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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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arten bilden dort meist die Vegetation in dem sonst nicht selten sumpfigen
Grunde.

Während man aber längere Zeit in einer der geschilderten Schluchten ge¬
wandert, oder eine Felswand erstiegen hat, um von einer zweiten oder dritten
sich den weiteren Weg versperrt zu sehen und schon die Hoffnung aufgegeben
hat, für den Tag etwas Weiteres als Felsmassen, Wolken und Säure zu sehen,
biegt man um die Ecke eines Felsens, und bleibt plötzlich überrascht und ent¬
zückt stehen vor der prachtvollsten Fernsicht, die sich bietet. Weit weg über das
herrliche Chile bis an die Küste des Meeres schweift der Blick, nur begrenzt
durch den tiefblauen Himmel, der über jenem gesegneten Lande lacht. Auf eine
prachtvolle Weise wird aber das in der Sonne glänzende Flachland gehoben
durch die schwarzen Felsenmassen des Vordergrundes und die Gletschcrmasfen,
zwischen welchen hindurch sich jene Fernsicht öffnet. Der Mangel der Licht-
perspective von dem ich schon vorher gesprochen, kommt dem landschaftlichen
Bilde hier unendlich zu statten, und man möchte fast sagen, daß bei der Gro߬
artigkeit des Ganzen die Natur hier keiner beschönenden Tinten bedürfe.

Der unbegreifliche und fast erschütternde Zauber, der für manche Gemüther
in einer erhabenen und reizenden Fernsicht liegt, ist es aber nicht allein, was
in jenen Bergen so mächtig das Herz erhebt, es ist das wohlthätige Gefühl
absoluter Einsamkeit und Abgeschlossenheit, das Bewußtsein unbedingter persön¬
licher Freiheit und das Fernsein aller störenden Einflüsse, aller menschlichen
Kleinlichkeit und Lüge. Ich habe mich dort sicherer und fröhlicher gefühlt als
irgendwo, freilich ohne daran zu denken, daß man auch auf der Spitze der
Anden getäuscht und betrogen werden kann, wenn gleichwol nur pa,r ckistanee.




Pompejanische Wandgemälde.

W. Zahn, die schönsten Ornamente und merkwürdigsten Gemälde von Pompeji,
Herculanum und Stabiä. Dritte Folge. Heft --6. Berlin, Dietr. Reimer.--

' Im Jahre 1830 empfahl Goethe die Anfänge dieses Zahnschen Werkes
dem Publicum durch eine Anzeige in Kunst und Alterthum, welche ein schönes
Zeugniß ablegt von dem frischen und klaren Blick, mit dem er auch als Greis
jede neue Erscheinung des Schönen auffaßte, und von dem ernsten und hohen
Sinn, mit dem er sie nicht als ein Vereinzeltes betrachtete, an dem man sich
vorübergehend ergötzen möge, sondern sie in den kunstgeschichtlichen Zusammen¬
hang einzureihen und in l'hrer Bedeutung für Kunst und Cultur zu würdigen
bestrebt war. Seitdem ist nicht nur die erste vamals begonnene Folge in
100 Blättern beendigt, sondern es hat sich ihr eine zweite von ebenfalls


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arten bilden dort meist die Vegetation in dem sonst nicht selten sumpfigen
Grunde.

Während man aber längere Zeit in einer der geschilderten Schluchten ge¬
wandert, oder eine Felswand erstiegen hat, um von einer zweiten oder dritten
sich den weiteren Weg versperrt zu sehen und schon die Hoffnung aufgegeben
hat, für den Tag etwas Weiteres als Felsmassen, Wolken und Säure zu sehen,
biegt man um die Ecke eines Felsens, und bleibt plötzlich überrascht und ent¬
zückt stehen vor der prachtvollsten Fernsicht, die sich bietet. Weit weg über das
herrliche Chile bis an die Küste des Meeres schweift der Blick, nur begrenzt
durch den tiefblauen Himmel, der über jenem gesegneten Lande lacht. Auf eine
prachtvolle Weise wird aber das in der Sonne glänzende Flachland gehoben
durch die schwarzen Felsenmassen des Vordergrundes und die Gletschcrmasfen,
zwischen welchen hindurch sich jene Fernsicht öffnet. Der Mangel der Licht-
perspective von dem ich schon vorher gesprochen, kommt dem landschaftlichen
Bilde hier unendlich zu statten, und man möchte fast sagen, daß bei der Gro߬
artigkeit des Ganzen die Natur hier keiner beschönenden Tinten bedürfe.

Der unbegreifliche und fast erschütternde Zauber, der für manche Gemüther
in einer erhabenen und reizenden Fernsicht liegt, ist es aber nicht allein, was
in jenen Bergen so mächtig das Herz erhebt, es ist das wohlthätige Gefühl
absoluter Einsamkeit und Abgeschlossenheit, das Bewußtsein unbedingter persön¬
licher Freiheit und das Fernsein aller störenden Einflüsse, aller menschlichen
Kleinlichkeit und Lüge. Ich habe mich dort sicherer und fröhlicher gefühlt als
irgendwo, freilich ohne daran zu denken, daß man auch auf der Spitze der
Anden getäuscht und betrogen werden kann, wenn gleichwol nur pa,r ckistanee.




Pompejanische Wandgemälde.

W. Zahn, die schönsten Ornamente und merkwürdigsten Gemälde von Pompeji,
Herculanum und Stabiä. Dritte Folge. Heft —6. Berlin, Dietr. Reimer.—

' Im Jahre 1830 empfahl Goethe die Anfänge dieses Zahnschen Werkes
dem Publicum durch eine Anzeige in Kunst und Alterthum, welche ein schönes
Zeugniß ablegt von dem frischen und klaren Blick, mit dem er auch als Greis
jede neue Erscheinung des Schönen auffaßte, und von dem ernsten und hohen
Sinn, mit dem er sie nicht als ein Vereinzeltes betrachtete, an dem man sich
vorübergehend ergötzen möge, sondern sie in den kunstgeschichtlichen Zusammen¬
hang einzureihen und in l'hrer Bedeutung für Kunst und Cultur zu würdigen
bestrebt war. Seitdem ist nicht nur die erste vamals begonnene Folge in
100 Blättern beendigt, sondern es hat sich ihr eine zweite von ebenfalls


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/187>, abgerufen am 06.05.2024.