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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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der Methode der Forschung wie der Komposition läßt sich bei Herrn von Reu-
mont der Einfluß Leopold Rankes nicht verkennen. Er bemüht sich, für alles,
was er erzählt, urkundliche Belege aufzufinden und vermeidet es sorgfältig, sich
Geschichschreiberu anzuvertrauen, die nicht aus erster Quelle schöpften. Seine
Darstellung dagegen hat ein mehr novellistisches als historisches Gepräge. Er
vermeidet das Zusammenfassen, daS Parallelisireu, das Verallgemeinern, was
die herrschende historische Schule in Deutschland zum Hauptgegenstand macht.
In seinem Streben nach Individualität ist ihm das Porträt und die Anekdote
grade recht. Ueberall geht er darauf aus, uns mit dem historischen Leben der
Zeit zugleich das sociale zu versinnlichen. Er beschreibt die Localitäten, die
Kunstwerke, welche in denselben aufgestellt wurden, die Cermonien u. s. w.,
wie man es sonst nur im historischen Roman gewohnt ist. Seinem Vorbild ist
es gelungen, mit derselben Methode durch Erweiterung der Perspectiven, um¬
fassende Einsicht in den Gang der Literatur im Verhältniß zu der Umbildung der
Sitten, und durch höhere Auffassung der Principien große historische Kunstwerke
zu stände zu bringen. Bei den kleinern Dimensionen unsres Verfassers ist
das nicht wol thunlich. Im Gegentheil macht seine Darstellung zuweilen den
Eindruck deS Manierirten. Indessen eignet sich die Zeit, die er zum Haupt¬
gegenstand seiner Studien gemacht hat, vielleicht mehr als eine andre für diese
leichtere Form, und da der positive historische Gewinn ein unbestreitbarer ist, so
können wir es ihm nur Dank wissen, baß er uns anch das Ernste mit Anmuth
und Zierlichkeit vorträgt. --


Hamburgische Geschichte" und Sagen. Erzählt von IN'. Otto Beneke.
Zweite Auflage. Hamburg, Berthes, Besser und Maule. --

Eine Reihe interessanter, zum Theil höchst ergötzlicher Bilder, welche die Ge¬
schichte Hamburgs von ihrem ersten Ursprung bis in die neuere Zeit begleiten.
Wenn auch das Anekdotische und sagenhafte soweit vorherrscht, daß zuweilen
selbst in der Sprache die naive volkstümliche Form beibehalten ist, so haben
alle diese Geschichten doch zugleich einen historischen Sinn, denn sie versinnlichen
uns die sittliche Bildung der Zeit, in der sie entstanden sind. In dem Inhalts¬
verzeichnis) hat der Verfasser genau seine Quellen angegeben, und dadurch zu¬
gleich indirect das Verhältniß zwischen Sage und Geschichte festgestellt. Die
Form der Darstellung verdient großes Lob; denn trotz der Verschiedenheit im
Einzelnen (einige Geschichten von besonders naivem Charakter sind plattdeutsch
erzählt), ist doch eine verwandte Farbe hergestellt, so daß wir den Eindruck
eines Ganzen empfangen. Wir wünschten, daß ähnliche Sammlungen auch
in andern unsrer historischen Städte angestellt würden, die Einsicht in das
deutsche Wesen und damit das Interesse für das Vaterland könnte dadurch nur
vermehrt werden. --


der Methode der Forschung wie der Komposition läßt sich bei Herrn von Reu-
mont der Einfluß Leopold Rankes nicht verkennen. Er bemüht sich, für alles,
was er erzählt, urkundliche Belege aufzufinden und vermeidet es sorgfältig, sich
Geschichschreiberu anzuvertrauen, die nicht aus erster Quelle schöpften. Seine
Darstellung dagegen hat ein mehr novellistisches als historisches Gepräge. Er
vermeidet das Zusammenfassen, daS Parallelisireu, das Verallgemeinern, was
die herrschende historische Schule in Deutschland zum Hauptgegenstand macht.
In seinem Streben nach Individualität ist ihm das Porträt und die Anekdote
grade recht. Ueberall geht er darauf aus, uns mit dem historischen Leben der
Zeit zugleich das sociale zu versinnlichen. Er beschreibt die Localitäten, die
Kunstwerke, welche in denselben aufgestellt wurden, die Cermonien u. s. w.,
wie man es sonst nur im historischen Roman gewohnt ist. Seinem Vorbild ist
es gelungen, mit derselben Methode durch Erweiterung der Perspectiven, um¬
fassende Einsicht in den Gang der Literatur im Verhältniß zu der Umbildung der
Sitten, und durch höhere Auffassung der Principien große historische Kunstwerke
zu stände zu bringen. Bei den kleinern Dimensionen unsres Verfassers ist
das nicht wol thunlich. Im Gegentheil macht seine Darstellung zuweilen den
Eindruck deS Manierirten. Indessen eignet sich die Zeit, die er zum Haupt¬
gegenstand seiner Studien gemacht hat, vielleicht mehr als eine andre für diese
leichtere Form, und da der positive historische Gewinn ein unbestreitbarer ist, so
können wir es ihm nur Dank wissen, baß er uns anch das Ernste mit Anmuth
und Zierlichkeit vorträgt. —


Hamburgische Geschichte» und Sagen. Erzählt von IN'. Otto Beneke.
Zweite Auflage. Hamburg, Berthes, Besser und Maule. —

Eine Reihe interessanter, zum Theil höchst ergötzlicher Bilder, welche die Ge¬
schichte Hamburgs von ihrem ersten Ursprung bis in die neuere Zeit begleiten.
Wenn auch das Anekdotische und sagenhafte soweit vorherrscht, daß zuweilen
selbst in der Sprache die naive volkstümliche Form beibehalten ist, so haben
alle diese Geschichten doch zugleich einen historischen Sinn, denn sie versinnlichen
uns die sittliche Bildung der Zeit, in der sie entstanden sind. In dem Inhalts¬
verzeichnis) hat der Verfasser genau seine Quellen angegeben, und dadurch zu¬
gleich indirect das Verhältniß zwischen Sage und Geschichte festgestellt. Die
Form der Darstellung verdient großes Lob; denn trotz der Verschiedenheit im
Einzelnen (einige Geschichten von besonders naivem Charakter sind plattdeutsch
erzählt), ist doch eine verwandte Farbe hergestellt, so daß wir den Eindruck
eines Ganzen empfangen. Wir wünschten, daß ähnliche Sammlungen auch
in andern unsrer historischen Städte angestellt würden, die Einsicht in das
deutsche Wesen und damit das Interesse für das Vaterland könnte dadurch nur
vermehrt werden. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/30>, abgerufen am 07.05.2024.