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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Die Maßregeln, welche es infolge dieser Resignation ergreifen wird,
sind unschwer im voraus zu erkennen. Sie werden, ihrer Tendenz nach, darauf
beruhen, daß 'der Angriff gegen das osmanische Reich aufgegeben und der
Widerstand gegen Oestreich nicht allein zur Hauptsache, sondern zum alleinigen
Gegenstand und Zweck der Operationen gemacht wird. Demnach wird der Zar
zunächst die Donauprovinzen und Bulgarien räumen und die hier verwendeten
Truppenmassen auf die Pruthlinie zurücknehmen. Sie treffen hier mit den
Reserven zusammen, die in den letzten Monaten sich daselbst zu sammeln be¬
gannen, werden mithin stärker und dürften möglicherweise soweit anwachsen,
daß sie den östreichischen Angriffskräften, verbunden mit den jetzt aus dem tür¬
kischen Kriegstheater agirenden Massen, auf kurze Zeit zu widerstehen vermögen.

Ich weiß wohl, daß man hiergegen einwenden wird: eine derartige Dis¬
position werde schwerlich von Rußland getroffen werden; seine Interessen ver¬
langten es, daß es alle Kräfte, die ihm zur Hand sind, in Polen verwende;
im Süden dieser Provinz liege seine wirksamste Fronte gegen Oestreich, und
eine Vertheidigung wäre nur im Sinne der Offensive russischerseits zu führen.

Leute, die so reden, lassen außer Acht, daß Rußland, um seine Donauarmee
nach Polen zu versetzen, mindestens einer Zeit von vier Monaten bedarf; daß
sich zu einer hartnäckigen Defensive allerdings ein fortisicatorisch vorbereiteter
Operationskreis daselbst vorfindet, nämlich zunächst das Dreieck, welches die
Befestigung bei Warschau und die Plätze Motum (Neu-Georgiewsk) und Siervck
formiren, und im weiteren Zirkel die Festungen Lowitz, Jwangorod, Lamosc,
Brescz-Litewski, daß aber.an eine Offensive aus diesem Kreise heraus, ganz ab¬
gesehen von der Unzulänglichkeit der russischen Kräfte, hauptsächlich aus poli¬
tischen Gründen nicht gedacht werden kann, weil eine so excentrische Richtung
der Operationen, dem Vertrage vom 20. April gemäß, Preußen auf den
Kampfplatz rufen würde, der alsdann ungleich ungünstiger wie der am Pruth
gelegen wäre.

Hierauf gründe ich die Ansicht, daß Rußland in dem vorausgesetzten Fall
in Polen sich hauptsächlich auf den Widerstand der Festungen beschränken, da¬
gegen auf der Linie des Pruth mit allen Kräften agiren wird, die es in dieser
und den angrenzenden Gegenden zur Hand hat.




Die Parade der französischen Truppen vor dem Sultan.

Bereits zu Anfang der vergangenen Woche war eine Parade der in die
Kaserne von Daub Pascha einquartierten französischen Truppen der 3. Division


Die Maßregeln, welche es infolge dieser Resignation ergreifen wird,
sind unschwer im voraus zu erkennen. Sie werden, ihrer Tendenz nach, darauf
beruhen, daß 'der Angriff gegen das osmanische Reich aufgegeben und der
Widerstand gegen Oestreich nicht allein zur Hauptsache, sondern zum alleinigen
Gegenstand und Zweck der Operationen gemacht wird. Demnach wird der Zar
zunächst die Donauprovinzen und Bulgarien räumen und die hier verwendeten
Truppenmassen auf die Pruthlinie zurücknehmen. Sie treffen hier mit den
Reserven zusammen, die in den letzten Monaten sich daselbst zu sammeln be¬
gannen, werden mithin stärker und dürften möglicherweise soweit anwachsen,
daß sie den östreichischen Angriffskräften, verbunden mit den jetzt aus dem tür¬
kischen Kriegstheater agirenden Massen, auf kurze Zeit zu widerstehen vermögen.

Ich weiß wohl, daß man hiergegen einwenden wird: eine derartige Dis¬
position werde schwerlich von Rußland getroffen werden; seine Interessen ver¬
langten es, daß es alle Kräfte, die ihm zur Hand sind, in Polen verwende;
im Süden dieser Provinz liege seine wirksamste Fronte gegen Oestreich, und
eine Vertheidigung wäre nur im Sinne der Offensive russischerseits zu führen.

Leute, die so reden, lassen außer Acht, daß Rußland, um seine Donauarmee
nach Polen zu versetzen, mindestens einer Zeit von vier Monaten bedarf; daß
sich zu einer hartnäckigen Defensive allerdings ein fortisicatorisch vorbereiteter
Operationskreis daselbst vorfindet, nämlich zunächst das Dreieck, welches die
Befestigung bei Warschau und die Plätze Motum (Neu-Georgiewsk) und Siervck
formiren, und im weiteren Zirkel die Festungen Lowitz, Jwangorod, Lamosc,
Brescz-Litewski, daß aber.an eine Offensive aus diesem Kreise heraus, ganz ab¬
gesehen von der Unzulänglichkeit der russischen Kräfte, hauptsächlich aus poli¬
tischen Gründen nicht gedacht werden kann, weil eine so excentrische Richtung
der Operationen, dem Vertrage vom 20. April gemäß, Preußen auf den
Kampfplatz rufen würde, der alsdann ungleich ungünstiger wie der am Pruth
gelegen wäre.

Hierauf gründe ich die Ansicht, daß Rußland in dem vorausgesetzten Fall
in Polen sich hauptsächlich auf den Widerstand der Festungen beschränken, da¬
gegen auf der Linie des Pruth mit allen Kräften agiren wird, die es in dieser
und den angrenzenden Gegenden zur Hand hat.




Die Parade der französischen Truppen vor dem Sultan.

Bereits zu Anfang der vergangenen Woche war eine Parade der in die
Kaserne von Daub Pascha einquartierten französischen Truppen der 3. Division


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[0066] Die Maßregeln, welche es infolge dieser Resignation ergreifen wird, sind unschwer im voraus zu erkennen. Sie werden, ihrer Tendenz nach, darauf beruhen, daß 'der Angriff gegen das osmanische Reich aufgegeben und der Widerstand gegen Oestreich nicht allein zur Hauptsache, sondern zum alleinigen Gegenstand und Zweck der Operationen gemacht wird. Demnach wird der Zar zunächst die Donauprovinzen und Bulgarien räumen und die hier verwendeten Truppenmassen auf die Pruthlinie zurücknehmen. Sie treffen hier mit den Reserven zusammen, die in den letzten Monaten sich daselbst zu sammeln be¬ gannen, werden mithin stärker und dürften möglicherweise soweit anwachsen, daß sie den östreichischen Angriffskräften, verbunden mit den jetzt aus dem tür¬ kischen Kriegstheater agirenden Massen, auf kurze Zeit zu widerstehen vermögen. Ich weiß wohl, daß man hiergegen einwenden wird: eine derartige Dis¬ position werde schwerlich von Rußland getroffen werden; seine Interessen ver¬ langten es, daß es alle Kräfte, die ihm zur Hand sind, in Polen verwende; im Süden dieser Provinz liege seine wirksamste Fronte gegen Oestreich, und eine Vertheidigung wäre nur im Sinne der Offensive russischerseits zu führen. Leute, die so reden, lassen außer Acht, daß Rußland, um seine Donauarmee nach Polen zu versetzen, mindestens einer Zeit von vier Monaten bedarf; daß sich zu einer hartnäckigen Defensive allerdings ein fortisicatorisch vorbereiteter Operationskreis daselbst vorfindet, nämlich zunächst das Dreieck, welches die Befestigung bei Warschau und die Plätze Motum (Neu-Georgiewsk) und Siervck formiren, und im weiteren Zirkel die Festungen Lowitz, Jwangorod, Lamosc, Brescz-Litewski, daß aber.an eine Offensive aus diesem Kreise heraus, ganz ab¬ gesehen von der Unzulänglichkeit der russischen Kräfte, hauptsächlich aus poli¬ tischen Gründen nicht gedacht werden kann, weil eine so excentrische Richtung der Operationen, dem Vertrage vom 20. April gemäß, Preußen auf den Kampfplatz rufen würde, der alsdann ungleich ungünstiger wie der am Pruth gelegen wäre. Hierauf gründe ich die Ansicht, daß Rußland in dem vorausgesetzten Fall in Polen sich hauptsächlich auf den Widerstand der Festungen beschränken, da¬ gegen auf der Linie des Pruth mit allen Kräften agiren wird, die es in dieser und den angrenzenden Gegenden zur Hand hat. Die Parade der französischen Truppen vor dem Sultan. Bereits zu Anfang der vergangenen Woche war eine Parade der in die Kaserne von Daub Pascha einquartierten französischen Truppen der 3. Division

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/66>, abgerufen am 07.05.2024.