtigsten Fortschritte machen kann, ohne daß die Politik dabei ins Spiel käme; wir wissen wohl, daß diese Fort¬ schritte durch eine starke politische Aufregung sogar auf längere Zeit beeinträch¬ tigt werden können, und doch müssen wir behaupten, daß, solange sich diese Ideen nicht zur Geltung gebracht haben, der Deutsche des höchsten Guts ent- behrt, das den Menschen zu Theil werden kann. Jene Idee von dem Auf¬ gehen aller Kräfte in das Leben des Staats, welche der Verfasser ganz mit Recht als die Triebfeder der modernen Entwicklung, aber als eine verderbliche, bezeichnet, der man entgegenarbeiten müsse, vertreten wir mit Bewußtsein und Ueberzeugung als die unsrige. Die Idee, sich ein Vaterland zu erobern und als berechtigtes Glied eines sittlichen Gemeinwesens eine höhere Stufe des Erdenlebens zu ersteigen, ist die edelste und fruchtbarste der neuern Zeit, und alle andere Ideen müssen hinter ihr zurückstehen. Indem wir nun aus den gründlichen und geistvollen Arbeiten des Ver¬ fassers zu einem Resultat gelangen, das dem seinigen entgegengesetzt ist, glau¬ ben wir keineswegs sein Verdienst geschmälert zu haben. Oft macht grade eine eindringende und consequente Entwicklung, die aber von einer einseitigen Prämisse ausgeht, am lebhaftesten das Gefühl der Wahrheit in uns rege, weil sie neben der dialektischen Vermittlung auch die lebendige Anschauung >n uns hervorruft. So wird z. B. die glänzendste Apologetik des katholischen Princips bei einer gesunden Natur vielleicht am lebhaftesten das Gefühl her¬ vorrufen, daß es ein Glück ist, ein Protestant zu sein. — Beiträge zur Kritik der Staatswirthschaft. Von Oskar Reichenbach in London. Erste Reihe. Oldenburg, Stalling. — Die Schrift hat zwar ungefähr den nämlichen Gegenstand als die vor¬ hergehende, aber die Behandlung ist eine wesentlich verschiedene. Es ist hier nicht die ruhige Ueberlegung des Verstandes, die uns beschäftigt, die, auch wo sie ^xht, doch immer fruchtbare Gedankenverbindungen in uns anregen kann, sondern die Phantasie. Der.Verfasser hat eine sehr lebhafte Gabe der Combination, und einzelne seiner Bilder und Vergleichungen sehen glänzend genug aus. Aber von einer natürlichen Reihenfolge und Entwicklung der Gedanken ist keine Rede. Das Büchlein wird viele Leser unterhalten, aber ob es irgend jemand wirklich belehren wird, ist uns mehr als zweifelhaft. — Aus dem heutigen Paris. Von Emma Niendorf. Stuttgart, CarlMäckcn. Wir führen dieses liebenswürdige Reisetagebuch aus einem bestimmten Grunde in der Reihe der historischen Schriften mit an. Das gegenwärtige si.'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/435>, abgerufen am 07.05.2024.