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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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kraft bei Shakespeare die Leidenschaften sich ausbreiten, wir können ihnen doch
überall folgen und sie verstehen, denn sie sind allgemein menschlicher Natur;
während sich unsre Dichter mit besonderer Vorliebe in solchen Zuständen er¬
gehen, die nur als Resultate ganz ungewöhnlicher und unerhörter Combina¬
tionen begriffen werden können. Vorzugsweise in diesem Umstand finden wir
den Grund zu dem ephemeren Charakter unsrer Literatur, nebenbei freilich auch
>n dem mangelnden Talent, Dem letzteren kann die Kritik nicht abhelfen; für
das erstere-dagegen kann manches geschehen, und wir hoffen, daß auch die vor¬
liegende Schrift in ihrer Art dahin wirken wird. --


Phantasiestückc in Callots Manier. Blätter aus dem Tagelmchc eines
reisenden Enthusiasten. Von E. Th. A. Hoffmann. Mit einer Vorrede
von Jean Paul. Vierte Auflage. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus. --

Die vierte Auflage eines Werks, welches vor vierzig Jahren zuerst er¬
schien, und welches sich als lebensfähig erwiesen hat, obgleich es gewiß nicht
an den eigentlich classischen Leistungen gehört, kann man wol zu den literar¬
historischen Erscheinungen rechnen. In einer Zeit, wo die Poesie sich alle Ge¬
biete des Lebens zu unterwerfen strebte, mußte sie auch auf die Musik ihre
Aufmerksamkeit richten. Die bildenden Künste waren von den Classikern und
Romantikern bereits ebenso eifrig durchforscht und durchgeistigt, als die Wissen¬
schaften , die Religion und die Philosophie. Mit der Musik geschah der erste
Erfund in dem vorliegenden Werk, welches 1814 erschien. Bis dahin hatte
s'es die Musik, obgleich auch ihre Blüte in die nämliche Zeit fällt, als die
^inde der Poesie, dem gemeinsamen Zusammenwirken der dichterischen, rcli-
K'sser und wissenschaftlichen .Kräfte entzogen; sie bildete eine Welt für sich,
^'e Phantasiestücke haben sehr viel dazu beigetragen, diese Trennung auszu¬
üben; mit ihnen begann die Philosophie und die Poesie die Welt der Töne zu
'drein Gegenstand zu machen. Zwar hatten es auch die Schlegel und ihre
Schüler an Sonetten und Canzonen zur Verherrlichung dieser Kunst nicht
l°hier lassen, allein ihre Einsicht in das Wesen der Sache war zu gering, als
sie über ganz allgemeine Sympathien und Antipathien hätten hinausgehen
Hoffmann, ein ebenso gebildeter Musiker als geistvoller Dichter,
""u> ihm auch nach beiden Seiten hin etwas vom Dilettanten anklebte, er-
°e dem größern Publicum, auf das er um so unmittelbarer wirkte,
^ rücksichtsloser er mit seinem Enthusiasmus zu Werke ging, die überraschcnd-
Aussichten in das Wesen dieser Kunst; und seit der Zeit ist daS raison-
'^nde Gespräch über Musik eine Liebhaberei des Tages geworden. Zwar
^'en die Phnntasiestücke auch manche sehr verkehrte Ansichten in die Welt
"^"hre, z. B. die apologetische Auffassung des Don Juan, die leider immer
^ ) "icht ganz ausgerottet ist, aber im ganzen haben sie wohlthätig gewirkt;


kraft bei Shakespeare die Leidenschaften sich ausbreiten, wir können ihnen doch
überall folgen und sie verstehen, denn sie sind allgemein menschlicher Natur;
während sich unsre Dichter mit besonderer Vorliebe in solchen Zuständen er¬
gehen, die nur als Resultate ganz ungewöhnlicher und unerhörter Combina¬
tionen begriffen werden können. Vorzugsweise in diesem Umstand finden wir
den Grund zu dem ephemeren Charakter unsrer Literatur, nebenbei freilich auch
>n dem mangelnden Talent, Dem letzteren kann die Kritik nicht abhelfen; für
das erstere-dagegen kann manches geschehen, und wir hoffen, daß auch die vor¬
liegende Schrift in ihrer Art dahin wirken wird. —


Phantasiestückc in Callots Manier. Blätter aus dem Tagelmchc eines
reisenden Enthusiasten. Von E. Th. A. Hoffmann. Mit einer Vorrede
von Jean Paul. Vierte Auflage. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus. —

Die vierte Auflage eines Werks, welches vor vierzig Jahren zuerst er¬
schien, und welches sich als lebensfähig erwiesen hat, obgleich es gewiß nicht
an den eigentlich classischen Leistungen gehört, kann man wol zu den literar¬
historischen Erscheinungen rechnen. In einer Zeit, wo die Poesie sich alle Ge¬
biete des Lebens zu unterwerfen strebte, mußte sie auch auf die Musik ihre
Aufmerksamkeit richten. Die bildenden Künste waren von den Classikern und
Romantikern bereits ebenso eifrig durchforscht und durchgeistigt, als die Wissen¬
schaften , die Religion und die Philosophie. Mit der Musik geschah der erste
Erfund in dem vorliegenden Werk, welches 1814 erschien. Bis dahin hatte
s'es die Musik, obgleich auch ihre Blüte in die nämliche Zeit fällt, als die
^inde der Poesie, dem gemeinsamen Zusammenwirken der dichterischen, rcli-
K'sser und wissenschaftlichen .Kräfte entzogen; sie bildete eine Welt für sich,
^'e Phantasiestücke haben sehr viel dazu beigetragen, diese Trennung auszu¬
üben; mit ihnen begann die Philosophie und die Poesie die Welt der Töne zu
'drein Gegenstand zu machen. Zwar hatten es auch die Schlegel und ihre
Schüler an Sonetten und Canzonen zur Verherrlichung dieser Kunst nicht
l°hier lassen, allein ihre Einsicht in das Wesen der Sache war zu gering, als
sie über ganz allgemeine Sympathien und Antipathien hätten hinausgehen
Hoffmann, ein ebenso gebildeter Musiker als geistvoller Dichter,
""u> ihm auch nach beiden Seiten hin etwas vom Dilettanten anklebte, er-
°e dem größern Publicum, auf das er um so unmittelbarer wirkte,
^ rücksichtsloser er mit seinem Enthusiasmus zu Werke ging, die überraschcnd-
Aussichten in das Wesen dieser Kunst; und seit der Zeit ist daS raison-
'^nde Gespräch über Musik eine Liebhaberei des Tages geworden. Zwar
^'en die Phnntasiestücke auch manche sehr verkehrte Ansichten in die Welt
"^"hre, z. B. die apologetische Auffassung des Don Juan, die leider immer
^ ) «icht ganz ausgerottet ist, aber im ganzen haben sie wohlthätig gewirkt;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/501>, abgerufen am 06.05.2024.