Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Staats Bezug hat, außer den Gerichten selbst und den Landesgesängnissen als
solchen. Der Posten ist nicht unbedeutend, denn er erreicht beinahe 120,000 Tha¬
ler. Fast ebensoviel nehmen die Gefängnisse weg, deren es vom Staatögefängniß
zu Hildesheim herab bis zu dem schwersten, der Kettenstrasanstalt bei Lüne-
burg, zehn gibt, mit einer Zahl von 1316 Sträflingen, also nahezu einem aus
je 100" Einwohner deö Königreichs.




Betrachtungen über einen etwaigen Krieg Oestreichs
gegen Rnfiland infolge des orientalischen
Conflicts.

Jemehr ein Bruch zwischen den beiden östlichen Kaiserhöfen aus dem
Bereich der bloßen Möglichkeit in den der Wahrscheinlichkeit übertritt, desto
dringender wird das Verlangen, ihre militärische Stellung zueinander abzu¬
wägen und über den Gang, welchen die Kriegsoperationen muthmaßlich nehmen
werden, sich mindestens eine Meinung zu bilden.

Einen ganz andern Charakter als den des bislang aus türkischem Boden
geführten Kampfes würde dieser schon darum annehmen, weil beide Monarchien,
die russische und die östreichische, einander um vieles näher gestellt sind, als
der ersteren England und Frankreich, ja selbst die Türkei, und dann, weil
sie einander nicht blos mit ihren Extremitäten, sondern so zu sagen mit ihren
Mittelfronten, d. h. mit denjenigen Gebieten berühren, in denen sie zu der
vergleichsweise größten Kraftentfaltung befähigt sind.

Die Frage, auf welcher Seite die Initiative liegen, wer angreifen und
wer sich vertheidigen wird, kann kaum noch einer Erörterung erliegen. Wenn
Rußland heute schon in der Bulgarei sich mehr und mehr in defensive Ver¬
fassung setzt, so ist nicht daran zu zweifeln, daß es den östreichischen Angriff
abwarten wird, ja kaum im Stande ist, einen andern Entschluß zu wählen.
Denn um anzugreifen muß man der Stärkere sein, und Rußland ist dies bis
heute nur da, wo es mit Staaten zweiten Ranges zu thun hat, wie mit
der Türkei, mit Schweden, mit Persien: es ist es nicht, wenn es sich um
einen Kampf mit einem der beiden deutschen Großstaaten handelt, und am
mindesten gegenwärtig, wo es auf seinen beiden Seefronten und in der Türkei
beschäftigt, ein Heer an der Donau, ein anderes bei Odessa und in der Krim,
ein drittes im Kaukasus, ein viertes am baltischen Meere und ein fünftes in
Polen unterhalten muß. Kaum daß es ihm möglich ist, die bis jetzt inne¬
gehaltenen Landstriche vollständig zu decken. Oder ist es nicht ein lautes Einge-
ständniß seiner Ohnmacht, wenn Rußland die Hälfte seines ganzen Küsten-


Staats Bezug hat, außer den Gerichten selbst und den Landesgesängnissen als
solchen. Der Posten ist nicht unbedeutend, denn er erreicht beinahe 120,000 Tha¬
ler. Fast ebensoviel nehmen die Gefängnisse weg, deren es vom Staatögefängniß
zu Hildesheim herab bis zu dem schwersten, der Kettenstrasanstalt bei Lüne-
burg, zehn gibt, mit einer Zahl von 1316 Sträflingen, also nahezu einem aus
je 100» Einwohner deö Königreichs.




Betrachtungen über einen etwaigen Krieg Oestreichs
gegen Rnfiland infolge des orientalischen
Conflicts.

Jemehr ein Bruch zwischen den beiden östlichen Kaiserhöfen aus dem
Bereich der bloßen Möglichkeit in den der Wahrscheinlichkeit übertritt, desto
dringender wird das Verlangen, ihre militärische Stellung zueinander abzu¬
wägen und über den Gang, welchen die Kriegsoperationen muthmaßlich nehmen
werden, sich mindestens eine Meinung zu bilden.

Einen ganz andern Charakter als den des bislang aus türkischem Boden
geführten Kampfes würde dieser schon darum annehmen, weil beide Monarchien,
die russische und die östreichische, einander um vieles näher gestellt sind, als
der ersteren England und Frankreich, ja selbst die Türkei, und dann, weil
sie einander nicht blos mit ihren Extremitäten, sondern so zu sagen mit ihren
Mittelfronten, d. h. mit denjenigen Gebieten berühren, in denen sie zu der
vergleichsweise größten Kraftentfaltung befähigt sind.

Die Frage, auf welcher Seite die Initiative liegen, wer angreifen und
wer sich vertheidigen wird, kann kaum noch einer Erörterung erliegen. Wenn
Rußland heute schon in der Bulgarei sich mehr und mehr in defensive Ver¬
fassung setzt, so ist nicht daran zu zweifeln, daß es den östreichischen Angriff
abwarten wird, ja kaum im Stande ist, einen andern Entschluß zu wählen.
Denn um anzugreifen muß man der Stärkere sein, und Rußland ist dies bis
heute nur da, wo es mit Staaten zweiten Ranges zu thun hat, wie mit
der Türkei, mit Schweden, mit Persien: es ist es nicht, wenn es sich um
einen Kampf mit einem der beiden deutschen Großstaaten handelt, und am
mindesten gegenwärtig, wo es auf seinen beiden Seefronten und in der Türkei
beschäftigt, ein Heer an der Donau, ein anderes bei Odessa und in der Krim,
ein drittes im Kaukasus, ein viertes am baltischen Meere und ein fünftes in
Polen unterhalten muß. Kaum daß es ihm möglich ist, die bis jetzt inne¬
gehaltenen Landstriche vollständig zu decken. Oder ist es nicht ein lautes Einge-
ständniß seiner Ohnmacht, wenn Rußland die Hälfte seines ganzen Küsten-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281212"/>
          <p xml:id="ID_162" prev="#ID_161"> Staats Bezug hat, außer den Gerichten selbst und den Landesgesängnissen als<lb/>
solchen. Der Posten ist nicht unbedeutend, denn er erreicht beinahe 120,000 Tha¬<lb/>
ler. Fast ebensoviel nehmen die Gefängnisse weg, deren es vom Staatögefängniß<lb/>
zu Hildesheim herab bis zu dem schwersten, der Kettenstrasanstalt bei Lüne-<lb/>
burg, zehn gibt, mit einer Zahl von 1316 Sträflingen, also nahezu einem aus<lb/>
je 100» Einwohner deö Königreichs.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Betrachtungen über einen etwaigen Krieg Oestreichs<lb/>
gegen Rnfiland infolge des orientalischen<lb/>
Conflicts.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_163"> Jemehr ein Bruch zwischen den beiden östlichen Kaiserhöfen aus dem<lb/>
Bereich der bloßen Möglichkeit in den der Wahrscheinlichkeit übertritt, desto<lb/>
dringender wird das Verlangen, ihre militärische Stellung zueinander abzu¬<lb/>
wägen und über den Gang, welchen die Kriegsoperationen muthmaßlich nehmen<lb/>
werden, sich mindestens eine Meinung zu bilden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_164"> Einen ganz andern Charakter als den des bislang aus türkischem Boden<lb/>
geführten Kampfes würde dieser schon darum annehmen, weil beide Monarchien,<lb/>
die russische und die östreichische, einander um vieles näher gestellt sind, als<lb/>
der ersteren England und Frankreich, ja selbst die Türkei, und dann, weil<lb/>
sie einander nicht blos mit ihren Extremitäten, sondern so zu sagen mit ihren<lb/>
Mittelfronten, d. h. mit denjenigen Gebieten berühren, in denen sie zu der<lb/>
vergleichsweise größten Kraftentfaltung befähigt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_165" next="#ID_166"> Die Frage, auf welcher Seite die Initiative liegen, wer angreifen und<lb/>
wer sich vertheidigen wird, kann kaum noch einer Erörterung erliegen. Wenn<lb/>
Rußland heute schon in der Bulgarei sich mehr und mehr in defensive Ver¬<lb/>
fassung setzt, so ist nicht daran zu zweifeln, daß es den östreichischen Angriff<lb/>
abwarten wird, ja kaum im Stande ist, einen andern Entschluß zu wählen.<lb/>
Denn um anzugreifen muß man der Stärkere sein, und Rußland ist dies bis<lb/>
heute nur da, wo es mit Staaten zweiten Ranges zu thun hat, wie mit<lb/>
der Türkei, mit Schweden, mit Persien: es ist es nicht, wenn es sich um<lb/>
einen Kampf mit einem der beiden deutschen Großstaaten handelt, und am<lb/>
mindesten gegenwärtig, wo es auf seinen beiden Seefronten und in der Türkei<lb/>
beschäftigt, ein Heer an der Donau, ein anderes bei Odessa und in der Krim,<lb/>
ein drittes im Kaukasus, ein viertes am baltischen Meere und ein fünftes in<lb/>
Polen unterhalten muß. Kaum daß es ihm möglich ist, die bis jetzt inne¬<lb/>
gehaltenen Landstriche vollständig zu decken. Oder ist es nicht ein lautes Einge-<lb/>
ständniß seiner Ohnmacht, wenn Rußland die Hälfte seines ganzen Küsten-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Staats Bezug hat, außer den Gerichten selbst und den Landesgesängnissen als solchen. Der Posten ist nicht unbedeutend, denn er erreicht beinahe 120,000 Tha¬ ler. Fast ebensoviel nehmen die Gefängnisse weg, deren es vom Staatögefängniß zu Hildesheim herab bis zu dem schwersten, der Kettenstrasanstalt bei Lüne- burg, zehn gibt, mit einer Zahl von 1316 Sträflingen, also nahezu einem aus je 100» Einwohner deö Königreichs. Betrachtungen über einen etwaigen Krieg Oestreichs gegen Rnfiland infolge des orientalischen Conflicts. Jemehr ein Bruch zwischen den beiden östlichen Kaiserhöfen aus dem Bereich der bloßen Möglichkeit in den der Wahrscheinlichkeit übertritt, desto dringender wird das Verlangen, ihre militärische Stellung zueinander abzu¬ wägen und über den Gang, welchen die Kriegsoperationen muthmaßlich nehmen werden, sich mindestens eine Meinung zu bilden. Einen ganz andern Charakter als den des bislang aus türkischem Boden geführten Kampfes würde dieser schon darum annehmen, weil beide Monarchien, die russische und die östreichische, einander um vieles näher gestellt sind, als der ersteren England und Frankreich, ja selbst die Türkei, und dann, weil sie einander nicht blos mit ihren Extremitäten, sondern so zu sagen mit ihren Mittelfronten, d. h. mit denjenigen Gebieten berühren, in denen sie zu der vergleichsweise größten Kraftentfaltung befähigt sind. Die Frage, auf welcher Seite die Initiative liegen, wer angreifen und wer sich vertheidigen wird, kann kaum noch einer Erörterung erliegen. Wenn Rußland heute schon in der Bulgarei sich mehr und mehr in defensive Ver¬ fassung setzt, so ist nicht daran zu zweifeln, daß es den östreichischen Angriff abwarten wird, ja kaum im Stande ist, einen andern Entschluß zu wählen. Denn um anzugreifen muß man der Stärkere sein, und Rußland ist dies bis heute nur da, wo es mit Staaten zweiten Ranges zu thun hat, wie mit der Türkei, mit Schweden, mit Persien: es ist es nicht, wenn es sich um einen Kampf mit einem der beiden deutschen Großstaaten handelt, und am mindesten gegenwärtig, wo es auf seinen beiden Seefronten und in der Türkei beschäftigt, ein Heer an der Donau, ein anderes bei Odessa und in der Krim, ein drittes im Kaukasus, ein viertes am baltischen Meere und ein fünftes in Polen unterhalten muß. Kaum daß es ihm möglich ist, die bis jetzt inne¬ gehaltenen Landstriche vollständig zu decken. Oder ist es nicht ein lautes Einge- ständniß seiner Ohnmacht, wenn Rußland die Hälfte seines ganzen Küsten-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/61>, abgerufen am 06.05.2024.